laut.de-Kritik

Hildegard Knef meets Joy Division.

Review von

"Ein Schlag in die Fresse eines jeden Musikschaffenden", meinte hier vor einem Jahr ein Kommentator zum Debüt-Album der Heiterkeit – und zur Anerkennung, die die Band aus Hamburg nicht nur auf laut.de für ihren Slowcore-Schrammelpop erntete. Ein gutes Jahr später dürfte sich das Urteil derlei Fans von echtem Handwerk nicht ändern. Die Heiterkeit sind auf ihrem Zweitling "Monterey" sogar noch langsamer, noch sparsamer, noch eintöniger geworden, haben die ihnen eigene Reduktion radikalisiert.

Das ahnt man nicht, hört man die Eurodance-Synthies, die das Album eröffnen. Und das ahnt man auch noch nicht, hört man den ersten Song. Denn "Factory" entpuppt sich als eines der flottesten Lieder des Albums - was natürlich nicht heißt, dass es direkt zum Pogen einlädt - und hätte sich auch noch gut auf "Herz Aus Gold" gemacht. Selbst- und popreferentiell wie einst nur Tocotronic erklären die Heiterkeit, dass es nun wieder Zeit sei, in die Fabrik zu gehen und neue Lieder zu machen. Ironie, klar, aber trotzdem eine Ansage: Echtheit und Handwerk könnt ihr euch im Baumarkt holen, die Heiterkeit sind Pose, sind Kunst.

Der zweite Song, das tieftraurige "Kalifornien", spielt nicht nur gekonnt auf Albert Hammonds Anti-Hymne "It Never Rains in Southern California" an, sondern gibt auch die Richtung fürs Album vor: Denn die Heiterkeit schalten bis auf zwei Ausnahmen konsequent vom Mid- ins Slow-Tempo runter und kombinieren in den meisten Songs kräftige Joy Division-Bässe mit sparsamen The Cure-Gitarren.

Schlagzeugerin Anna-Leena Lutz - neu dabei seit der letzten EP, sonst bei Half Girl an den Drums - entscheidet sich nur in dringenden Notfällen für die Hi-Hat und kommt ansonsten problemlos mit Bassdrum, Snare und Toms aus. Das Trio hat sein Slowcore-Profil also nochmals geschärft und geht damit den Weg weiter, den es schon auf der letzten EP "Daddy's Girl" eingeschlagen hatte. Klar, auch da war schon so ein Pferdebild auf dem Cover - halb Foto, halb Gemälde. Halb Kitsch, halb tiefe Traurigkeit.

Am meisten verändert hat sich aber das, was gleichzeitig zum wichtigsten Merkmal der Band geworden ist: Stella Sommer singt nicht mehr, als könnte sie nichts weniger interessieren. Im Gegenteil: als gelte es, die Ernsthaftigkeit, Grazie und Unnahbarkeit von Diven und großen Sängerinnen vergangener Tage wieder aufleben zu lassen. Hildegard Knef, Marlene Dietrich, Ingrid Caven, Nico, you name it. Auf gespieltes Desinteresse folgt also gespielter Ernst. Das erscheint so spröde wie eh und je, verleiht den Songs aber eine gewisse, neue Tragik.

Und so stellt "Daddy's Girl", das es als einziger Song von der EP aufs Album geschafft hat, keine schlichte Abrechnung mit eben jenen "Papas kleinen Mädchen", sondern ein auch anteilnahmsvolles Lied über stille Verzweiflung und Tristesse dar. Tristesse, die ein Leben ohne Höhen und Tiefen umweht, das statt echter Erlebnisse nur noch perfekte, heiter beschwingte, eben "furchtbare" Partys bereithält: "Kein Glück mehr, dass dich retten kann, sie lieben dich auch so."

Leider gerät die Musik streckenweise zu öde. Entschleunigung und Reduktion, gerade auch, was die Melodien angeht, führen zu teilweise quälend langsamen und kaum mehr unterscheidbaren Songs. Dazu kommt, dass sich Gitarre, Bass und Schlagzeug und die seltenen Synthies (zum Beispiel in "Auge" und "Kapitän") hier und da mit der reinen Begleitung zu Sommers Gesang begnügen.

Und doch versprüht "Monterey", wie schon der Vorgänger, eine wohlige Sehnsucht, dieses Mal sogar mit einem Quäntchen mehr Leidenschaft. Was vielleicht auch daran liegt, dass sich die Platte fast ausschließlich um enge Freundschaften und Liebesgeschichten in all ihren, auch glücklichen, Facetten dreht.

Auch diesmal lassen sich wieder zahlreiche Verweise auf die Welt des Pop und die des Alltags finden - neben den Genannten spielt das Trio auch auf Andy Warhols Factory und gleichzeitig auf Factory Records an, auf Cary Grant, das Monterey Pop Festival und überhaupt die 60er Jahre, auf Subjekt-Objekt-Diskurse und auf falsche Dualismen, wie jenen von Authentizität und Künstlichkeit.

Obwohl also jede Menge feuilletonistischer, gar nicht so blöder Blödsinn drinsteckt im Paket, spricht die Musik der Heiterkeit vor allem - sorry for being cheesy - das Herz an. Die Aufschreie, hier sei keinerlei musikalischer Sachverstand am Werk, lediglich feuilletonistisches Geschwurbel, wird es trotzdem erneut geben. Angesichts der Anerkennung, die die Heiterkeit hoffentlich auch für ihr neuestes Werk erfahren wird, kann das der Band aber getrost egal sein.

Trackliste

  1. 1. Factory
  2. 2. Kalifornien
  3. 3. Daddy's Girl
  4. 4. Auge
  5. 5. Wohin gehst Du, Cary Grant
  6. 6. Wässere mich
  7. 7. Kapitän
  8. 8. Bruder
  9. 9. Frühlingsjunge
  10. 10. Die ganzen müden Pferde
  11. 11. Pauken und Trompeten

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