laut.de-Kritik
Gelungener Spagat zwischen Pop-Appeal und Eklektizismus.
Review von Hardy FunkAfro-Pop-Gitarren, hysterische Chöre, clubbige Beats, Bongos, Handclaps, Streicher, Bläser, Rockausbrüche und Lagerfeuer-Momente, sogar Flöten und Saxophone: Bei so viel buntem Allerlei könnte leicht etwas durcheinander geraten. Dazu kommt es auf "Swing Lo Magellan" aber nie. Das ist große Kunst.
Dirty Projectors-Mastermind David Longstreth erreicht mit Reduktion und Konzentration, dass die Songs an keiner Stelle zerfasern. Darin, dass dabei Nummern mit viel Pop-Appeal entstehen, die trotzdem nicht auf den Dirty Projectors-typischen Eklektizismus verzichten, liegt die Leistung der Band.
Zentral bleibt aber vor allem eines: die Stimme als Instrument. Das macht schon das Eröffnungsstück "Offspring Are Blank" klar. Die von Amber Coffman und Haley Dekle (Angel Deradoorian stieg vor kurzem aus) eindringlich eingesungenen "Uuuh"- und "Aaah"-Chöre und Longstreths frei über den seichten Beat gleitender Gesang bilden eindeutig die tragenden Elemente. Zumindest bis zum Rock-Brett, das statt eines Refrains über den Song hereinbricht, bevor in der Strophe wieder die Chöre die Melodieführung übernehmen.
Bei "About To Die" (und nicht nur da) wähnt man hingegen Vampire Weekend am staubtrockenem Schlagzeug und an der hellen, verspielten Gitarre. Das verwundert nicht, schließlich sind beide Bands ganz vernarrt in die Afro-Pop-Klänge, die hier das Spiel durchziehen. Aber spätestens, wenn Longstreth zu singen beginnt, weiß man wieder, wem man zuhört. Dieser Gesang, der sich die meiste Zeit einen Teufel darum schert, was Schlagzeug oder Gitarre gerade machen, ist unverkennbar Dirty Projectors.
Die Vorab-Single "Gun Has No Trigger", ein wahrer Ausnahmetrack, birgt wieder nicht viel mehr als ein trockenes Schlagzeug, Chöre und Longstreths Gesang. Aber das reicht, der Song erreicht eine unglaubliche Intensität wenn die Stimmen vom Hintergrund ins Zentrum des Songs drängen. Eine Pistole ohne Abzug, dieses Bild ist ja ziemlich selbsterklärend. Ansonsten bleibt der Text aber, wie die meisten anderen auch, schwer greifbar und hält sich eher im Assoziativen auf. Wie hier, erscheint auf keinem der Songs irgendetwas zu viel, die einzelnen Teile bilden ein organisches Ganzes.
Es folgt der Titelsong, ein überraschend simples, folkiges Stück und eine willkommene Erholung nach den intensiven ersten drei Tracks. Eine Mahnung, sich nicht zu viel vorzunehmen, wie einst Magellan, der das Ende seiner Weltumsegelung nicht mehr erlebte? Vielleicht, aber auch dieser Text verbleibt im Unkonkreten, auf dass jeder darin finden mag, was er oder sie sich denkt. "Maybe That Was It", ein ähnlich ruhiges Stück, scheint sogar jede Sekunde in sich zusammenzufallen, aber die Gitarre schlängelt und dehnt sich dann doch immer weiter und weiter.
Oft verbreiten die Songs leichte Sixties-Stimmung. Ganz eindeutig bei "Irresponsible Tune" mit Hall in der Stimme und – ausnahmsweise einmal – Männerchören. Das erinnert nicht nur schwach an eine Elvis-Ballade. Aber auch "Dance For You" oder "Impregnable Question" atmen den Geist der paradigmatischen Rock'n'Roll-Epoche. Retro tönt es deswegen noch lange nicht, die Songs speisen sich aus so vielen Quellen – übliche Vergleiche reichen von Yes über David Byrne bis zu Beyoncé – und fügen so viel Eigenes hinzu, dass es mitnichten bei einer nostalgischen Heraufbeschwörung der Vergangenheit bleibt, sondern etwas Neues, Zukunftsweisendes entsteht.
Die gesamte Spielzeit über bleibt das Album auf dem gleichen hohen Niveau. Die Songs klingen so clever wie erfrischend und werden dieses Jahr bestimmt auf keiner Hipster-Party fehlen. Der Musik ihre Smartness vorzuwerfen wäre trotzdem Quatsch. Denn Dirty Projectors versuchen hier nicht, cooles Wissen auszustellen und mit abgelegenen Referenzen anzugeben. Sie liefern vielmehr eine gerade nicht an Trends orientierte Weiterentwicklung von Pop-Musik und treffen damit zufällig einen Nerv der Zeit. Dass sich derart interessante und zeitgeistige Musik hervorragend zum Distinktionsgewinn anbietet (also auch von angeberischen Idioten stolz auf Facebook gepostet wird) ist nicht die Schuld der Musik. Sonden nur ein weiterer Widerspruch, mit dem man halt leben muss.
Gut zehn Jahre lang haben Bands wie Animal Collective, Vampire Weekend, Yeasayer, Grizzly Bear und nicht zuletzt Dirty Projectors nun mit Afro-Pop-Gitarren und Beach Boys-Harmonien einen Weg aus der The-Band-Einbahnstraße gewiesen. Mit ihrem achten Album gelingt Dirty Projectors nun eines der überzeugendsten und verführerischsten Angebote dieser Alternative überhaupt. Deshalb stimmt hoffentlich bald nicht mehr, was Longstreth in "Irresponsible Tune" singt: "With our songs we are outlaws / With our songs we're alone." "Swing Lo Magellan" könnte ein paar Leute mehr für die spannendere Seite der Indie-Musik begeistern.
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