laut.de-Kritik

Nightcall-Disco mit Stranger-Things-Star Steve.

Review von

Oh je, jetzt singen sie auch noch. Dieses Gefühl überkommt wohl jeden, der mit musizierenden Schauspielern konfrontiert wird. Schon Bruce Willis, Russell Crowe und erstaunlich viele andere Hollywood-Größen folgten irgendwann einem Impuls – oder auch einfach einem schlechten Berater – der sie für mindestens genauso so gute Musiker wie Darsteller hielt. Heraus kamen unfreiwillig komische Dad-Rock-Versuche, die sogar das Internet als zu schwach für Meme-Material befand. Ob besagte Hobbymusiker Neid auf David Hasselhoff und seine Integration in den deutschen Musikkanon respektive die jüngere deutsche Geschichte verspüren, ist bedauerlicherweise nicht überliefert.

"Stranger Things"-Schauspieler Joe Keery legte bereits 2019 ein erstaunlich gutes Psychedlic-Pop-Album mit Einflüssen von Tame Impala, Washed Out oder Future Islands hin. Die Kritiker befanden "Twenty Twenty" für äußerst hörbar, der unwürdige Weg ins Kuriositätenkabinett blieb Keery erspart. Die Promotion für sein Debüt und den nun erscheinenden Nachfolger "Decide" fällt erstaunlich ruhig aus. Um nicht zu sehr als der Typ von "Stranger Things" wahrgenommen zu werden, erfand er das extrovertierte Alter Ego Djo. Eine edgy 70er-Jahre-Karikatur mit Porno-Schnauzer, Vokuhila und Sonnenbrille. Dieses Maskenspiel kennt man bereits von U2s Bono, der zu "Achtung Baby"-Zeiten auch aus Selbstschutz die Figur das Macphisto erfand.

Ein "Running Up That Hill"-Cover bleibt einem zum Glück erspart, aber grundsätzlich fühlt sich Keery in der Vergangenheit sehr wohl. Wer Air oder vor allem das letzte Album von Gaspard Auge mochte, darf auch hier gerne entspannten Sounds und der äußerst angenehmen Stimme von Keery lauschen. Der singt so verhuscht-putzig wie er aussieht, verfügt aber über eine beeindruckende Vocal-Range. Falsett-Töne wie in dem Funk-Song "I Want Your Video" bilden keine Hürde, ebensowenig wie ein Wechsel in den croonigen Gesang im schwermütigen "Climax". Der Nachtfahrt-Disco-Sound von Kavinsky schimmert durch, aber auch die Neo Disco von Todd Terje. Den norwegischen Künstler und vor allem sein feines Dance-Album "It's Album Time” feiert der Us-Schauspieler sehr.

Nicht viel euphorischer klingt "End Of The Beginning" mit seinem Roxy Music-artigen Abstieg und dem distinguierten Trübsinn. Es ist eine kleine Hommage an den Zeitpunkt, bevor aus Joe der Lieblingswuschel aller Serien-Fans wurde: "And when I'm back in Chicago I feel it / Another version of me I was living / I will be back to the end of beginning". Zurück zu den einfacheren Zeiten, als er noch in Ruhe vor die Haustür konnte und ein alltäglicher Gang mit dem Hund keine hysterischen Teenie-Aufläufe und Paparazzi-Verfolgung auslöste. Immer mit einem sarkastischen "Naja ich habe es mir so ausgesucht?!"-Unterton. Um seine Privilegien weiß Keery schon, zeigt dennoch eine ehrliche Verletzlichkeit. Djo muss keine rehäugigen Teenies in den 80ern spielen.

So jungenhaft sein Gesicht und seine Rolle wirkt, im Real Life ist er mit 30 Jahren dem Steve Harrington längst entwachsen. Die Dämonen in Djos Welt erschuf keine CGI-Computer, es ist real und voller Selbstzweifel. In "Half-Life", das er teilweise schon verbittert über French House flüstert, mag er gar nicht glauben, dass die Menschen ihn wirklich als Person mögen. Wie so häufig auf "Decide" wischt er diese aufkommenden Grübeleien mit einem funky Uptempo-Stilwechsel fort. Diese Zerrissenheit führt zu einem spannenden Album mit viel Abwechslung. Joe Keery beweist, dass ihn die unverschämt erfolgreiche Netflix-Serie nicht von seiner musikalischen Vision abbringt.

Trackliste

  1. 1. Runner
  2. 2. Gloom
  3. 3. Half Life
  4. 4. Fool
  5. 5. On and On
  6. 6. End of Beginning
  7. 7. I Want Your Video
  8. 8. Climax
  9. 9. Change
  10. 10. Is That All It Takes
  11. 11. Go For It
  12. 12. Figure You Out
  13. 13. Slither

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