laut.de-Kritik

Der Abschied von jugendlicher Unbeschwertheit.

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Vorbei sind die Tage, in denen Ed Sheeran mit tanzbaren Beats die Radiostationen in Dauerschleife beglückte. In den dreizehn Albumtracks von "Subtract" setzt er eher auf akustische Elemente. Klavier, Streicher und Gitarre bestimmen das Klangbild. Dennoch ist es kein Unplugged-Album. Die Beats sind zurückhaltender, nur in "Eyes Closed" und "Dusty" treten sie etwas mehr in den Vordergrund.

Beim ersten Durchhören wirken die melancholischen Kompositionen etwas unspektakulär. Nach Rap-Einlagen wie auf "Multiply" oder Ohrwürmern wie "Shape Of You" sucht man hier vergeblich. Doch genau dieser Mangel an kommerziellen Hit-Formeln macht den Reiz der emotionalen Balladen aus.

Sheerans Texte sind so verletzlich und direkt wie nie zuvor. In "Subtract" durchlebt er die fünf Phasen der Trauer und singt von der Versuchung, sich das Leben zu nehmen ("Salt Water"). Im nihilistischen "End Of Youth" nimmt Sheeran Abschied von der jugendlichen Unbeschwertheit:"Is this the end of your youth? When pain starts taking over".

Das schlichte "Sycamore", begleitet von Klavier und Streichern, handelt von der Krebsdiagnose seiner Frau Cherry und der damit einhergehenden Verzweiflung: "I'm worried about my lover, and I'm worried about our child. Die Tracks "Spark" und "No Strings" handeln von den Auswirkungen der schweren Zeiten auf seine Ehe. Das Paar hat viel durchgemacht, aber die Beziehung hat den Stürmen standgehalten: "You are who I love, and that won't change when we're falling apart."

Vor wenigen Tagen ging Ed Sheeran als Sieger aus einem langjährigen Copyright-Streit hervor. Die Erben des Marvin Gaye-Produzenten Ed Townsend hatten ihn verklagt: Der Song "Thinking Out Loud" klinge zu sehr nach Gayes "Get It On". Ein New Yorker Geschworenengericht erklärte den Sänger schließlich für unschuldig.

Sheeran ist eben eine Hitmaschine. Da wittert der eine oder andere schon mal die Gelegenheit, etwas abzubekommen. Sheeran hat bisher in jedem dieser Rechtsstreits die Oberhand behalten. Spurlos gehen solche Zankereien jedoch nicht an ihm vorbei. "Ich bin nur ein Typ mit einer Gitarre, der es liebt, Musik zu schreiben, an der sich die Leute erfreuen können. Ich bin kein Sparschwein, das man schütteln kann, und werde es auch nie sein" kommentierte Sheeran das jüngste Urteil in einem Gerichtssaal in Manhattan. Er sei zwar froh über das Ergebnis des Verfahrens, doch die Anklage sei zu weit gegangen und habe unnötigen Stress für alle Beteiligten verursacht. Zudem habe er deswegen die Beerdigung seiner Oma verpasst.

Die Geschichte reiht sich in die Serie trauriger Erlebnisse ein, die Sheeran in den letzten drei Jahren bewältigen musste. Nach dem Erfolgsalbum "Equals" (2021) ging es im Privatleben des Sängers steil bergab. Seine Frau Cherry erkrankte während der Schwangerschaft an Krebs. Zudem starb Eds guter Freund Jamal Edwards mit Anfang Dreißig an einer Drogen-Überdosis.

Mit "Subtract" verarbeitet Sheeran den ganzen Schmerz, der sich angesammelt hatte. Das vierte Album in seiner Reihe mathematischer Albentitel wird seinem Namen gerecht. Das Minus steht für den Verlust. Die Texte auf Subtract sind nachdenklich und kreisen zwischen Resignation und dem Ringen nach Hoffnung.

Im leichten Pop-Track "Dusty" wagt Sheeran die ersten optimistischen Töne. Der Song handelt von einem Moment, als Ed mit seiner Tocher Lyra eine Dusty Springfield-Platte hörte. Der friedliche Moment machte ihm inmitten der Verzweiflung wieder etwas Mut: "A beautiful smile on your face. Yesterday was a long night, but I got a feeling that the future is so bright."

Die Indie-Rock-Nummer "Curtains" bricht die pessimistische Grundstimmung endlich auf. Irgendwann ist es genug mit dem Einigeln und Versteck-Spielen: "Can you pull the curtains? Let me see the sun shine. I think I'm done with my hiding place."

Im abschließenden "The Hills Of Aberfeldy" leuchtet Sheerans warme Stimme in einem Folk-Arrangement, das mit geheimnisvollen Violinenklängen und sanfter Gitarrenbegleitung wie ein traditionelles Volkslied klingt. Doch es stammt aus Sheerans Feder. Die keltische Melodie tritt in die Fußstapfen von "Galway Girl" und "Nancy Mulligan" aus dem Album "Divide". Doch das langsame Tempo hebt sich von den irischen Stimmungsmachern ab. Schwermütige Zeilen vermischen sich mit der verträumten Melodie: "Oh, the leaves are starting to fall, and the sun grows cold and my heart might break from the weight of it all."

Der akustischen Opener "Boat" fasst die emotionale Entwicklung des Albums zusammen. Auch wenn der Track am Anfang des Albums erscheint, sei er hier an letzter Stelle erwähnt, denn offenbar ist dem reflektierten Songtext eine langer Reifeprozess vorausgegangen. Während Sheeran im Verlauf des Albums immer wieder zwischen Optimismus und Verzweiflung schwankt, bietet "Boat" eine andere Perspektive an. Hier ist Platz für Schmerz und Zweifel, aber auch für Resilienz und Heilung: "They say that all scars will heal, but I know maybe I won't, but the waves won't break my boat."

Trackliste

  1. 1. Boat
  2. 2. Salt Water
  3. 3. Eyes Closed
  4. 4. Life Goes On
  5. 5. Dusty
  6. 6. End Of Youth
  7. 7. Colourblind
  8. 8. Curtains
  9. 9. Borderline
  10. 10. Spark
  11. 11. Vega
  12. 12. Sycamore
  13. 13. No Strings
  14. 14. The Hills of Aberfeldy

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