laut.de-Kritik

Introvertierter Emo-Indie im Retro-Gewand.

Review von

Neuzeitliche Sadboys müssen nicht immer nur Emo-Trap machen und sich ein "Lil" vor den Künstlernamen klatschen. Man kann auch etwas diversifiziertere Musik erschaffen. Gestatten: Ekkstacy. Ein kanadischer Newcomer, der nur Schwarz und Grauschattierungen kennt, sich in Gedankengefängnissen aufhält und alles zum Scheitern verurteilt betrachtet. Er hat es wahrlich nicht einfach: Eltern geschieden, keine Freunde, Drogenmissbrauch, Entzugstherapien. Das einzige Antidot zu diesem Elend findet er letztlich in der Musik. Angesichts dessen hat er sich einen sehr zynischen Alias ausgesucht.

Sein Debüt strahlt diese dunkle Welt wider, schon bevor man sie gehört hat. Seine an XXXTentacion angelehnte Emo-Ästhetik, das karge Cover mit dem vereinsamten Sänger, der Albumtitel "Negative", die schwermütigen Songtitel. Alles schreit nach Verzweiflung, Trauer und Depression. Wenn man sich darauf einlässt und sich mit der Person auseinander setzt, findet man viel Schönes darin.

Seine Musik sorgt für Zugänglichkeit, denn er kleidet sie in ein Gewand aus Lo-Fi, 80er Dark-/Synthwave, Post-Punk und Indie. Ekkstacy singt stets erschöpft, leicht nuschelnd und verzerrt seine Stimme durch einen Reverb-Effekt. Über was berichtet der 19-Jährige denn in den Texten?

Vage Schnipsel über sich und seine erste Beziehung. "Negative" zeigt uns in Ansätzen, wie er mental funktioniert und wieso er an vielen Dingen selbst die Schuld trägt. Die Einführung in die Persona Ekkstacy "I Walk This Earth All By Myself" erzählt davon, wie alleine und abgestoßen er sich fühlt und bringt das auch gekonnt zu Papier: "Nobody gives a fuck about me / That's what I think to myself when I'm alone in the city / I walk around the mall, but there's nobody with me / What do I say when there's nobody listening?". Es besticht zudem durch einen warmen 80s-Vibe und einer süßlichen Melodie. Ein starker Einstieg.

"Then I Met Her" fungiert als Wendepunkt. Endlich hat er jemand an seiner Seite, das sorgt für Euphorie in den Lyrics und gemütlichen Indie-Rock, doch sein Vortrag bleibt apathisch und gedämpft. Die gute Laune überlebt nicht lange, da er sie mit einer Abwärtsspirale in den Minusbereich absenkt: "It Only Gets Worse, I Promise" badet in einer Dichotomie aus selbstzerstörerischen Gedanken und Uptempo-Surfrock im Stile von The Drums. Noch dunkler gerät der verträumte und melancholische Post-Punk "I Want To Be By Your Side", wenn er die Nähe seiner Freundin vermisst.

Die Liaison trägt "For Forever" zu Grabe, eine trieftraurige Akustikgitarren-Ballade: "I keep way too much in my head and I know that / I stay away from things I should love and I know that / When I love they always go and I know that". Gerade dies entwaffnende Ehrlichkeit macht das Projekt und den Menschen so spannend. Er ist sich seiner zerbrechlichen und teils zerstörten Persönlichkeit bewusst und spricht das auch an, leider Gottes an vieles Stellen mit zu wenig Vokabular. Darin liegt des Pudels Kern: Ein faszinierender Teenager, der aus seiner Tragik heraus berührende Zeilen verfassen könnte, diese aber in repetitiven und einfachen Worten ausdrückt. Das zeugt erneut für ein einfaches Verständnis, täuscht aber nicht über fehlende Tiefe hinweg, die zweifelsohne besteht.

Dies manifestiert sich in den beiden Schlussstücken, wenn er von der janusköpfigen Auslegung von Hass und Liebe sinniert. "But There Is Always Hatred" flext zwar musikalisch die Muskeln, wenn aus einer langsamen Klavier-Ballade tiefe Bässe und gecrunchte Beats emporsteigen, er aber in lediglich vier Zeilen sich seinem Schicksal ergibt. Das elegische Piano-Stück "In Love" tappt in eine ähnliche Falle, immerhin ertönen gen Ende eine wehmütige Gitarre und sanfte Synthies im Hintergrund.

Mit "Negative" erschafft Ekkstacy ein interessantes sowie kurzweiliges Erstlingswerk, das nur einen Türspalt zu seiner Seele öffnet. Das ist auch in Ordnung für einen Teenager, der seine tonalen Gehversuche der Welt preisgibt. Für die Zukunft erhoffe ich mir ein bisschen mehr Vielfalt und vor allem Druck beim Gesang. Genügend Geschichten zum Erzählen hat er bereits jetzt schon. Ein vielversprechender Kandidat, um für eine neue Generation an missverstanden Teens und Adoleszenten ein Fixstern zu sein.

Trackliste

  1. 1. I Walk This Earth All By Myself
  2. 2. Then I Met Her
  3. 3. It Only Gets Worse, I Promise
  4. 4. I Want To Be By Your Side (feat. Herhexx)
  5. 5. For Forever
  6. 6. But There Is Always Hatred
  7. 7. In Love

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