laut.de-Kritik

Zur Erholung ins 'Hotel California'.

Review von

"Let's be honest, that last 'Relapse' CD was ... ehh." Ein Künstler, der ungefragt seine letzte Veröffentlichung in Frage stellt, begegnet einem doch eher selten. Doch leicht gemacht hat er es sich noch nie, dieser Eminem. Der in seinen Zeilen öffentlich ausgefochtene Überlebenskampf grüßte bisher schließlich auch nicht vom Ponyhof.

Statt wie einst angedroht seinem ersten Rückfall einen zweiten folgen zu lassen, feiert Marshall Mathers seine Genesung. "Recovery" lautet die Losung der Stunde. Recht so, denn im Grunde kann man nicht wirklich widersprechen: "That last 'Relapse' CD was ... ehh ... selbst bei wohlwollender Betrachtung höchstens mittelprächtig gelungen. An Luft nach oben mangelt es also nicht.

Mit "Recovery" verlangt Eminem seinem Publikum jedoch allerhand ab. Braucht die Rap-Öffentlichkeit einen Gastauftritt von Pink? Zumal sie im Chorus des schrammeligen "Won't Back Down" so vollkommen untergeht, dass man sie auch gleich hätte weglassen können? "Shady's got the mass appeal", klar, doch besäße er den zweifellos auch ohne derlei poppiges Namedropping.

Immerhin stört die Pink'sche Beteiligung nicht weiter, während ich mich angesichts Rihannas saftloser Jodelei in "Love The Way You Lie" wieder einmal frage, was die Musikwelt an diesem Püppchen so unwiderstehlich findet. Die Stimme kanns ja wohl nicht sein. Ihren gruseligen Part hätte, weit weniger schmerzhaft, genauso gut die an zahlreichen anderen Stellen eingesetzte Liz Rodriguez übernehmen können.

"Fuck you hip hop, I'm leavin' you, my sentence is served." Für Genre-Puristen dürfte "Recovery" in der Tat ziemlich schwer verdauliche Kost darstellen. Auf Akustikgitarrenklänge, die in "Space Bound" auch mal das große "Hotel California"-Gefühl schüren, sollte man besser vorbereitet sein, ebenso auf schillernde Synthies (wie in DJ Khalils "Almost Famous") oder sägenden E-Gitarren-Sound ("You're Never Over").

Das größte Durchhaltevermögen fordern aber die Refrains: Mehr gesungen wurde nie, größeres Schmachtfetzenpotenzial fand sich bei Eminem selten - und natürlich weiß er darum: "I just put a bullshit hook in between two long ass verses / If you misstook this for a song, look / This ain't a song, it's a warning".

Eine Warnung - und ein Spielchen: "How fucking irritated are you?" Keine Frage: "Recovery", seine Produktionen, das ganze Konzept - all das irritiert gehörig. "How much in your face am I?" Die Anwort fällt ebenso klar aus: Volles Rohr.

"I don't need the fuckin' swine flu to be a sick pig." Wenn Mr. Marshall Mathers mit diesem Album eines unter Beweis stellt, dann das. Sein Silben-Stakkato transportiert das ganze düstere Gefühlsspektrum von Schmerz über Wut in tiefste Verzweiflung und zurück. Rap-technisch präsentiert sich Eminem mit "Recovery" nicht nur absolut auf der Höhe der Zeit, sondern auch in persönlicher Topform:

"Shit dissin' me is just like pissin' off the Wizard of Oz / Wrap a lizard in gauze, beat you in the jaws with it / Grab the scissors and saws and cut out your livers gizzards and balls / Throw you in the middle of the ocean in the blizzard with jaws / So sip piss, like sizzurp through a straw / Then discribe how it tasted, like dessert to us all / Got the gall to make Chris piss in his drawers / Tickle him, go to his grave, skip him and visit his dog."

Möchtegern-MCs, die schon für Reimkunst halten, am Zeilenende abwechselnd "Junge" und "Alter" anzuhängen, können derlei vermutlich noch nicht einmal vorlesen, ohne ins Stolpern zu geraten. Eminem flowt, in unverwechselbar angepisstem Tonfall, über solche Wortschachteleien, dass es eine wahre Freude ist. "They call me fire marshall" - nicht ganz grundlos.

Dicke-Hose-Gebaren mischt Eminem ausgewogen mit der Verarbeitung privater Erlebnisse. Er thematisiert sein Versagen als Mensch und Vater, den Verlust seines Freundes Proof, berufliche Höhen und Tiefen genauso intensiv, wie er sich ins Getümmel der von ihm ausgerufenen "White Trash Party" stürzt oder sich in "So Bad" zum Mr. Lover-Lover von Shaggy-Format aufplustert.

Auf "No Love" liefert ein knautschiger, verschobener, im packendsten Sinne irrer Lil Wayne seinen besten Part seit langem ab. "Ok, you want me up in a cage? Then I'll come out in beast mode." Das von Just Blaze perfekt eingepasste Haddaway-Sample setzt dem Track die verdiente Krone auf.

Mit Rückenwind von Black Sabbath bringt eine Zeile den Tenor des Albums am treffendsten auf den Punkt: "I don't know what I'm gonna do but I just keep goin' through changes." Wohin Eminems Weg auch führen mag, mit "Recovery" geht es auf jeden Fall wieder steil bergauf.

Trackliste

  1. 1. Cold Wind Blows
  2. 2. Talkin' 2 Myself feat. Kobe
  3. 3. On Fire
  4. 4. Won't Back Down feat. Pink
  5. 5. W.T.P.
  6. 6. Going Through Changes
  7. 7. Not Afraid
  8. 8. Seduction
  9. 9. No Love feat. Lil Wayne
  10. 10. Space Bound
  11. 11. Cinderella Man
  12. 12. 25 To Life
  13. 13. So Bad
  14. 14. Almost Famous
  15. 15. Love The Way You Lie feat. Rihanna
  16. 16. You're Never Over

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31 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 12 Jahren

    muss @FamousDave zustimmen. Es war vielleicht besser als Relapse aber im Vergleich zu Eminem Show, Marshall Mathers LP, Slim Shady LP oder selbst Encore einfach schwach. Es gibt ein paar gute Nummern (So Bad, Cindarella Man, On Fire...) aber diese Pop, Rock + Rap Mischung geht einfach auf die nerven, kann auch die Gaststars nicht ausstehen (Rihanna, Lil Wayne (Kobe muss natürlich in Klammern gesetzt werden))

  • Vor 12 Jahren

    muss @FamousDave zustimmen. Es war vielleicht besser als Relapse aber im Vergleich zu Eminem Show, Marshall Mathers LP, Slim Shady LP oder selbst Encore einfach schwach. Es gibt ein paar gute Nummern (So Bad, Cindarella Man, On Fire...) aber diese Pop, Rock + Rap Mischung geht einfach auf die nerven, kann auch die Gaststars nicht ausstehen (Rihanna, Lil Wayne (Kobe muss natürlich in Klammern gesetzt werden))

  • Vor 5 Jahren

    Nicht so gut wie Relapse, aber immer noch gut, weil Eminem einfach weiß, was er da an Stift und Mikrofon macht.

    Einige Hooks sind mir viel zu kitschig und poppig, P!nk und Rihanna hätte man sich außerdem sparen können.

    3 von 5.

    • Vor 5 Jahren

      Ich fand gerade den Song mit Rihanna gut, aber auch der Rest klingt nicht schlecht. Hat halt nichts mit dem alten Eminem zu tun, aber besser so, als dass er sich damit blamiert, so zu tun als wäre er noch jung.