laut.de-Kritik
Weg von Trancecore, hin zu doppelbödigem Modern Brit Pop.
Review von Manuel BergerTrveheimer vor den Kopf zu stoßen reicht Enter Shikari offenbar nicht mehr. Auch eigene Fans dürften angesichts von "The Spark" fassungslos in die Röhre gucken, die die Band freundlicherweise aufs hippe Cover-Artwork gedruckt hat. Die Briten gelten als Vorreiter des Trancecore, damit hat ihr fünftes Album rein gar nichts mehr zu tun. Genau das ist die große Stärke der Platte.
Völlig befreit kicken Enter Shikari Melancholie aus dem Soundbild und damit auch den Metal. Übrig bleibt moderner, elektronischer Rock, der teilweise stark an die Killers erinnert, in seiner Abgedrehtheit aber ungleich mehr Substanz aufweist. Textlich zeichnen Enter Shikari in Kontrast zur Musik teils dystopische Bilder, zitieren Cicero ("The Sights") und nehmen recht explizit auf aktuelle Politthemen, wie den Brexit, Bezug. "I don't want to take my country back / I want to take my country forward", singt Rou Reynolds in "Take My Country Back", später schiebt er kritisch und wortgewandt nach: "Sparking fury against one's neighbour / Twisting the truth with a blamethrower".
Wie mit dem Musikvideo zum hitverdächtigen Chor-Banger "Live Outside" bereits angekündigt, entsteht so eine Atmosphäre, die an die TV-Serie "Black Mirror" erinnert. Mit beißender Ironie und oberflächlichem Dauergrinsen stoßen Enter Shikari die Falltür zum scheuklappenlosen Wahnsinn auf. Platz für EDM-Pop mit Cocktail-Bläsern ("Shinrin-yoku") ist hier genauso wie für aggressive Hip Hop-Beats, die live für Ekstase sorgen dürften ("Rabble Rouser"). "The Revolt Of The Atoms" inszeniert die Band als stampfende Tongue-in-cheek-Apokalypse: "Helium spoke first / It cooled tempere and liften spirits". Vor Industrial-Kulisse treibt eine Lo-Fi-Indie-Gitarre ihr Unwesen.
"Undercover Agents" und "The Sights" sind weitestgehend straight komponierte Indie-Rocker mit großen Refrains. "Airfield" kontert die ansonsten vorherrschende Hyperaktivität als klanglich fast romantische Ballade, die sich von pessimistischen Lyrics ("It's common for people to believe / Everything happens for a reason / I'm sorry that’s false, and it’s poison") mithilfe aufmunternder Gitarrenakkorde zum hoffnungsvollen Klimax emporschwingt ("You're down on your luck / But that don’t mean you're out"). Statt aber auf dieser positiven Note zu enden, reißen Enter Shikari die aufgebaute Stütze mit Noise-Hammer wieder ein. Alle Schönmalerei ist eben in ihrer Welt doch meist nur Fiktion und Fassade.
Oder? Nein, der letzte vollwertige Track "An Ode To Lost Jigsaw Pieces (In Two Movements)" vermittelt dann doch Optimismus. Am Ende screamt Rou sogar noch – zu euphorischen Fanfaren. Ob damit viele glücklich sind, bleibt abzuwarten. Künstlerisch jedenfalls zahlt sich die Experimentierfreude Enter Shikaris aus. Statt Chaos konstruieren sie mit ihrem Stilmixer auf "The Spark" durchdacht strukturierten Modern Brit Pop. Das Ergebnis ist kurzweilig, spaßig, bleibt in Erinnerung und – vielleicht am wichtigsten – es entpuppt sich beim Blick in die Tiefe nicht nur als laues, fröhliches Lüftchen. Und das sagt jemand, der dem bisherigen Werk der Briten kaum etwas abgewinnen kann.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Lange auf diese Rezension gewartet - und sie kommt dann auch meinen Höreindrücken sehr nahe. Danke für den erstaunlich reflektierten Text!
ich finde das Album relativ schwach, Sound und vor allem Melodieführung gefallen mir bisweilen gar nicht. Texte sind teilweise gut, das stimmt, aber was bringts, wenn einen der Rest nicht packt. A Flash Flood of Colour bleibt für mich das mit Abstand beste Enter Shikari Album.
Anfangs war ich etwas "überrascht". Mittlerweile muss ich aber sagen, dass das Album mir sehr viel Spass macht. "The Sights", "Airfield", "The Revolt of the Atoms" und "An Ode..." sind ganz einfach tolle Lieder. Für sich alleine stehend also eine super Platte, im Bandkontext mag sie manche vor den Kopf stossen, aber im Nintendo-Core wurde alles gesagt, von daher: zwei Daumen hoch!
Als jemand, der eher den Metal/Hardcore Teilen der Band zugeneigt war, muss ich ehrlich sagen, dass ich nicht so wirklich von der Platte begeistert bin.
Wer hört sich im Jahr 2017 noch sowas an? American Apparell- und Hollisterträger. Der einst "hippe" Fag, der inzwischen Grundschullehrer ist und einst auf Zoey de Chanel leidenschaftlich masturbierte.
ach, das Leben in der eigenen Vorurteilswelt muss schön sein.
Nimms mir nicht übel. Enter Shikari waren vor ca. 10 Jahren am Puls der Zeit und müssen sich jetzt neu erfinden. Ist ein ganz normaler Zyklus. Auch die Trapartists von heute werden sich in 2-3 Jahren neu erfinden müssen, um relevant zu bleiben.