laut.de-Kritik

Nah am Feuer.

Review von

Mit Eric Gales' Karriere verhält es sich wie mit der Protagonistin seines Songs "Too Close To The Fire": Man kann schnell mal zu nah am Feuer sein. Dann klettern die Flammen, und die Leute flüchten. Live-Fans von Gales zog es immer zahlreich zu ihm. In Tonträger-Verkäufen spiegelte sich die Begeisterung nicht wieder. Erst jetzt nach 18 Alben in 30 Jahren erreicht der Memphis-Blueser das obere Mittelfeld der deutschen Charts. Vielleicht, weil die private Geschichte des Musikers mehr und mehr bekannt wird und den Funken überspringen lässt, bevor man der Intensität schnell genug entkommen kann. Vielleicht, weil man jetzt lange nicht die Chance hatte, ihn live zu erleben, und weil man bei diesen Songs zuhause genauer hinhören will.

"Crown" setzt der langen Suche des 47-Jährigen nach innerem Frieden die Krone auf und lässt den Songwriter über seine Erfahrung mit Kokain, synthetischen Drogen, Marihuana, Alkohol, einem stetig fließenden Cocktail aus Pushern und Downern berichten. Dazu bedient er sich epischer Gitarrensoli, langer Stücke, explosiver Momente, alles recht emotional, funky-trance'ig. "Ich fand die Frau, die mich gerettet hat", singt er in "I Found Her" über seine Perkussionistin, Ko-Sängerin und Ehefrau LaDonna Gales, mit der er nun zehn Jahre lang liiert ist. Die ersten vier verbarg er seine multiple Sucht vor ihr; auch seine Zeit im Knast 2009 wegen illegalen Waffenbesitzes. Irgendwann war LaDonna "too close", zu nah dran, und enttarnte ihn.

Zuvor zerstörte die Abhängigkeit sein 'Ich'. Der Opener "Death Of Me" entrollt, was auf dieser dunklen Seite, zusammengeknotet im Sack der schmerzhaften Erinnerungen, gärt. Schonungslos stampfender Blues-Metal dient als Ausdrucksform des Leids. Brachial-Riffs vertonen die Selbstauflösung. Nimmt man genau diesen einen Track, dann hat wohl seit Joan Armatrading auf "Into The Blues" (2007) lange keiner gewagt, in diesem Metier so schneidend scharfkantig und so gruftkuttenartig zu spielen.

Aber es ist auch kein Spiel, sondern die bittere Realität der Lebenslüge, die aus Gales' Krach spricht. Okay, auch Clapton verarbeitete Abstürze und wählte dafür trotzdem die gegenteilige Form der Darstellung: die soft-seichte.

Der wild wirbelnde Funk-Rap-Bluesrock "I Want My Crown (ft. Joe Bonamassa)" startet staubig und reißt durch Reduktion (vor allem auf die Stimme) mit. Ein frenetisches Gitarrenduell bildet den Höhepunkt. Hier zeigt sich dann noch eine Spielart: Reminiszenzen an Sly & The Family Stone lockern auf.

Schleicher wie der intime innere Gospel-inspirierte Monolog "Stand Up" und das Urban Chicago Blues-geprägte "The Storm" teilen sich die Lesart des Memphis-Erbes mit Marla Glens Herangehensweise. "You Don't Know The Blues", meint der Singer-Songwriter, 'and he knows it': Denn er hat sowohl die musikalische Spielwiese seines Haupt-Genres durchmessen als auch (etwa in diesem Lied) viel Empathie für Obdachlose und für Geringverdiener, denen das Finanzamt die letzte Hoffnung raubt. Blues als Soundtrack der Loser.

"Crown" ist ein beeindruckend stimmiger Longplayer. Obwohl die Platte problembewusst ist, so versumpft sie doch nicht in Gejammer. Viel mehr punktet sie mit Spielfreude, dynamischen Tempi-Wechseln und einer charmanten Lässigkeit, etwa wenn das sinnfreie Instrumental-Fragment "Rattlin' Change" einfach kurz ein paar Sekunden Laune macht und die Sau raus lässt.

Wer Akustik-Folk mag, wird in "I Found Her" nicht genau wissen, ob gerade Tango oder Rembetiko läuft, aber schönem Multikulti-Folk mit lieblichem Zupfen und Akkordeon-Wogen beiwohnen. Soul- und Funk-Fans seien die durchdringenden Vocals von LaDonna Gales in "Take Me Just As I Am" ans Herz gelegt. Sie krakeelt sich zwischen enthusiastischen Bläsern und einem slighten Disco-Retard-Beat die Seele aus dem Leib. Und darum geht es: Ob gegniedelt, zart gezupft oder gestampft, hier stecken immer Emotion und Feuer drin.

Trackliste

  1. 1. Death Of Me
  2. 2. The Storm
  3. 3. Had To Dip
  4. 4. I Want My Crown (ft. Joe Bonamassa)
  5. 5. Stand Up
  6. 6. Survivor
  7. 7. You Don't Know The Blues
  8. 8. Rattlin' Change
  9. 9. Too Close To The Fire
  10. 10. Put That Back
  11. 11. Take Me Just As I Am (ft. LaDonna Gales)
  12. 12. Cupcakin'
  13. 13. Let Me Start With This
  14. 14. I Found Her
  15. 15. My Own Best Friend
  16. 16. I Gotta Go

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