laut.de-Kritik
David Campbell stiehlt Amy Lee die Show.
Review von Kai ButterweckSechs Jahre nach der Veröffentlichung ihres letzten Studioalbums melden sich Evanescence aus der Versenkung zurück. Und für das erste Best Of-Projekt der Bandgeschichte hat sich die Combo aus Arkansas etwas ganz Besonderes ausgedacht: Statt die bisherigen Hits der Band einfach nur unbehandelt aneinander zu reihen, stecken Amy Lee und Co, sowie Orchester-Guru David Campbell ihre Auswahl in ein komplett neues Sound-Gewand.
Ohne verzerrte Gitarren und abseits des bandtypischen Bombasts schwebt Amys Stimme über wahlweise opulenten oder minimalistischen Klassik-Arrangements. Die Melange macht durchaus Sinn. Selbst Alternative-Freunde, die nur die Hits der Band auf dem Schirm haben, sollten mittlerweile erkannt haben, dass es sich bei Evanescence um eine Band handelt, die schon immer gerne klassische Tupfer mit in ihre Musik eingebunden hat. Oberflächlich betrachtet passt die neue Rezeptur also perfekt zusammen.
Ohne die rockige Zuarbeit ihrer Bandkollegen verliert sich Amy Lees Stimme allerdings etwas im Monotonie-Labyrinth. Zwar wehrt sich die Sängerin nach Kräften. Aber allein auf weiter Flur, nur ummantelt von Streichern, Pianothemen und klinisch aufgeplusterten Drums fehlt es dem Organ der kleinen Frontfrau an Ecken und Kanten. Egal ob Hits der Band wie "Bring Me To Life", "Lithium" und "My Heart Is Broken" oder brandneues Material à la "Hi-Lo" und "Imperfection": Ohne verzerrte Background-Wucht verpufft Amys durchaus markante Stimme im Nirgendwo. Da hilft auch Eingeworfenes aus der Sprechgesang-Abteilung nicht weiter ("Imperfection").
Man will der lieben Amy ja nichts Böses: Aber vielleicht hätte man den Gesang einfach komplett weglassen sollen. Was Herr Campbell hier nämlich an den Start bringt, lässt durchaus aufhorchen. Mit dem richtigen Fingerspitzengefühl trifft der Kanadier, der bereits mit Kiss, Linkin Park, Metallica und Green Day ausladende Rock-meets-Klassik-Hochzeiten feierte, mit pointierten Einwürfen aus der Elektro-Abteilung des Öfteren ins Schwarze. Voll in seinem Element, haut der Composer gleich mehrfach mit der Soundtrack-Keule auf den Tisch ("Never Go Back", "Lacrymosa", "The End Of The Dream").
Das Ende vom Lied: Statt Amy Lee und Co steht nach 65 Minuten Spielzeit ein Mann im Rampenlicht, der eigentlich nur im Hintergrund die Strippen ziehen sollte. So fungiert David Campbell auf "Synthesis" als Retter eines ambitionierten Back-Catalogue-Projekts, in dem die eigentlichen Urheber ungewollt zu Randfiguren degradiert werden.
4 Kommentare mit einer Antwort
Ohne verzerrte Gitarren? Ihr mich auch. xD
Zum Glück lässt sich über Geschmack streiten!! Ich finde die neue Scheibe brilliant und liebe die Hammer Stimme von Amy! Freue mich jetzt schon darauf, bei den nächsten Sonnenstrahlen im Cabrio meine Runden zu drehen und dabei dieses Klasse Album zu hören! Von mir mindestens 4****!
Jetzt sag nicht, du hast'n DeLorean und dein Onkel ist Doc Brown.^^
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
evanescence standen sich schon immer selbst im weg. die überwiegende mehrzahl ihrer tracks sind höchstens dutzendware, die man clever für den us-markt kompatibel aufbrezelt, dafür aber im identitätslosen meer ähnlich gearteter combos versinkt, die pseudodüster und pseudorockend in billiger musical-theatralik vor sich hindudeln.
und wenn alle 10 jahre mal übersongs wie "my immortal" rausspringen, versagt amy lee gesanglich. nicht etwa, weil sie nicht singen könne. sondern weil sie ihren handwerklich perfekten gesang stets mit einem timbre anschlägt, dessen klinische, keimfreie kälte jede wärme und jeden charakter aus der nummer verbannt.
deshalb klingen etliche top 40 und privaten cover von hobbybands bzgl des tracks auch oft fesselnder als amy, sofern diese mit charakter und wärme in der stimme operieren.
der inbegriff des mittelmaßes.