laut.de-Kritik
Die Daughter-Sängerin durchleuchtet ihre Seele.
Review von Rinko HeidrichNicht sehr viel ist ekliger als der November. Guns N' Roses besangen den kalten Regen in dieser Jahreszeit. "And it's hard to hold a candle/In the cold November rain". Es ist die Zeit von Trübsal und Schwermütigkeit. Die Londoner Band Daughter veröffentlichte vor sieben Jahren das ultimative Melancholie-Album "If You Leave", was danach zur Blaupause für viele traurige Indie-Bands wurde, aber nie wirklich an das immer noch großartige Debüt heran reichte. Schon damals stand die Stimme von Sängerin Elena Tonra im Mittelpunkt, die im Gegensatz zu ihren lakonisch nuschelnden Epigonen grundsätzlich eine Passion in all den schmerzhaften Abschieds-Song verbreitet.
Ihr Debüt-Album "Ex:Re", gleichzeitig auch das Künstler-Pseudonym, behandelt wieder das Thema Abschied, die darauf folgenden Leere, aber auch der künstlerische Prozess als Selbstheilung. Der Albumtitel kann als Regarding Ex, bezüglich Ex oder als die englische Bezeichnung für Röntgenstrahlung, X-Ray, interpretiert werden. Beides passt sehr gut zu dieser sehr überraschenden Veröffentlichung, die erst ein paar Tage vor Release bekannt gegeben wurde.
"Romance", die erste Single-Veröffentlichung, klingt wahrscheinlich nach dem traurigsten Dance-Track des Jahres und wirkt trotzdem nicht wie eine kühle Industrial-Nummer. Ein sanfter Club-Beat, der wie Herzklopfen klingt sowie die einfühlsame Stimme von Elena Tonra hauchen dem puristischen Electro-Folk Leben ein, auch wenn "Romance" als 'dead and gone' gilt.
"Er fühlt sich nur noch wie eine Art Geist an", sagt sie über ihren Ex-Freund. Tatsächlich klingen viele der zehn Songs etwas unwirklich. Über ihnen schwebt manchmal nur eine entrückte Stimme- Dank des Ambient-Sounds fühlt sich das in der Tat körperlos an. Goth-Pop wird es tatsächlich in "I Can`t Keep You", ein "Dear Prudence"-Update von Siouxsie and the Banshees für das 21. Jahrhundert. Nicht so anstrengend wie Zola Jesus und dynamischer als viele der zuletzt erschienen Dreampop-Alben.
"Ex:Re" mag manchmal bedrückend wirken. Das theatralische Album-Cover mit einer leidenden Sängerin hinter Regentropfen-Fassade verstärkt diesen Eindruck noch, fällt aber nie in emotionslose Depression. Nur in "Liar" gewinnt die Maschine und dreht sich mit Loops fast drei Minuten nur um sich selbst. Nicht wirklich notwendig und schade um die Songwriter-Qualitäten, die sie in "Crushing" unter Beweis stellt. Eine grungige Folk-Rock-Nummer, die 4AD-Labelfreund und Produzent Fabian Prynn wie die anderen Tracks produzierte und trotz Lo-Fi-Arrangement nie betont kratzbürstig oder unnahbar klingt. X-Ray, die bereits angesprochene Röntgen-Assoziation für Ex:Re, legt die Gefühlswelt für alle frei und durchleuchtet die Künstlerin in der ersten Phase der Verzweiflung, aber auch beim Kampf dagegen. oder wie Daughter-Sängerin selbst erkennt: "Wenn ich dieses Album nicht gemacht hätte, würde ich mir immer noch falsche Hoffnungen machen".
Mit ihrem reduzierten Sound entfernt sich Elena Tonra nicht sehr weit vom Daughter-Klangkosmos. Die sensible Künstlerin beweist mit ihrem Debüt, dass sie jederzeit ohne ihre Band auskommt. Was das für die Zukunft bedeutet ist ungewiss, aber Ex:Re ist genau jetzt das Winter-Album, dass alle verletzten Menschen benötigen.
2 Kommentare
Grossartige Platte, die wunderbar den Punkt zwischen Melancholie und Drive trifft. Diese Stimme allein! Zart, zerbrechlich, fast anklagend, und dann doch wieder aufheulend, fast kämpferisch.
Dies trifft auf ein wunderbares Gefühl für Melodie, das klare Songstrukturen nach vorne treibt.
Ein sehr persönliches Album, das auch sehr persönlich wirkt. Es ist selten, dass eine Platte so intim wirkt. Der warme Timbre zieht sich sowohl durch die langsamen wie auch durch die fast schon tanzbaren Stücke.
Eine Winterplatte mit Ausblick in den Frühling.
Wird gecheckt. Da ich gerade sowieso wieder viel Trespassers William hoere, passt das sicher gut rein.