laut.de-Kritik
Vom Stolpern, Scheitern und wieder Aufstehen.
Review von Yan VogelEigentlich muss man in jede betriebswirtschaftliche Kalkulation eine Sackgassen-Pauschale einrechnen. Leben heißt, beständig das Unerwartete zu erwarten. Derek William Dick, besser bekannt als Fish, hat dies Zeit seines Lebens zu spüren bekommen. Insbesondere in den letzten Jahren häuften sich mit dem Tod seines Vaters, der Demenzerkrankung seiner Mutter sowie eigenen gesundheitlichen Gebrechen die Schicksalsschläge.
Mit baumgroßen, knorrigen Schotten verbindet man Stabilität. Der Sänger in der Tradition eines Peter Gabriel oder Phil Collins hingegen machte noch nie einen Hehl aus der Fragilität, in die sein Dasein gebettet ist. Jahrelang lebte er nach der Maxime, Alkohol sei die flüssige Version von Photoshop.
Manche veröffentlichen zum Abschied ins Rentendasein eine Hit-Retrospektive oder eine Autobiografie. Fish kredenzt ein Doppelalbum mit dem gewichtigen Titel "Weltschmerz". Im Kreislauf aus Fakten und Gefühlen schwenkt das Pendel mal in Richtung seiner Solokarriere, mal zurück zu seiner Ex-Combo Marillion. "Do you remember?"
"Weltschmerz" erscheint auf dem nach einer schottischen Redewendung benannten eigenen Label Chocolat Frog Records. Für die meisten Songs zeichnet das Duo Vantsis/Boult verantwortlich, einen Großteil der Arrangements hat Calum Malcome erarbeitet.
Das Storytelling provoziert förmlich Bob Dylan-Vergleiche. Literaturnobelpreis statt Grammy, so lautet die Devise von Bob. Bei Fish sind die Kompositionen nicht nur Begleiterscheinungen, die Koinzidenz aus Musik und Text ist ohrenfällig. Mit Blick auf die Fasslichkeit bewegt sich die Band näher am Art- als am Progrock. Es gibt wenige ausgefallene Solo-Passagen, die Taktarten sind in den meisten Fällen geradeaus. Als Referenzen dienen IQ, Lazuli, Genesis oder auch Porcupine Tree/Steven Wilson mit "In Absentia" oder "To The Bone".
Der Frontmann spielt mit textlichen Feinheiten, wie das mehrdeutige "Man With A Stick" beweist: der Stock als Stütze und Schlagwerk, willkommen in der Welt der Dialektik. Müßig zu erwähnen, dass das Intro mit Drumstick und reduzierter Percussion das Thema der Lyrics aufgreift. Ein Hauch von "I Can't Dance" ist auch nicht von der Hand zu weisen, gerade wenn die pointierte E-Gitarre einsetzt.
Der Opener stellt der vermeintlichen Größe Gottes das Wirken im Verborgenen gegenüber. Gekonnt illustrieren sinfonische Elemente die Licht- und Schatteneffekte. Die Musik als beschwerliche Reise erreicht ihre Klimax in "The Rose Of Damascus". Hier beschreibt Fish das Leid eines syrischen Flüchtlings und schildert, dass diese Menschen ihre Heimat verlassen, weil es ihnen dort beschissen geht, nicht weil sie irgendeine Gesellschaft zerstören wollen, wie manche Ewiggestrige zu glauben meinen.
Darf man noch Lieder mit den Akkorden A - F - D spielen? Nach dem intensiven Nachspüren dieses Meisterwerks lautet die Antwort: NEIN! Fish rezitiert in den sphärischen Parts mehr als er singt, was das traumatische Taumeln in Richtung Hoffnungsschimmer umso eindringlicher wirken lässt.
"Walking On Eggshells" hat etwas von den früheren U2: emphatisch, hymnisch, und doch erbaulich. "This Party's Over" mischt Paul Simons "Graceland" mit Folk-Rock in einem überfüllten Pub. Von der Denke und Struktur atmet "Waverly Steps" Americana-Luft, wie sie Tom Petty mit seiner geschundenen Seele und Lunge prägte und The War On Drugs ins Longtrack-Format überführten. Die krachige Brass-Sektion erinnert zudem an The Whos "Tommy"-Ouvertüre.
Hier spannt der 62-Jährige den Bogen bis in die Kindheit, als er zum erstem Mal Bekanntschaft mit dem schwarzen Hund gemacht hat, wie einst Winston Churchill bildhaft seine Depressionen umschrieben hat. Ex-Van der Graaf Generator-Mitglied David Jackson veredelt mit seinem Saxophon-Spiel, das beständig zwischen Anmut und Anarchie pendelt, den Longtrack "Little Man What Now?"
"She's lost between the here and now, somewhere that she can't be found, but she is still here." Ein Lied über das langsame Verschwinden des Gedächtnisses. Die Piano-Ballade "Garden Of Remembrance", ein zartes Stück Schönheit, droht vor Melancholie zu bersten. Komponiert hat die Nummer übringens John Mitchell, der mit seinem jüngsten Lonely Robot-Release "Feelings Are Good" ein Händchen für unwiderstehliche Melodien bewiesen hat.
Im dazu gehörigen Video sitzt der Sänger in einer Galerie, flankiert von Bildern aus seinem Leben. Diese Sequenzen untermalt eine zweite Bildebene, die ein Paar zeigt. Die beiden sind sich ganz nah, und doch getrennt von einer durchsichtigen Wand. In der letzten Einstellung kullert dem bärbeißigen Sänger eine Träne über die Wange, und seine Mutter legt ihm die Hände auf die Schultern. Hall und Sequenzer bilden die Klangebene, die in die Ewigkeit adriftet.
Raum und Resonanz.
Einatmen, ausatmen.
Ein Mensch seiner Zeit.
Einfach da, und dann weg.
Goodbye, Fish!
5 Kommentare mit 8 Antworten
Endlich das neue Album von Fish. Mein Hirn springt in einem Reflex sofort zurück zu alten Glanztaten....Fugazi...Script...von mir aus auch noch Johnny Punter...Das Artwork...wie immer grandios...Dann schleichen sich Zweifel ein...ich höre Fish live ..äh...singen....und ich denke an all die letzten Outputs mit großartigem Artwork, die ich ohne den Schriftzug "Fish" auf dem Cover niemals mehr als zweimal gehört hätte...
Aber egal, rein die letzte Scheibe...und...töööörööööö, Trommelwirbel: Es ist (leider)wie immer. Großartiges Artwork, großartige Texte, öde Mucke. Es tut mir leid, bei mir bleibt da nix hängen. Fish singt/spricht in der immer gleichen Tonlage, mehr geht nicht mehr, die Musik ist -für mich- genauso langweilig auf professionellem Niveau wie auf der letzten Scheibe. Und der Vorletzten. Und der Vorvorletzten....Solos fallen aus und wenn sie da sind dann sind sie halt weit weg, von einfach geilen Soli, oder Ohrwürmern, oder technischen Finessen... Das könnte auch der Günther aus der Coverband von nebenan sein...
Aber was tu ich? Ich höre es jetzt nochmal. Auch wenn ich das Ergebnis schon kenne. Dann leg ich sie wieder weg und in drei Monaten grab ich sie aus...weil das Cover ist so geil, und es ist ja Fish....und leg sie wieder ein...und es wird wieder das gleiche Ergebnis sein....und in einem Jahr....das Gleiche....
Sorry Fish, genieß die Rente, hast Du verdient. Es gab viel Großartiges, als Stimme und Band noch auf Weltklasse-Niveau waren!
Jetzt leg ich ewig Gestriger nochmal die Script ein und nehm nochmal alles was geht: Genialer, einzigartiger Gesang, geniale Band...ok, das Schlagzeug wars noch nicht ...großartige Texte, Ohrwurmsoli......ein Traum, bis heute!
@tomrush2112:
Ich versteh' gerade nicht, wie man einem Mann, der vier Jahre lang mit einer Band gesungen hat und dann je nach Auslegung ausgestiegen ist oder ausgestiegen wurde, 33 Jahre lang wegen irgendeines Artworks die Sachen abkauft, für die man sich nicht mehr begeistern kann, weil er halt eben nicht mehr dasselbe singt oder singen kann, das er auf den ersten beiden Alben der Band gebracht hat ...
Gruß
Skywise
Vielleicht - die Hoffnung stirbt zuletzt?
Genau!:-)Hoffnung, Sammler, Marillion-Fan..., Kunstbegeisterter, ...suchs Dir aus, Skywise...Vielleicht trifft es "Charlie Brown, Lucy und der Football" ganz gut....Der Ball ist halt am Ende doch immer wieder nicht mehr da, wo der Fuß trifft....
@tomrush2112:
Na gut, Sammler bin ich auch, aber ich wüßte jetzt keinen Künstler, von dem ich nicht bereit wäre, ihn "loszulassen", weil - Sammeln kostet Geld, und das Geld investiere ich lieber in solche Künstler, denen ich eine Chance geben möchte, als in die, denen ich schon oft genug eine Chance gegeben habe ...
Vielleicht bin ich auch einfach nur zu wenig Fan irgendeines Interpreten.
Gruß
Skywise
Ja, sehe ich auch so, alte "Heroen" haben da aber einen "Heroen-Bonus"....;-)
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
@Skywise:
Du kennst doch das alte Sprichwort. Gib einem Mann einen Fish und er findet allerhöchstens das Albumcover interessant. Bring ihn zu einem Phish-Konzert und er labert dir für den Rest seines Lebens einen an die Backe, was das doch für eine tolle Erfahrung war.
@Gleep Glorp:
Phish live - ❤ Gut dreieinhalb Stunden wildester Ritt durch viele Discographien, nicht nur die Phish-eigene, saumäßig viel Spielfreude - jederzeit wieder.
Fish - och, ich mag die "Vigil" und die "Raingods With Zippos" wirklich sehr, bei einigen anderen seiner Alben haben auch die Cover nicht gezogen (im Gegenteil eigentlich - bei "Sunsets On Empires" hat eher der Name Steven Wilson im Kleingedruckten zum Kauf beigetragen als die Aufmachung). Ich glaub', daß Fish zwar einiges eingebüßt hat in Sachen Gesang, und musikalisch manch beherzten Griff ins Klo hinter sich hat, aber er trotzdem vergleichsweise konstant geblieben ist, was die Qualität seiner Texte angeht, und ich glaube, daß man damit (und mit den drei oben genannten Alben) durchaus noch Leute ködern kann, auch wenn diese die Cover nicht kennen ...
Gruß
Skywise
Ein solides Album. Dachte schon, dass nach "A Feast Of Consequences" das Pulver verschossen ist, aber Fish hat nochmal nachgelegt. Ich mag seinen beruhigenden Gesang und vermisse die stimmlichen Fähigekiten aus der Marillion-Ära nicht, alles hat seine Zeit. Ein Album für verregnete Herbsttage und einen vollmundigen Rotwein.
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Tja... ich schließe mich im großen und ganzen tomrush2112 an. Ich mag die ruhigen "Erzähltracks", das kam schon auf Raingods gut rüber. Allerdings schließe ich mich auch meiner Freundin an, wenn Sie sagt "die Stücke klangen oft, als hätte man sie von ihm schon mal gehört".
Das Album ist nicht schlecht, leicht langweilig und "robbt" vor sich hin.
Ich mag Little Man what now sehr, und The Party is over funktioniert als Video sehr gut.
Der gute Fisch scheint sich sehr über das Album zu freuen, mir würde der Abschied schwerer fallen, wenn er noch mal ein Sunsets On Empire oder Felinidays abgeliefert hätte. So gesehen kann man ihn mit diesem Album gut in die Rente entlassen.
Coverart der Weltschmerz finde ich ganz groß, ich habe mir auch die LP bestellt, wo es richtig gut kommt.
Oh, welch wohltuende Kommentare. Und jeder hat seine Sicht auf den Herrn Fish. Die Cover, die tatsächliche Kunst von Wilkinson, es sind die Rahmen, die die Standarts setzen.
Doch auch bei mir ist es die Hoffnung auf eine erneute Offenbarung. Die sich leider nicht mehr einstellt. Seit der Raingods hat sich keine Türe mehr aufgetan, die meine inneren Saiten zum Schwingen brachten. Aber auch dieser kleine Lichtblick ist Grund für Dankbarkeit an diesen Künstler, der durch seine Texte und Auftritte seine Fans prägte.
Aber vielleicht ist tatsächlich alles einmal vorbei. Und Fish ist ausgebrannt. Der Weltschmerz bleibt, aber sowohl auf den Tonträgern als auch auf der Bühne wird er blasser. Und verblasst.
Der Dank bis zur Internal Exile und für die kleinen Lichten Augenblicke danach bleibt. Das hat kein anderer geschafft.
take care!