laut.de-Kritik

Das Beste aus den 90ern und das Beste von heute.

Review von

Wir befinden uns mitten in einer Zeitenwende. Im Netz gilt es inzwischen als salonfähig, Creed ganz unironisch abzufeiern, Limp Bizkit bekommen unter ihren Videos den Status als Metal-Clowns abgesprochen, und in den Reels auf Instagram tummeln sich nostalgische Zehnsekünder mit Baggymode und Retrofilter zu Deftones-Songs.

Die Neunziger schwappen mit ihrer Ästhetik momentan über uns herein - begleitet von einer etwas verklärten Sehnsucht nach einer simpleren Zeit vor Social Media und den Krisen der jüngsten Vergangenheit. Als Fontaines D.C. in ihrer Ankündigung des neuen Albums "Romance" verlauten ließen, sie hätten sich von Korn beeinflussen lassen und die Songs seien durchsetzt von Nu Metal und Hip Hop, passte das zwar in diesen Trend, es war angesichts ihres früheren Outputs aber schwer vorstellbar. Schließlich wartete das großartige "Skinty Fia" noch mit Akkordeon und klassischen Post Punk-Vibes auf.

Nun hat sich Frontmann Grian Chatten keine Red Cap aufgesetzt, und auf der Gitarre von Carlos O'Connell wabbeln auch keine Drop Tuning-Saiten herum. Die Neuausrichtung auf "Romance" gestaltet sich nicht als brachialer Richtungswechsel. Fontaines D.C. lassen die neuen Einflüsse vielmehr nuanciert in ihren Sound zwischen Post Punk und lyrischer Tiefe einfließen. Die Iren schauen zwar immer mal wieder in den Rückspiegel auf die Alternative-Welt der Neunziger, die Fahrt geht aber kompromisslos geradeaus in neue Soundgefilde.

Wie sich die anhören, macht der Opener und Titeltrack direkt deutlich. Auf dunklen Synthie-Teppichen schleicht sich die Band an, bis alles in einem Feedback-Crescendo mit brachialem Wummern aus der Trickkiste Hans Zimmers zerfließt. Hier schießen nun Assoziationen zu Depeche Mode in den Kopf, wo es bei den früheren Werken eher Vorbilder wie The Fall waren. Produzent James Ford, der auch für "Memento Mori" im Studio saß, fügt Fontaines D.C. eine bisher nicht erforschte Dimension hinzu.

In der ersten Single "Starburster", in der Chatten wie in einer Panikattacke durch den Song hechelt, zeichnen sich die Parallelen zu Korn und ihrem ähnlich unter Strom stehenden Sänger Jonathan Davis am deutlichsten ab. Tom Colls Drums prügeln den gestressten Chatten unbarmherzig nach vorne, während im Hintergrund eine Spur Streicher langsam ausleiert. Mit diesem Crossover-Ausflug zeigen sich Fontaines D.C. so wuchtig wie nie zuvor, bis der Song nach einer dichten Sound-Kaskade aus Gitarre und Synthesizern erstickt.

"Here's The Thing" nimmt gleich darauf die Abbiegung zum klassischen Alternative Rock und erinnert mit der fusselig verzerrten Gitarre und dem beschwingten Chorus eher an die Weezer-Hochzeiten als an manische Nu Metal-Episoden. Der vom Bass getriebene Post Punk aus ihren ersten drei Alben wirkt hier schon fast vergessen, wenn sich die Band herrlich schrill die Retrowelle surft. Ihr Kern, der schon immer auch aus großen Emotionen bestand, geht dabei aber nicht verloren.

Diese Emotionen brechen besonders in der wundervollen Britpop-Ballade "In The Modern World" heraus. Der Song reckt sich langsam mit einer Akustikgitarre und zarten Streichern bis zum Refrain, in dem ein Chor Chattens Gesang federweich umschließt. "I don't feel anything in the modern world" stellt Chatten resigniert fest. Ging es auf "Skinty Fia" noch um den Kulturschock, den die Iren nach ihrem Umzug nach London erlebt hatten, vergrößert "Romance" den Blickwinkel und vertont eindringlich die Widrigkeiten der heutigen Zeit für jeden einzelnen.

Bei "Bug", einem zuckrigen Stück zwischen Indierock und Post Punk, wehte bei den Aufnahmen ein Hauch von The Smiths durch das Studio. Die Band bewegt sich noch nah an ihrem Ursprungssound, der hier wie auf Wolken voranschreitet. Die Harmonien, die Fontaines D.C. in ihren Stücken entfalten, bleiben auch auf "Romance" ein Genuss. Auf der Gegenseite erschaffen sie auch immer wieder bedrohliche Klangbilder wie auf "Motorcycle Boy", das sich mit einem geisterhaften Voice Sample und repetetiven Saitenschlägen in den Weg stellt.

In der sanften Ballade "Horseness Is The Whatness" mäandern Streicher und Gitarre zu Chattens Sinnkrise: "Will someone find out what the world is / What makes the world go round / 'Cause I thought it was love / But some say that it has to be choice". Auf "Death Kink" wenden sich Fontaines D.C. dem Grunge zu, und man könnte kurz denken, Chatten stamme aus Seattle und nicht aus Irland. Mit einer Zerre aus dem pazifischen Nordwesten schleppt sich der Song lakonisch voran.

Mit dem Closer "Favourite" hauen die Iren noch einen ihrer besten Lovesongs heraus. Zu dem spritzigen Ohrwurm-Riff singt Chatten "But if there was lightning in me / You'd know who it was for". Das Herz schlägt direkt leichter und die Laune steigt proportional am Ende dieser Reise durch die Landschaften des Alternatives.

Es wirkt wie ein Befreiungsschlag, den Fontaines D.C. hier vollzogen haben. Anstatt den markanten Sound ihrer ersten drei Alben nur noch aufzuwärmen, haben sie sich auf "Romance" neuen Impressionen geöffnet, und dieser Plan ging mit vollem Erfolg auf. Die Band wirkt taufrisch, überrascht mit mitreißenden Klangexperimenten und verliert sich dabei zu keinem Zeitpunkt selbst. Hier gibt es keine Nostalgie, sondern nur Lust auf die Zukunft.

Trackliste

  1. 1. Romance
  2. 2. Starburster
  3. 3. Here's The Thing
  4. 4. Desire
  5. 5. In The Modern World
  6. 6. Bug
  7. 7. Motorcycle Boy
  8. 8. Sundowner
  9. 9. Horseness Is The Whatness
  10. 10. Death Kink
  11. 11. Favourite

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