laut.de-Kritik
Songzeilen, die zahlreiche Arme, Brüste und Beine zieren.
Review von Andreas DittmannDa steht dieser dürre, tätowierte Brite mit seiner Akustik-Gitarre auf der Bühne, spielt mit seiner total uncoolen Band eigentlich echt unspektakuläre Songs zwischen Punk, Country, Folk und Songwriter-Pop und das ausverkaufte Wembley-Stadion rastet komplett aus.
Während man so da sitzt und sich das Live-Spektakel auf DVD reinzieht, fragt man sich unweigerlich: Warum zum Henker ist Frank Turner so dermaßen beliebt und erfolgreich? Sind es Textzeilen wie "No one gets remembered for the things they didn't do" oder "I'm definitely going to hell / but I've got all the best stories to tell"? Zeilen, die bereits zahlreiche Arme, Brüste und Beine zieren. Zeilen, die Tausende auf den Festivals dieser Welt mit Inbrunst gebrüllt haben.
Zeilen, die Mut machen, das Leben, das Universum und den ganzen Rest nicht so ernst zu nehmen wie die Gesellschaft es oft verlangt. Oder ist es die Musik, die zwar nichts besonderes ist, aber immer genau passt? Songs, die dich packen und auf den Boden werfen, dir aber immer wieder eine helfende Hand reichen, dich hochziehen und in die Luft werfen, damit du stagedivend mitgrölen kannst. Songs voller Kraft, Leidenschaft und Melodie.
Oder ist es Frank Turner selber? Ein sympathischer, schelmisch grinsender Brite, der für uns alle den Musiker-Traum lebt, ständig unterwegs zu sein, kein richtiges Zuhause zu haben und pausenlos Songs zu schreiben (sein Hardcore-Projekt Möngöl Hörde hat grade erst ein paar Tracks veröffentlicht, da kündigt er bereits sein nächstes Solo-Album an). Hinzu kommt, dass Frank auch auf der Bühne niemals den Rockstar raus hängen lässt und immer wieder betont, dass er im Prinzip einer von uns ist.
Einer der stundenlang in der Schlange steht, um in der vordersten Reihe zerquetscht zu werden. Und deswegen ist er auch jedem seiner "Background-Sänger vor der Bühne" unheimlich dankbar. Das alles macht ihn zu einer Art "Prince of Poetry Punk", wie der NME einmal geschrieben hat. Was auch immer dazu beiträgt, dass Turner auf der ganzen Welt gefeiert wird, Fakt ist, der Barde hat bereits verdammt viele großartige Lieder geschrieben. Und die Zuschauer im Wembley-Sadion können jede (!!!) verdammte Textzeile auswendig.
Angefangen mit "Not everyone grows up to be an astronaut" über "We're lovers and we're losers, we're heroes and we're pioneers" bis zum allerletzten "I will not grow up". Frank ist ein fantastischer Entertainer und weiß was er sagen muss, um auch den letzten in der hintersten Reihe auf seine Seite zu ziehen. Seine Band folgt ihm die ganzen zwei Stunden über brav i ebenso fantastischer Weise. Ob es das verzerrte Mandolinen-Solo bei "Photosynthesis", die wunderschöne Streicher-Begleitung bei "Long Live The Queen" oder einfach der permanente Groove-Teppich ist, den sie für ihren Chef ausrollt: Die Sleeping Souls sind eine klasse Backing-Band.
Aber auch alleine meistert der Songwriter die schwierige Aufgabe, auf dieser riesigen Bühne nicht verloren zu wirken. Großartig zum Beispiel, wie er bei "Dan's Song" seine Mutter auf die Bühne bittet, um sie ein Mundharmonika-Solo spielen zu lassen. Dass hier das Publikum ausrastet ist klar. Einige Songs später holt er Billy Bragg zu sich hoch und schmettert mit ihm ein heißeres "The Times They Are A-Changin'". Kurz davor lässt er sich noch backstage ein Tattoo stechen, bevor die Show mit einem lauten Knall und viel Konfetti endet.
Und weil eine Live-DVD allein noch nicht genug ist, gibt es obendrauf noch ein feines Best-Of mit Studio-Versionen auf CD. Da tummeln sich dann all die großen Hits, damit der Unkundige fürs nächste Konzert ordentlich üben kann und wenigstens die wichtigsten Songs kennt: "The Ballad Of Me And My Friend", "I Knew Prufrock Before He Got Famous" und "Long Live The The Queen" zum Beispiel. Eine gute und abwechslungsreiche Mischung aus allen seinen bisherigen Alben. Spätestens jetzt sollte man also Frank Turner-Fan werden, denn der Typ hat das Leben wirklich verstanden: "Life is about love, last minutes and lost evenings."
2 Kommentare
"Not everyone can be - Freddie Mercury... everyone can raise a glass and sing"
Den Mann muss man als Brite doch lieben. Für mich einfach Gute-Laune-Musik!
@hoshi: nee, wegen solchen Typen wünscht man sich Brite zu sein, ich jedenfalls!