14. Dezember 2009

"Sogar wir werden erwachsen!"

Interview geführt von

Mit den Schweden ist gut Bier trinken. Über 100 deutsche Sorten haben sie ihren Schätzungen nach schon probiert. Die Leberwerte sind ok. Nur reden tun Friska Viljor davon nicht so gerne. Haben ja auch viel Klügeres zu erzählen: von Eifersucht und Zufriedenheit, innerem Frieden und menschlichen Schwächen.Langsam bewegt sich der Zeiger nach vorn. Klappert nach und nach die Striche ab. Erst 25. Dann 40. 50. 55. Außer dem Minutenzeiger an der Uhr steht die Welt still. Der Raum bleibt kalt. Das Licht schummerig. Und von Friska Viljor keine Spur. Schon eine Stunde lassen sie auf sich warten. Der Veranstalter war erst genervt, dann ratlos. Friska Viljor sind trotzdem nicht zu erreichen. Echte Rockstars eben.

Stimmen im Vorraum. Zwei Mädchen reden Schwedisch. Tragen Sachen herein. Koffer. Kisten. Instrumente. Ein Mann mit Schiebermütze und hochgekrempelten Jeans. Auch er schleppt Equipment. Von Friska Viljor keine Spur. Echte Rockstars lassen tragen.

Daniel trifft zuerst ein. Etwas gestresst. Mit leicht fettigem Haar und Augenringen. Zurückhaltend, aber dennoch freundlich. Genau wie Joakim, der schüchtern und nachdenklich wirkt. Zu Beginn fast gar nichts sagt und später doch noch seine Gedanken preisgibt. Beide sitzen sie auf der Couch, in Jeans, Hoodie und Strickjacke. Ein Bier in der Hand. Lässig. Locker. Echte Rockstars eben.

Joakim Sveningsson und Daniel Johansson. Friska Viljor. Bekannt geworden als Band, die ihren Herzschmerz in Alkohol ertränkte, in diesem Zustand ihr erstes Album aufnahm – und dann beschloss, nie wieder nüchtern in ein Studio zu gehen. Echte Rockstars eben.

Die Aufklärung folgt. Der Zoll hielt Friska Viljor auf. Es tue ihnen sehr leid, sagt Daniel lächelnd und mit einer Umarmung. Eines der Mädchen: Daniels Freundin und Mutter seines zehn Monate alten Sohnes. Lena Malmborg. Außerdem Sängerin und mit ihrer Band als Vorgruppe dabei. Der Schiebermützentyp: Schlagzeuger von Friska Viljor. Auch er tritt als William The Contractor im Programm auf. Ole, Daniels kleiner Junge, begleitet die Band. Joakim ist ganz verrückt nach ihm. Echte Familienbande eben.

Ich hab mir im Vorfeld ein paar andere Interviews mit euch angeschaut. Ihr wirkt ein bisschen genervt von eurem Image. Man stellt euch als dauerbetrunken dar.

Daniel: Oh toll. Und jetzt sitzen wir hier mit unserem Bier.

Aber ist das richtig? Nervt euch das?

Daniel: Nein, nein. Ich denke, das ist unsere eigene Schuld. Schließlich haben wir diese Pressemitteilung zum ersten Album und unsere damalige Biografie selbst geschrieben. Aber so wars halt zu der Zeit. Das war nur die Reflektion der Wahrheit. Für Journalisten ist es dann einfach - die bleiben dabei und nehmen es als eine Art Slogan.

Die Trunkenbolde Friska Viljor?

Daniel: Ja, genau. Es nervt ein bisschen, dass wir inzwischen schon zwei weitere Alben rausgebracht haben – und auch zwei neue Pressemitteilungen. Trotzdem kommen die immer wieder darauf zurück. Und heute haben wir rausgefunden, dass unser deutsches Label die neueste Presseinfo mit der ersten vermischt hat. Also wieder Alkohol und Trennung.

Bereut ihr die Aussage inzwischen?

Daniel: Nein, überhaupt nicht. Es ist Teil unserer Geschichte. Du solltest so etwas nicht bereuen. Keine Entschuldigungen. So ist das Leben, weißt du. Das Wichtigste ist, nicht in der Vergangenheit zu leben.

Aber jetzt wollt ihr dann doch lieber ein anderes Image?

Joakim: Nein. Es geht hier nicht ums Image. Alles, was im Leben passiert, ist eine natürliche Abfolge von einer Sache zur nächsten.

Daniel: Es fühlt sich sehr eindimensional an, wenn nach drei Jahren immer noch die gleiche Frage zu gebrochenen Herzen und Alkohol gestellt wird. Seitdem ist so viel passiert.

Das Leben bietet mehr als Herzschmerz.

Reden wir über das neue Album. Auf dem Cover seid ihr wie wahre Gentlemen aus dem 19. Jahrhundert gekleidet. Privat zieht ihr euch doch eher casual an. Wie kamt ihr darauf? Das ist doch ein sehr großer Unterschied.

Daniel: Wir haben das nicht gemacht. Ein guter Freund von uns ist ein Grafikgenie. Der hat uns gefragt, ob er unser nächstes Cover gestalten könnte. Und wir so: Klar. Er fragte: Habt ihr irgendwelche Wünsche? Nö. Er kam wieder, zeigte uns dieses – und das wars einfach.

Und könnt ihr das Cover auch auf eure jetzige Musik beziehen? Ist die mehr gentlemenlike als früher?

Joakim: Ja, vielleicht ist das so.

(Daniel lacht laut los)

Joakim: Vielleicht liegt es am Erwachsenwerden. Ich meine, nun ja, wir sind jetzt... ein Jahr älter.

Daniel (lacht): Ja. Wir wurden ein bisschen nostalgisch. (Verstellt seine Stimme) Oh, erinnerst du dich noch ans 19. Jahrhundert?

(Beide lachen)

Joakim (verstellt auch seine Stimme): Das waren noch gute Zeiten.

(Lachen wieder)

Seid ihr neuen Themen gegenüber in der Musik jetzt auch aufgeschlossener?

Joakim: Eigentlich waren wir schon immer allen Themen gegenüber offen. Wir haben uns nur auf manche Sachen mehr eingelassen als auf andere. Eben auf solche, die unser Leben dominieren. Deswegen denke ich, dass wir das Leben jetzt unter mehr Gesichtspunkten betrachten als ...

Daniel:... Herzschmerz. ..

Joakim: Ja, verlorene Liebe eben. Jetzt sind wir schon offener.

Und über was würdet ihr gerne noch schreiben?

Joakim: Da gibt es viel. Wenn ich rausfinde, was es ist, dann werd ich darüber einen Song verfassen.

Also im Moment keine Ideen?

Joakim: Nein, im Moment ist mein Kopf ziemlich leer.

Daniel: Was ist mit Tiersex? Darüber haben wir doch geredet.

(Beide lachen)

Ähm. Nun gut. Also weiter. Ich weiß jetzt nicht, ob ihr das fabriziert habt oder euer Label in Deutschland. Jedenfalls beschreibt der Promotext eure heutige Musik als einen Wechsel von euphorischen, Up-Beat-Refrains hin zu Tiefe und Seriosität.

Daniel: Das stammt von uns. Dann haben die ja doch Teile davon verwendet.

Warum seid ihr jetzt so anders?

Joakim: Wir haben uns nicht völlig verändert, es kamen nur neue Elemente hinzu. Das war von uns wahrscheinlich schlecht beschrieben. Vielleicht waren wir der anderen Themen einfach überdrüssig – wir haben diese Gebrochenes-Herz-Sache ja schon gemacht. Dadurch, dass man so viel darüber redet, löst sich das Problem irgendwie von ganz allein und es treten neue Dinge ins Leben. Daniel hat jetzt zum Beispiel eine Familie. Ja, sogar wir werden erwachsen (lacht).

Seid ihr also glücklicher als zu der Zeit des ersten Albums?

Joakim: Generell würde ich mal ja sagen. Aber es ist kein Ja aus voller Überzeugung.

Daniel: Ich meine, keine Ahnung. Das hört sich vielleicht komisch an. Aber ich denke, Menschen, die behaupten, sie seien vollkommen glücklich, sind einfach Lügner. Oder verdammt langweilige Leute. (Überlegt kurz) Oder sehr glücklich.

Oder sehr optimistisch?

Daniel: Ja. Und ziemlich langweilig (lacht). Denn im Leben gibt es immer Dinge, mit denen du nicht zufrieden sein solltest. Eher ändert sich deine eigene Perspektive darauf, was schlecht läuft.

Und wann ist Songschreiben leichter? Wenn ihr traurig seid oder glücklich?

Daniel: Wenn ich glücklich bin, kriege ich gar nichts zustande.

Joakim: Ja, das ist ziemlich unmöglich.

Einige eurer Songs klingen aber dennoch ziemlich fröhlich.

Joakim: Alle unsere Songs schreiben wir, wenn wir gerade nicht glücklich sind, aber nach Glück suchen.

Daniel: Joakim kommt manchmal mit fertigen Lyrics an, manchmal auch nur mit vagen Vorstellungen dazu oder auch einem Thema. Dann können wir die Musik als Stimmungsmittel einsetzen.

Warum klappt das nicht, wenn man gut drauf ist?

Joakim: Man findet dann keine Inspiration. Das ist echt komisch.

Daniel: Wenn du glücklich bist, willst du raus gehen. Mit Leuten rumhängen. Und eben nicht im Studio sitzen und arbeiten. Ich denke, dass ist in allen Formen der Kunst so. Maler zum Beispiel, die schmeißen ihr soziales Leben oder ihr Liebesleben völlig hin, um wieder eine Muse zu finden. Das ist nicht immer lustig, aber es steckt doch Wahrheit darin.

"Meine Leberwerte sind in Ordnung."

In eurem neuen Song "People Are Getting Old" singt ihr über ein normales Leben. Also mit Haus, Kind und Kegel, einer Arbeit von neun bis fünf jeden Tag. Wünscht ihr euch das auch manchmal?

Joakim: Der Song ist eigentlich eher über Freunde. Unsere Freunde werden immer älter, heiraten, bekommen Kinder. Sie machen quasi den letzten Schritt. (Sieht Daniel an) Oh, sorry.

Daniel (kichert): Den letzten Schritt. Haha.

Joakim: Sie sehen dem letzten Teil ihres Lebens entgegen. (Sieht wieder Daniel an, der lacht nur) Ich meine den nächsten Teil ihres Lebens. Sorry - schon wieder (beide lachen). Es geht eher darum, mit einem anderen Menschen zusammen zu sein und dieses Zusammensein auch zu genießen.

Daniel: Ich und unser Keyboarder fanden innerhalb von zwei Wochen heraus, dass wir Vater werden. Und dann auch noch unser Drummer.

Joakim: Und ein anderer Freund hat zu dem Zeitpunkt geheiratet. Da sind also viele Sachen bei meinen besten Freunden passiert. Ich schätze, ich war ein bisschen eifersüchtig und neidisch darauf, dass sie so glücklich sind. Und was sie gefunden haben. Ich hab mir eben gewünscht, auch so etwas zu besitzen.

Eine Laune? Oder ist das immer noch so?

Joakim: Inzwischen ist es ok. Aber ich wünsch mir immer noch so etwas zu bekommen, was Daniel und die anderen Jungs jetzt haben.

Und was fehlt euch sonst noch im Leben?

Joakim: Hm. Naja, also das, was ich dir gerade gesagt habe. Liebe. Und Sicherheit, innere Sicherheit. Da gibt es viel.

Daniel: Ich glaube, die Menschen haben eine große Schwäche. Sie kommen immer wieder an den Punkt, an dem sie sagen: Wenn ich das habe, und das noch – dann bin ich glücklich. Bekommen sie es, hält ihr Glück für ein paar Wochen an. Dann arrangieren sie sich damit. Ich glaube nicht, dass unser Gehirn dafür gemacht ist, Frieden zu finden. Da gibt es so einen Typen, der hat ein echt gutes Buch darüber geschrieben. Leider hab ich seinen Namen gerade nicht im Kopf. Jedenfalls führte er wissenschaftliche Studien und fand heraus, dass das Gehirn nach einer Weile wieder aufhört, bestimmte Hormone auszuschütten. Das ist fast wie diese kleinen Pillen, die dich glücklich machen.

(Beide lachen)

Wenn du also alles hast, bist du anfänglich glücklich. Irgendwann hört es auf zu arbeiten und du musst das nächste Level erreichen. Das ist einerseits ziemlich traurig – andererseits konnte sich die Menschheit erst dadurch so weit entwickeln. Obwohl das wirklich sehr unsexy ist – eigentlich sollte es nicht so schwer sein, glücklich zu sein. Ja, hm, ok, jetzt bin ich selbst ein bisschen verwirrt.

Ok.

Daniel: Aber hey, das war jetzt zum Beispiel echt ne richtig gute Frage.

Joakim: Wie lautet noch mal die Frage? Ich hab sie schon vergessen. Du hast so viel geredet, Daniel.

(Beide lachen)

Daniel: Sorry, ich weiß, blablabla. Ich hab gerade sieben Stunden lang mit Ole [seinem Sohn] rumgehangen. Und der kann nicht sprechen. (lacht)

Ihr tretet immer wieder in Deutschland auf. Ich habe euch auch schon ein paar Mal live gesehen und die Reaktion der Leute war immer sehr positiv. Habt ihr noch Angst davor, in Deutschland zu scheitern?

Joakim: Ich denke, eins der traurigsten Dinge im Leben eines Musikers ist, dass alles irgendwann mal endet. Darauf muss man immer vorbereitet sein. Aber jetzt im Moment haben wir keine Angst. Wir scheitern nicht.

Daniel: Wir sind im Moment einfach zu gut in dem, was wir tun. Wir sind nicht hochnäsig, versteh das nicht falsch.

Joakim: Wir wollen auch nicht angeben. Aber wir haben so viel Spaß miteinander auf der Bühne, deswegen wird es nie schief gehen.

Daniel: Wenn, dann liegt es daran, dass das Publikum einfach lahm ist. Was ich sage, könnte leicht missverstanden werden, oder?

Joakim: Er meint es nicht so Diven-artig.

Wie ist das in anderen Ländern? Sind die Leute da auch so euphorisch?

Joakim: Ich glaube, hier ist es ein bisschen extremer als anderswo. Aber in der Menge herrscht eigentlich immer gute Laune – egal, wo wir sind.

Daniel: Am Ende der Show ist es überall sehr ähnlich. Aber ich denke, hier haben wir zu Beginn schon leichtes Spiel, denn ganz viele Menschen können unsere Songs bereits mitsingen und lieben unsere Auftritte.

Und in eurer Heimat Schweden?

Joakim: Da ist es ähnlich. Zwar würde ich sagen, dass wir hier schon bekannter sind, aber es steigert sich. Wir arbeiten daran.

Wir sind jetzt fast am Ende des Interviews angelangt. Und da ich nun mal bei einem deutschen Magazin arbeite, muss ich euch einfach noch eine Alkoholfrage stellen. Wie viele deutsche Biersorten kennt ihr inzwischen?

Daniel: Schätzungsweise so viele, wie wir Gigs hier gespielt haben. Sagen wir mal, so um die hundert. Ich liebe Astra! Das hat nichts mit dem Geschmack zu tun. Es erinnert mich so sehr an unsere Zeit in Hamburg. Ich werde schon glücklich, wenn ich es in meiner Hand halten und anschauen kann.

Aber eure Leberwerte sind noch ok?

Joakim (lacht): Ja. Klar. Ich kenne meine, die sind in Ordnung.

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