laut.de-Kritik
Futurebae, Pastbae, ewiger Remix.
Review von Yannik GölzIrgendwann in den auslaufenden Pandemiejahren hat sich in der Grauzone zwischen Mainstream und Untergrund der Hyperpop als en vouge-Sound für deutsche Pop-Rap-Whatever-Artists eingebürgert. Man könnte bald wohl von einem regelrechten Subgenre sprechen; und haben wir zwar von "Ohne Benzin" abwärts inzwischen zahllose Singles, die sich in diesem Strom fest verankert haben, doch war es bislang nur maximal ein EP-Game. Die ohnehin vielversprechende Futurebae setzt nun mit "Berlin Love Affair" eines der ersten – und vielleicht definitiven – Alben-Statements für das, was unseren Sound akut sehr prägt.
"Berlin Love Affair" ist dabei aber erst mal – wie der Titel es schon vermuten lässt – vor allem eines: Es legt sich nicht allzu sehr fest. "Kommt mir irgendwas zu nah, mach ich damit Schluss", rappt sie auf dem Opener "Monster Unterm Bett", der Groove klingt getragen, die Staccato-Synths dafür aber nervös, fast ein bisschen neurotisch und der sich nach der Hook aufbauende Bass regelrecht bedrohlich. Dafür, dass man die Frau bisher vor allem vom relativ hohlen TikTok-Hit "Coca Cabana" kennt, ist das eine sehr unerwartete emotionale Dringlichkeit.
Futurebae geht in gehetztem Gang durch teils sehr widersprüchliche Facetten der Liebe. Hat sie auf vergangenen EPs schon mit dem Bild des Online-Datings gespielt, fühlt es sich doch ein bisschen so an, als würde man durch kleine Facetten von romantischen Sackgassen swipen. "LmaA:))" gibt einen Pop-Punk-Refrain gegen einen unfestlegbaren Fuckboy – rechtschaffendes Tic Tac Toe-Gepöbel gegen die immer wieder schönen Worte. Treibend, elektrisch, wohltuend. "Trostpflaster" dagegen versetzt sich in die Lage einer Frau, in der Schuldgefühle zu einer nicht ernstgemeinten Bounce-Back-Beziehung aufkeimen. Dass Futurebae sich traut, als Protagonistin so wie hier auch mal weniger gut wegzukommen – das macht die Narrative das Albums komplexer.
Generell profitiert sie als Künstlerin spürbar vom Albumformat. Die Songs scheinen weniger TikTok-Trieb an den Tag zu legen – und wenn sie weniger auf Hit schreibt, findet sie Komfort und Experimentierfreude in den Deep Cuts. "Automatisch^.^" ist endlos cozy, die Vocals und die Synths klingen wie eine Decke, hinter dem Chillectro-Groove versteckt sich ein bisschen Wir Sind Helden. Besonders der Outro "Bla*_*" fängt einen wunderbaren, tagträumerischen Psy-Groove in einem Pop-Framework auf.
Wenn es einen Fumble gibt, dann immer nur dann, wenn es dann doch ein bisschen zu nah an die Formeln oder Phrasen geht. "Berlin Love Affair" passiert das nur einmal, nämlich auf dem leider sehr klischeehaften "Slay Queen*", das sich ein bisschen sehr nach Jugendwort-des-Jahres-Core anfühlt, vor allem auch, weil Futurebae trotz aller Mode-Affinität sonst eigentlich nicht den Anschein erweckt, besonders involviert in superteure Modemarken oder Drake zu sein.
Dafür folgt zwei Tracks später aber im Flirt mit den Klischees und mit dem Pathos wiederum ein richtiger Lichtblick: Denn auf "Süchtig<3" stellt sich Futurebae dem nicht anspruchslosen Medium der Klavierballade und nimmt es mit einem so unzynischen und aufrichtigen Ehrenwort auf die Liebe so komplett auseinander, dass einem der Mund offen stehen bleibt. Futurebae ist im Vergleich zu vielen Artists ihrer Zunft nämlich nicht nur mit Kuration und Stilbewusstsein gesegnet, sondern auch mit einer wirklich herausragenden Singstimme.
Sie hat also wirklich endlos Potential und so viel, mit dem sie arbeiten kann: Es ist also nur Grund zur Freude, dass sich das alles in der Breite eines Albums niederschlagen durfte. Die endlose Kombinatorik von Sounds und Elementen ist ja ein bisschen das, was man heutzutage unter dem Hyperpop-Umbrella fasst; Futurebae gehört definitiv zu denen, die das meiste daraus machen.
"Berlin Love Affair" ist ein Schmelztigel von kontemporären und nostalgischen Einflüssen; und wenn man argumentiert, dass bei all der Referenz Pastbae der passendere Name sein sollte, muss man doch einfach verstehen, dass der ewige Remix zumindest jetzt gerade das anstehende Projekt der Popmusik ist. Hier findet sich definitiv ein einschlägiges Argument dafür, dass aus diesem form- und genrelosen Remix trotz tausend Facetten ein Projekt entstehen kann, das überzeugend und immersiv die vielseitigen Emotionen einer Person erklären kann.
5 Kommentare mit 2 Antworten
Für "4 Sterne von Yannik" gar nicht mal so unerträglich o_O
Futurebae Top. Album wird ausgecheckt.
Habe beim Lesen der Tracklist einen Schlaganfall erlitten. Mal wieder ein Beleg dafür, dass in Berlin das Prinzip Mensch gescheitert ist.
Das sowieso. In Berlin leben in aller Regel nur die armseligsten Banausen. Platte ist trotzdem erstaunlich okeh.
Wirkt auf mich wie eine Mitte-Ende-Dreißig-Langzeitstudentin, die eine Gen-Z-Künstlerin sehr klischeebeladen cosplayed.
Wie kommt das eigentlich, dass 29 Minuten, das neue Eichmaß für ein Album sind? Ist mir jetzt hier und bei zwei anderen Release aus diesem Jahr aus unterschiedlichen Genres begegnet.
Ein paar Tracks hier machen durchaus Spaß.
Die Tracks sind für die Zielgruppe im Schnitt trotzdem noch zwei Minuten zu lang.
Ich "mochte Wir Sind Freunde", aber wirklich toll find ich die Platte jetzt nicht.