laut.de-Kritik
Sex, Drugs & Erdbeerkuchen.
Review von Ulf Kubanke"1" war bereits schmackhaft angerichtet. Das neue "2" hingegen ist der einladende Hauptgang. Gabi Delgado emanzipiert sich endgültig von gängigen Erwartungshaltungen und liefert das mit Abstand komplexeste Werk seiner Karriere ab. Das Motto lautet: Sex & Drugs & Erdbeerkuchen!
32 Lieder kommen wie eine Flutwelle über den Hörer und bieten gleichermaßen Qualität wie Quantität. Stippvisiten ins Organische gab es bei Delgado schon seit jeher. Doch endlich fließt diese Seite als ergänzende Stärke konstant in seine Musik ein. Noch nie gab es so viel ansprechende Details als tragende Nebenrollen. Fünf Lieder sollte jeder hierzu unbedingt anspielen.
"Dein Blick" offeriert galoppierende Percussion der Extraklasse wie ein schwarzer Mustang. "Küss Mich" garniert sehnsüchtiges Schmachten mit einer geloopten Orgelfigur, die auch Joe Zawinul nicht von der Jazzkante gestoßen hätte. Heraus kommt einer der erotischsten Songs, die ich je hörte. "Und dann ganz heiß, und dann ganz kalt. So kalt wie Eis."
Ein weiterer Höhepunkt der Entwicklung ist das superbe "Liebeslieder". So taucht ausgerechnet bei Gitarrenverächter Delgado ein zackiges Riff auf. Der Clou jedoch ist das Wahnsinnspiano. Zunächst startet die Figur wie ein nettes Houseklavier, um im Verlauf als perlender Strom den kompletten Song zu erobern. Die Tasten fließen wie Herzblut und umgarnen den Text vortrefflich.
"Tanzen" entführt den Lauschenden hernach in einen surrealen Traumwandel, der – egal, was man gerade macht – alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Nicht weniger beeindruckt der stilistische Solitär "Musik" als Dreh- und Angelpunkt der gesamten Platte. Genau wie die Zeilen definiert Delgado Musik als stimmiges Konzept aus Gegensätzen und Harmonie. Man beachte die intensive Killerhook, die zwischendurch wie eine sanfte Klinge in den Track schneidet.
Seine ureigene Erfindung – den von Laibach und Rammstein erfolgreich adaptierten evil Aktivisten-Onkel – holt Gabi Delgado mittlerweile nur noch selten aus der Trickkiste. Viel mehr Facetten hat er zu bieten als nur diesen einen Gesichtsausdruck. Wenn er kommt, dann jedoch mit Macht.
"Kriegstanz" ist eine dieser perfekt austauschbar konstruierten Hülsen, die sich jede denkbare Bewegung auf die närrischen Fahnen schreiben könnte. So hält Delgado der menschlichen Realität den verdient schablonesken Spiegel vor.
Viel spannender jedoch sind die zahlreich neuen Seiten des DAF-Vordenkers. Wie ein Conferencier führt er den Hörer durch seine Sound-Menagerie. Die Tage der Reduktion auf vorwiegend rhythmische Tracks scheinen endgültig erledigt. Gut so! Stattdessen gönnt der Spanier seinem Publikum eine volle Breitseite ebenso empfindsamer wie atmosphärischer Nachtlieder für die blauen Stunden des Lebens.
Die warme, sehr sensitive Romantik von "Nachtflug" oder "Regen" steht ihm wunderbar zu Gesicht. Ebenso die rötliche Glut in "Dschungel" oder die psychedelische Neudeutung von "Festina". Wer sich diese sanften Momente Chillgados zur Playlist schneidert, erhält ein wundervoll sinnliches Minialbum.
Auch textlich erlebt man Delgado vielseitig wie noch nie. Es gibt den zu Erdbeerkuchen ladenden Kumpel ("Der Neue Stil", "Casioparty", "Ich Bin so Froh") ebenso wie den provokanten Desperado. "Drogen machen glücklich. Drogen sind schön!" Am meisten geht es jedoch um die verschiedenen Formen der Liebe.
Als Gipfel des Liebesreigens entpuppt sich das anrührend empathische "Tiere". Aus dem Blickwinkel der Kreatur klagt er die Menschheit an. "Wir sind niedlich und gefährlich. Die ganze Welt war ein Wald, war eine Wiese, ein Platz zum Spielen, ein Platz zum Jagen." Wer das nicht liebt, der hat kein Herz!
Neben all dem Erwähnten gibt es noch viele Einzelheiten in Note und Zeile zu entdecken, deren Erörterung den Rahmen einer Rezension sprengen würden. Man müsste ein Buch über diesen Mikrokosmos von einem Doppelalbum schreiben, um ihm einigermaßen gerecht zu werden. Doch diese Entdeckungsreise bleibt dem Hörer vorbehalten. Am Ende führen alle Pfade wieder zum philosophischen Kern der Klänge: "Ich bin Musik!"
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