laut.de-Kritik
Der Tocotronic-Keyboarder auf umnebelter Seilbahnfahrt.
Review von Katja ScherleOhne große Worte vorweg: Glaciers Erstling "A Sunny Place For Shady People" ist ein Konzeptalbum wie aus dem Handbuch. Es passt der Sound zum Booklet, sowohl zum einzig verwendeten Foto als auch zur Typographie. Songfragmente zu Beginn und zum Ende, "Entrance" und "Exit", und ein in zwei Akte geteiltes Lied (die Vorabsingle), "This Is Not About Love" bauen unter das Album ein höchst durchdachtes Gerüst. So sehr dies auch nun in den Ohren manches Musikfreundes einer Beleidigung gleichkommen mag, so stimmig ist es letztendlich.
Bereits dass die Band das stille "Houston" als Einstieg gewählt hat und nicht, wie oft praktiziert, einen Kracher, zeigt, dass man mit dem Album auch eine gute Portion des Hirnschmalzes Rick McPhails (bekannt als Keyboarder und Gitarrist bei Tocotronic) kauft. Der Track dimmt auch bereits die Lichter für die Gesamtstimmung des Werkes. Selbstverständlich wissen Glacier dabei, warum sie 'Gletscher' heißen. Aus dem eigentlich heißblütigen Instrument Gitarre gärtnern sie mit kühlen Keyboards ein eisiges Beet für den ebenso besonders klar artikulierten englischen Gesang McPhails. Wüsste man nicht, dass der Gute Amerikaner ist, könnte man fast einen Deutschen am Mikro vermuten.
Die sich dann verbreitende Kälte wäre – das Konzept grüßt aus allen Ecken – der perfekte Soundtrack für eine Seilbahnfahrt im Nebel, wie sie auf dem Cover der CD abgebildet ist. "Making The Rules As You Go" transportiert beispielsweise einerseits mit seinem dichten Synthie-Refrain das erhabene Gefühl, sich auf den Gipfel zu zu bewegen. Trotzdem bleibt das Bewusstsein, dass draußen die Temperaturen sich eher ihrem Tiefpunkt nähern. Deutsches Understatement trifft die fast britisch anmutende Fähigkeit zur kontemplativ großen Melodie.
"There’s A Star Out There" versieht schließlich auch die Gitarren mit einer Schicht Elektro, dies allerdings wieder recht raffiniert: Gegen Mitte des Tracks klingen immer wieder Passagen an, die die Patina klassischer Hardrock-Bridges tragen. Synthesizer unterlegen diesen vertrackten Sound. Das Ende kommt mit einigen Saitengriffen und Drumschlägen, die tatsächlich altrockend anmuten. Dennoch erscheint, was aus dem Lautsprecher kommt, immer heruntergedämpft. Das klingt kompliziert und unhörbar? Erstaunlicherweise nicht. Gerade durch oftmals simpelste Melodien bleibt stets die Assoziation einer kargen Berglandschaft, die sich dennoch kuschelig an des Hörers Gemüt schmiegt.
Der Schlusstrack vor dem Exit "A Sunny Place For Shady People" ist schließlich das, wonach das Album sich die ganze Zeit vorher schon gesehnt zu haben scheint. In neun Minuten wird instrumentell alles ausgepackt, was vorher häufig nur einzeln hinaus durfte: Synthie, Verzerrer, Drums, Piano. Dies macht gleichzeitig auch den Charme des gleichnamigen Longplayers aus: Auf fast irritierende Weise sagen Glacier musikalisch alles und nichts. Mag sein, dass sie mit ihrem Stil nur in den anstehenden Winter passen. Aber dort machen sie sich äußerst gut.
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