laut.de-Kritik

Der Hyperpop trifft im Rap-Mainstream ein.

Review von

Glaive hat mit "1984" den ersten Hyperpop-Song auf den Lyrical Lemonade-Kanal gebracht. Das klingt erst einmal nicht nach einer großen Sache, ist aber ein Anzeichen für ein Verschieben von Trends, das bald schon ziemlich interessant werden könnte. Mit gerade einmal 16 Jahren wurde er von Interscope von Soundcloud und den untergründigen Hyperpop-Playlists weggeschnappt und wohl von verschiedensten Seiten zum nächsten großen Ding auserkoren. Seine zweite EP "All Dogs Go To Heaven" reflektiert das, indem sie fast schon zu zeitgeistig klingt. In einen kurzweiligen Strudel aus tagesaktuellen Pop-Eissorten matscht er PC Music, Emo-Trap und Pop-Punk in eine oberflächliche, aber effektive Hook-Kaskade.

Grundsätzlich wird hier erst einmal alles aus diesem neuen Sound ausgeschlachtet, das man irgendwie zu einer einschlägigen, Playlist-fertigen Vibe verwursten kann. Glaive interessiert sich wenig für das subversive oder avantgardistische Potential des Hyperpops, er nimmt einfach nur den geschichteten Autotune-Vocal-Sound und die durchschlagenden Basslines und den Zuckerschub der exzessiven Synth-Wände. Hyperpop so oberflächlich zu verwenden, ist in diesem Sinne auch ziemlich Hyperpop. Vor allem dann, wenn die entstehenden Hooks wirklich geil sind. "1984" oder "Posion" machen Bock und gehen nach vorne.

Leider nehmen die Songs oft schnell erkennbare Formeln an, in denen man sehr leicht herauslesen kann, dass sie am Ende doch vor allem auf den zeitgeistigen Rap-Markt schielen. Kurzer Verse, Hook, halber Verse, Hook, raus – das ist das Motto und kein Song geht signifikant über die Zweiminuten-Marke hinaus. So fühlt man sich trotz der kurzen Spielzeit von "All Dogs Go To Heaven" schließlich doch ein bisschen abgefertigt, wenn die angekündigte Innovation so eindimensional gespielt wird. So sehr die einzelnen Songs objektiv ihre Alleinstellungsmerkmale haben, die Tracklist hechelt ein bisschen atemlos davon und auch nach mehreren Hördurchgängen sind die bedienten Tricks doch immer die selben.

Statt tiefer zu erkunden, wie Rap und Hyperpop interagieren, bekommen wir stattdessen eine ganze Menge ästhetische Elemente, die sich sehr klar auf Lil Peep und Juice WRLD beziehen. Immer wieder reißt eine Gitarren-Line heraus, die so sofort auf eine Soundcloud-Landschaft von vor fünf Jahren hätte zeigen können. Das Outro "All Dogs Go To Heaven" zeigt ihn als Crooner, bestens ausgerüstet, hinter einem Kid Laroi in die Bresche zu springen. "Stephony" klingt ebenfalls wie ein animiertes Ex-Mitglied der Gothboyclique. Für "Synopsis" kommt dann sogar noch ein Travis Barker aus dem Unterholz, um einen ohnehin schon griffigen Song noch einmal aufzutrommeln. Es ist erwartbar, aber es funktioniert.

Vielleicht ist das das Ding an diese EP: Für etwas, das objektiv ein recht innovatives Projekt für diesen Adelsstand in der Industrie ist, kommt sie verdammt erwartbar daher. Glaive dippt seine Füße schüchtern in alle großen Trend-Sounds der Zeit und vermengt sie in eine kurzweilige, aber nicht sehr substantielle Auswahl an Pop-Rap-Refrains, die viel Zeitgefühl ausstrahlen, aber wenig Ambition. Irgendwo in alledem spürt man zwar, dass da ein großes Talent schlummert, das Riecher und Pop-Gefühl vereinen könnte, aber es wäre zu wünschen, dass er dieses Talent nicht für das klassische Internet Money-Eintagsfliegenmodell nutzt, sondern daraus ein richtig kohärentes Album-Statement webt. Glaive selbst steht nämlich noch am Scheideweg, ob er in seiner Karriere ein Innovator oder ein Verwässerer sein wird.

Trackliste

  1. 1. 1984
  2. 2. Detest Me
  3. 3. Poison
  4. 4. Stephany
  5. 5. Synopsis
  6. 6. I Wanna Slam My Head Against The Wall
  7. 7. Bastard
  8. 8. All Dogs Go To Heaven (Outro)

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