laut.de-Kritik
Exzessives Geschrei übertüncht den Kitsch.
Review von Dominik LippeGrafi umgebe eine "seltsam-sympathische Fabelwesen-Aura", lässt die Promoagentur die Presse wissen. Mit "Blüten Und Frost" richte er den "Salzstreuer auf halb offene Schnittwunden" und gebe "intimste Bestandteile seines Seelenlebens" preis. Abgesehen von seiner gewinnenden Art fällt das Ergebnis dann doch anders aus. Zwar wirkt noch immer Lil Peeps Trübsal-Trap in seiner Musik nach, doch neben den ehrlichen Offenbarungen von Lance Butters, Haftbefehl oder Grim104 übertüncht der "Ektoplasma"-Rapper die in Wahrheit fehlende Tiefe seiner Texte mit exzessivem Geschrei.
Es regiert der Kitsch. "Augen sind müde, schwer ist der Kopf. Meine Gefühle wie Blüten und Frost", beginnt er seinen beschwerlichen Marsch durch die verschneite Wüste. Dramatisch kämpft er in dem Glauben gegen die Elemente, damit Wahrhaftigkeit zu erreichen. "Du bist so fern, draußen der Lärm, streite mich gern', Vulkan im Herz", hält er sein feuriges "Red Drama" ab. "Blut schmeckt süß wie Nektar. Herz schlägt immer schneller", klagt er über "20 Messer" in seinem Rücken. Doch selbstredend machen ihn Narben nur stärker, um eine alte Glückskeksweisheit zu bemühen.
Stets flüchtet sich Grafi in abgegriffene, nur vermeintlich starke Bilder. "Messer an der Wand. Zeit rinnt durch die Hand wie Sand", rappt er klischeehaft in "Keine*r Von Uns". Unklar bleibt, was er mit den Worthülsen aus "20 Messer" meint: "Schweigen ist Gold und ich hab' es im Mund. Somit kann es mir keiner mehr nehmen." Sowohl die hohle Phrasen als auch die immer wiederkehrenden Shoutings zwischen den kompetenten Rap- und Gesangseinlagen, erhöhen die emotionale Distanz zum Publikum. Den Überdruss von "Alles Verblasst…" verpackt er, als läge er dabei angekettet in einem Folterkeller.
Die eigentlich angestrebte Innenschau unterläuft Grafi zudem dadurch, dass er völlig profane Business-Themen mit Gebrüll und Soundeffekten überinszeniert. "Um mich rote Flüsse, Rapper beißen ins Gras", wütet er sich durch "Skimaske": "Fick' dein Labelvertrag!" Im völligen Eskalationsmodus versichert er, seine "Seele nicht verkauft" und "kein Bock auf die Charts" zu haben. Ähnlich verhält es sich in "Glitzernder Schnee". "Euer Image ist ein Witz", spottet er über die Konkurrenz, um sich kurz darauf wieder im Weltschmerz zu suhlen. "Kann die Menschheit nicht verstehen. Deshalb muss ich gehen."
Im letzten Drittel stellt ein Kind Fragen über den Tod ("...Erst In Langer Zeit"), dem sich der Rapper in "Mausoleum" auf möglichst stereotype Weise hingibt: "Steig' in die Wolken, blicke zum Himmel, höre Posaune, Engel, die singen." Erst ganz am Ende wendet er sich in "Ich Bleibe" von den engelsgleichen Chören aus dem Jenseits ab. Als Vocalist mag Grafi vielseitig einsetzbar sein, doch "Blüten Und Frost" wirkt allzu oft textlich platt und dramaturgisch unausgereift. Und anstelle des erdolchten Herzens als Teil eines Stilllebens hätte es der Musiker auch mit Raffaels "Die Engel der Sixtina" bebildern können.
2 Kommentare mit einer Antwort
Ich dachte zuerst an den Unheilig-Sänger, Comeback mit laut-konformem Kosenamen oder sowas.
Hab herzlich gelacht.
Aufrichtigen Dank von mir an der Stelle.
Ich steh ja zu meinem Faible für guten Crossover bzw Rapmetal. Das Problem dabei: Zu 98% ist Crossover halt wie hier komplett scheiße.