laut.de-Kritik
Die Österreicher machen Dialekt hörbar. Unter Umständen.
Review von Sandra Langmann2015 war es, als sich Thomas Petritsch und Alexander Christof in einem Fiaker sitzend durch Wien chauffieren ließen. Petritsch rauchend, Christof am Akkordeon, das Klappern der Hufe und Wiener Sightseeing im Hintergrund. Kalt schaut's aus.
"Wien wort auf di", verspricht Petritsch in die Nacht hinein. Die Hommage an Billy Joels "Vienna" aus dem Jahr 1977 wird der Rausschmeißer eines jeden Granada-Konzerts, wenn Petritsch sich irgendwo in der Menge platziert und nur er und das Akkordeon zu hören sind. 2016 erschien ihr Debütalbum "Granada".
Unter Umständen ist dieses sehnsuchtsvolle Stück ihr bekanntestes. Neben "Scheiß Berlin" und "Palmen am Balkon" versteht sich. Unter Umständen kann Petritsch es bei der nächsten Tour wieder als Rausschmeißer trällern, wer weiß das schon. Vielleicht, möglicherweise, fix ist nix.
Mit "unter Umständen" erscheint nach "Ge bitte" das mittlerweile dritte Album der Österreicher und vermittelt wieder eine Sehnsucht – und zwar die nach dem Tanzen. Tanz, du "Pirouetten-Queen". "Schau, wie du die drahst!" heißt es im ersten Song "Pirouette". Passt natürlich zu den Club-Wiedereröffnungen in Deutschland und Österreich gerade thematisch ganz gut rein und ist ein gelungener Start ins Album. Das enthält mehr südamerikanische Rhythmen als gewohnt, viel Dialekt, Wortneuschöpfungen und Akkordeonklänge wie gewohnt.
Das letzte Jahr wurde für "schöpferische Experimente" genutzt, wie sie sagen. Seit ihrem letzten Album sind drei Jahre vergangen. Alles zu seiner Zeit. Trotzdem haben Granada gerade in den vergangenen Monaten schon so einiges durchblitzen lassen. "Lomari", "Summerfieber", "Mei Velo" und "Blüte" wurden bereits vorab veröffentlich.
Granada sind die Alten geblieben. Wobei, sie haben auch zu wenig verraten. Von ihrem spanisch anmutenden Namen ist bislang musikalisch eher selten etwas angekommen. Steirischer Dialekt und spanisch bzw. südamerikanische Rhythmen passen zusammen? Unter Umständen. Wie "Chikungunya", benannt nach der fieberhaften Viruserkrankung, ähnlich einer Grippe, die sich im Song als Symptom einer Liebesnacht entpuppt. So schnell infiziert "Tut eine Nacht zu zweit weniger weh".
So ein Lauser, der Petritsch. Verwegen, schon fast geheimnisvoll verführerisch singt er in "Marantana", um dem Leiden Ausdruck zu verleihen. Das italienische "Mamma Mia" für Österreicher:innen. Am Leiden hängt sich auch "Liebe deines Lebens" an. Es gibt keinen Grund, sich jemandem hinzugeben, der sich selbst viel zu wichtig nimmt. Der Ärger über Narzissten wird schon fast raus geschrien.
"Cordoba" erzählt vom inneren Straucheln, Durchdenwindsein, dem Träumen an die gute alte Zeit - von einer Sehnsucht nach mehr Gloria. In "Unter Umständen" schwingt öfter mal der Sehnsuchtsgedanke mit, was nach dem letzten Jahr auch nicht weiter verwunderlich ist. Schwere Balladen wie "Leuchtturm" streuen etwas Melancholie, trotzdem wird das Gefühl der Sehnsucht ins Positive umgemünzt. Der Einzelne tut sich sich hervor, und es schaut so aus, ob sich das Kämpfen früher oder später auszahlen könnte.
Erwähnenswert ist das Video zur Songauskoppelung "Lomari", bei der sich die Bandmitglieder mittels Tiermasken in Fabelwesen verwandeln und aus dem offenen Aufzug heraus in den Vordergrund treten. Ein "Fux" im Bau. "Prinzipiell bin i a Seeln-Tranchierer / Auf Frequenz, mentaler Strippenziager / Oba net im Bau".
Mit "Schembrunn" zelebrieren Granada den 100. Geburtstag des Lyrikers H.C. Artmann, der 1921 in Wien geboren wurde und mit Mundart-Experimente den Dialekt von vielen Vorurteilen befreite. Er war es wohl auch, der den Weg für die österreichische Popkultur ebnete.
Da schließen sich auch Granada an, die mit einer Mischung aus Indie-Rock, Britpop und südamerikanischen Klängen den Dialekt so verpacken, dass er schon längst nicht mehr nur in Österreich hörbar ist. Sprachbarrieren hin oder her, irgendwie wird man's schon verstehen. Unter Umständen.
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