laut.de-Kritik

Perkussiver, rhythmischer und tanzbarer als je zuvor.

Review von

Düsseldorf ist nicht nur die Stadt mit der längsten Theke der Welt, sondern auch Heimat für nerdige Piano-Futuristen. Seit Mitte der Nullerjahre verkuppelt Volker Bertelmann alias Hauschka mit einem präparierten Piano Klassik und Elektronik. Seit 2011 sind die Grandbrothers mit ihrer selbst zusammen geschraubten Apparatur und dem daraus resultierenden Signature-Sound erfolgreich unterwegs.

Jeder, der auf einem Konzert des Duos war und mal einen Blick in den präparierten Flügel geworfen hat, weiß, dass der technische Nerdfaktor hoch ist. Im Flügel befinden sich kleine mechanische Hämmer, die, digital von Lukas Vogel angesteuert, gegen die Saiten und den Holzrahmen des Instruments schlagen und es so quasi in einen Drumcomputer verwandeln. Während also Pianist Erol Sarp seine mal zarten, mal sich zu forte hochschwingenden Melodien spielt und zwischendurch selbst den Innenraum des Flügels bearbeitet, bedient Vogel von seinem Laptop aus die Hämmer, die teils direkt abgenommen, teils noch digital verfremdet, den charakteristischen Sound ausmachen.

Der Equipment-Fetischismus gehört zum guten Ton in der deutschen Neoklassik. Man denke etwa an den Wahlberliner Nils Frahm, der auf Tour neben seinen etlichen Tasteninstrumenten und Synthesizer-Batterien gerne eine Orgel im Gepäck hat. Jedenfalls steht der frisierte Flügel auch auf "All The Unknown", dem dritten Studioalbum der Grandbrothers, im Zentrum. Doch während auf den ersten beiden Alben "Dilation" (2015) und "Open" (2017) alle Sounds, die zu hören waren, live im Resonanzraum des Flügels entstanden sind, verabschieden sich Vogel und Sarp auf dem neuen Album von diesem Dogma.

In das Album, das mit zwei Flügeln und einem Klavier aufgenommen wurde, fließen erstmals auch Samples und Loops ein, die vorweg zusammengestellt wurden. Das erscheint folgerichtig, denn nach den starken Vorgängeralben werden die Grenzen deutlich: der Sound des Wunderflügels ist limitiert. Man darf den Titel "All The Unknown" also gerne auch als Ausdruck einer experimentellen Sounderweiterung verstehen. Auf dem Albumcover steckt jemand den Kopf in einen dichten Weißdornstrauch. Was erwartet uns dahinter?

Zunächst einmal ein Album, das alles Altbekannte mitbringt: verspielte Pianoharmonien und große Geste verschmelzen zu fluiden, neoklassischen Soundscapes. Genau dafür stehen Songs wie "What We See" oder der Titeltrack, die beide vorweg als Single ausgekoppelt wurden. Man kann sich sehr gut ausmalen, wie raumeinnehmend und gewaltig diese und weitere Songs live funktionieren. Einen leisen Kontrast zum gerne Richtung Opulenz tendierenden Programm des Duos bietet "Auberge", ein zartes Stück, in dem sich Sarp von seinen Ostinato-Figuren emanzipiert. Herrlich verträumt klingt auch "Mourning Express", mit dem wir aus dem Album entlassen werden.

"All The Unknown" ist ein gelungenes Album, sicher, doch zeichnen sich auch Ermüdungserscheinungen ab. Man meint, trotz der Modifikationen, vieles schon zu kennen. Damit hält der Albumtitel nicht so ganz, was er verspricht, denn wirkliches Neuland betreten die Grandbrothers nicht. Klar: Der Hang zum Pop ist bei dem Duo fest verankert, doch warum dieses nach wie vor konsequente Harmoniebedürfnis? Warum nicht mal dissonante Schlenker einbauen?

Was jedoch neu ist, und damit könnte sich eine Richtung abzeichnen: Mit "All The Unknown" klopfen Vogel und Sarp stärker als zuvor an die Clubtüren dieser Welt. Das Album wirkt insgesamt perkussiver, rhythmischer und geht in Sachen Tanzbarkeit ein paar Schritte weiter, als die Vorgänger. "Organism" steht beispielhaft für so eine treibende Nummer, die man sich gut inmitten einer verschwitzt zappelnden Meute vorstellen kann. So wirkt "All The Unknown" wie ein Übergangsalbum und man darf gespannt sein, welchen Weg die Grandbrothers in Zukunft einschlagen. Da lauert noch so Einiges hinter der Hecke.

Trackliste

  1. 1. Howth
  2. 2. What We See
  3. 3. Umeboshi
  4. 4. All The Unknown
  5. 5. The Goat Paradox
  6. 6. Four Rivers
  7. 7. Shorelines
  8. 8. Auberge
  9. 9. Organism
  10. 10. Silver
  11. 11. Black Frost
  12. 12. Unrest
  13. 13. Mourning Express

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