laut.de-Kritik
Die beste Form der Langeweile.
Review von Simon ConradsManche Künstler stellen Rezensenten vor wirklich schwierige Herausforderungen. Es gibt jene, denen man eigentlich gewogen ist, die aber plötzlich enttäuschen. Dann gibt es dasselbe Phänomen umgekehrt: Man ist bereit zu verreißen, muss aber plötzlich positive Worte für einen Künstler finden, für den man bisher wenige davon übrig hatte. Am schlimmsten wird es allerdings, wenn Künstler sich wiederholen und unbeirrt genau das machen, das man schon von ihnen gewohnt ist. Langweilig werden, quasi. Man geht zurück zur Rezension der letzten hier bedachten Platte und denkt: Das könnte ich einfach kopieren, ich müsste nur Album- und Song-Titel ersetzen. Gregory Porter ist so einer, allerdings von der ganz komplizierten Sorte.
Langweilig heißt bei ihm, dass er weiterhin absolut verschiedene Musikstile so gekonnt vorkaut, dass seine Songs überall als wohlbekömmlich empfunden werden können. Weshalb sowohl der Hip Hop-und-Schnulz-Vermischer Max Herre als auch die Electro-Brüder von Disclosure gemeinsame Sache mit dem Amerikaner gemacht haben und weshalb dieser (im weitesten Sinne) Jazz-Musiker mit der auffälligen Kopfbedeckung seinen Weg selbst in CD-Player gefunden hat, in denen sich sonst nur AC/DC und Pink Floyd drehen. Gut, da war sicherlich auch die offensive Fernsehwerbung zu Zeiten von "Liquid Spirit" nicht unschuldig dran.
Der US-Amerikaner verbindet zwei Dinge, die die deutschen Album-Käufer besonders zu schätzen wissen: Harmlosigkeit und Talent. In seinem Heimatland erreichte Porter in seiner Hochzeit Platz 82 der Billboard-Charts, in Deutschland wiederholt die Top Ten. Mit "All Rise" ist ihm hierzulande eine solch gute Platzierung fast schon wieder sicher, weil das Album auf dieselbe vorhersehbare Art und Weise gut ist wie die Vorgänger, massentauglich im besten Sinne. Die Platte eignet sich ebenso gut auch als Geschenk für all jene, die vom Musikgeschmack des Beschenkten keine Ahnung haben, nach dem Motto: "Wird schon passen."
Porter wollte auf "All Rise" wohl ursprünglich über die amerikanische Gesellschaft singen, hat sich aber letztlich doch auf sich selbst besonnen. In "Dad Gone Thing" verhandelt er die Gefühle für seinen Vater, dessen Rolle in seinem Leben von Abwesenheit geprägt war. Musikalisch erinnert das mit schlenderndem Groove und launigen Bläser-Einwürfen an die besseren Momente von Van Morrison, nur dass Porters Stimme freilich deutlich samtiger klingt. In "Thank You" dankt er den Leuten, die ihn auf seinem Weg begleitet haben, immer wieder sinniert er über Gott und die Liebe. Mit "Revival" liefert Porter Blues aus der Gospel-Verwandtschaft, der mit der von Handclaps dominierten Percussion-Sektion an Adeles "Rumour Has It" erinnert, aber noch beschwingter klingt und passend zum Titel tatsächlich ziemlich revitalisierend wirkt.
Aufgenommen wurde das Album mit einer Bläsersektion, einem zehnköpfigen Chor und den Streichern des London Symphony Orchestras. Besonders die Bläser trumpfen immer wieder auf, etwa in dem fantastischen Saxophon-Solo von "Mister Holland". Der Song klingt ebenfalls belebend und erbaulich, hier gibt sich Porter treibendem Soul hin. Stimmige, geschmackvolle Balladen gibt es beispielsweise mit "If Love Is Overrated" oder "You Can Join My Band". Ersterer erinnert an die ruhigeren Stücke von Ray Charles oder Stevie Wonder, wohingegen der zweitgenannte Titel Vergleiche mit Otis Redding und Marvin Gaye nicht scheuen muss. Hier begeistern besonders die anschwellenden Bläser in der Bridge.
In "Faith In Love" klingt Porter stellenweise wie Michael Kiwanuka, auch die Percussions erinnern an die launigen Instrumentationen des Briten. Mit "Long List Of Troubles" gibts knalligen Funk, der trotzdem genug Pop-Appeal hat, um gefällig zu sein. Natürlich ist es vor allem Porters Stimme, die mitreißt, aber ohne talentierte Leute hinter sich könnte sie nicht so glänzen. Die Musiker spielen wahnsinnig tight, die Arrangements sind immer satt, aber nie überfüllt. Die Stücke wirken allesamt, als seien sie einzig und allein aus Leidenschaft zur Musik entstanden. Ist inzwischen durchgedrungen, dass hier alles so solide gut ist, dass es fast schon wieder öde wird?
Spätestens bei Song Nummer sechs beginnt man zu gähnen und denkt sich: "Wow, wie spannend, noch ein guter Song." Bei Song zehn: "Hört dieses eintönige Abliefern denn nie auf?!", und wenn das letzte Stück verstummt, bleibt man fassungslos zurück: "Der hat das echt durchgezogen! 15 Songs, und keiner schlecht."
2 Kommentare mit 2 Antworten
Stimmlich kann der was, war mir aber immer zu glatt, perfekt für die "Pro 7 Album-Empfehlung des Monats"
Man muss doch nicht immer beleidigend werden!
Der Vergleich ist nicht schlecht. Recht gutes Talent, das im fahrstuhlmäßigen Sound ziemlich untergeht. Jegliche Ecken und Kanten wurden da schon im Vornherein weggebügelt.
Die Rezension triffts ziemlich gut. Sehr gute Mucke, bei der es sehr schade ist, daß sie fast keinen Eindruck hinterläßt.