laut.de-Kritik
Die Hoffnung glimmt noch unter der Ausweglosigkeit.
Review von Dominik Lippe"Mit Haftbefehl entdeckt die Hochkultur den Reichtum der Straßenkultur", beschrieb die Redaktion von "ttt" das kulturelle Phänomen Haftbefehl. Das Feuilleton hat sich ihm gegenüber geöffnet und er sich ihm. In zahlreichen Interviews berichtet er freimütig über den Selbstmord seines Vaters, eigene Depressionen und wie er versuchte, mit Drogen gegenzusteuern. Zugleich bringt er seinen Blick auf das Leben auf die einfache Formel: "Ich muss das Beste draus machen." Nach dem noch etwas unentschlossenen "Das Weisse Album" verdichtet er diese Themen nun auf "Das Schwarze Album".
Mit verzagtem Autotune-Gesang entführt er die Hörerinnen und Hörer zum Einstieg in die Blocks, wo der Suizid des Nachbarn so lange unentdeckt bleibt, bis sich der Geruch nicht mehr ignorieren lässt. Während der positive Sido seinerzeit mit der Schilderung seines Mikrokosmos' in "Mein Block" noch einen abenteuerlustigen Voyeurismus bediente, gibt es in Offenbach nichts mehr zu romantisieren. Mit "Kaputte Aufzüge" findet Haftbefehl das ideale Sinnbild für eine festgesetzte Unterschicht, für die sich das einstige Aufstiegsversprechen nicht mehr erfüllen wird.
"Kaputte Aufzüge" verzichtet auf den kraftvollen Aufschlag, den "Russisch Roulette" perfektioniert hatte. Hymnen der Eskalation wie bei "Ihr Hurensöhne" oder "Saudi Arabi Money Rich" überdeckten bereits damals den Schmerz, der sich dann in "Seele" Bahn brach. Von Album zu Album ließ Haftbefehl seine Deckung weiter sinken.
"Das Schwarze Album" fährt nur noch punktuell die Ellenbogen aus. Neben "Wieder Am Block" verkörpert einzig "Lebe Leben" puren Willen, wenn er mit aller Stimmgewalt fast trotzig herausschreit: "Hater haten, denn ich lebe Leben!"
Längst nicht mehr so kraftvoll wie bei "Schmeiß Den Gasherd An" führt Haftbefehl zumindest inhaltlich sein Rezept in der "Crackküche" fort. Eindrucksvoll nehmen die Halleffekte zu, die das kleine Drogenlabor zum höhlenartigen Ort der Isolation anwachsen lassen. Knappe eineinhalb Minuten stehen Bazzazin nach dem letzten Wort des Rappers noch zur Verfügung, um seine Wirkung zu entfalten. Mit seinem unter hiesigen Produzenten unvergleichlichen Gefühl für Stimmungen gebührt dem Kölner mindestens die Hälfte der Anerkennung für "Das Schwarze Album".
Mit "Offen/Geschlossen" legt Bazzazin sein Meisterstück ab. Sowohl träge und im Kern tieftraurig, als auch bedrohlich und durchzogen von einer Grundspannung bündelt der Produzent die sichtbaren Charakterzüge des Rappers in einem Stück Musik. Der Offenbacher wiederum gibt sich darauf ganz seiner depressiven Gemütslage hin. "Ich glaub', es wird Zeit, um aufzustehen. Es wird Zeit, um einfach aus dem Haus zu gehen. Einfach rauszugehen", ringt er sich fast widerstrebend einen Einstieg in den Song ab und tritt letztlich nur auf der Stelle. Der Aufzug steht weiterhin still.
In "Kokaretten" mäandert das Instrumental vor sich hin, womit es genauso wenig zu greifen ist wie Haftbefehls sich überschlagende Satzfetzen, die von der Kölner Keupstraße an den Hauptbahnhof von Frankfurt springen. "Ruff" steigt noch fordernd ein, verfällt im Zirkus-Chorus zunehmend dem Wahnsinn, um auf einer melancholischen Note zu enden. Die nicht gerade für ihre Frohnatur bekannte Haiyti bringt in diesem Milieu fast schon Leichtigkeit ein: "Lass die Puppe tanzen wie Geppetto." Doch "Cripwalk Aufn Kopf" bildet nur das retardierende Moment vor der Katastrophe.
"So langsam kommen wir dem Ende nah", leitet der Rapper in Anbetracht einer verdorbenen Welt in "Leuchtreklame" die Apokalypse ein. Erneut stellt er mit Bausa und Schmyt die festgefahrenen Zustände ins Zentrum. So beschreibt der großartige, leicht verzögerte Refrain Suchbewegungen, die nie zu einem Ergebnis führen: "Mich verfolgt die Frage, was ich mich häufig frage, stellt sich das Volk die Frage, stellt ihr auch euch die Frage." Als logische Konsequenz seiner Depression begrüßt Haftbefehl den Untergang im kongenialen Video im Stil von "Melancholia" mit Wohlwollen.
"Kein Weltuntergang, wenn die Welt untergeht", hätte einen radikalen Schlusspunkt abgegeben. Doch so zynisch ist er in Wahrheit nicht. "Kein positives Signal in weiter Ferne, kein Silberstreifen am Horizont in Sicht", beklagt er mit schwermütigem Gesang in "EMSF" und beweist damit letztlich nur, dass er noch immer Ausschau hält. Diese Rest-Zuversicht kam auch im "ttt"-Interview zum Ausdruck, als er zur Pandemie urteilte: "Spätestens jetzt sollten wir zusammenhalten." "Das Schwarze Album" drückt ein Gefühl der Ausweglosigkeit aus, in dem noch immer ein wenig Hoffnung glimmt.
39 Kommentare mit 30 Antworten
Lachkick
Das ist nicht ernst gemeint, oder?
Ist mMn maximal 3/5. Die Features nerven fast ausnahmslos wie die Sau und die meistens Songs dümpeln so vor sich hin...Offen/Geschlossen ist für mich 6/5, aber der Rest vom Album halt leider unterdurchschnittlich wie die Geberqualitäten vom Oessen.
Hab's erst ein- oder zweimal ganz gehört, aber von 5 Sternen scheint mir das ein ganzes Stück weit entfernt zu sein. Hafti stagniert auf (im Vergleich zum Deutschrap-Rest) hohem Niveau und die Jubelperser nerven. Die hätten es auf diesem Niveau eher 2013-15 gebraucht.
Umwerfend die Platte hier
Habs jetzt in drei Wochen nicht einmal geschafft, mir das Ding komplett durchzuhören. Klar ein paar Beats sind sicher spitze und ein paar Sprüche bestimmt gut, aber insgesamt ist das alles doch müde und belanglos. Aber Props dafür, dass er keine Punchline bringt, die man nicht peilt, wenn man die letzten Jahre im koma verbracht hat.