laut.de-Kritik
Als das Bierzelt zum ersten Mal nach Kingston flog.
Review von Maximilian SchäfferAm 24. Dezember einem Zimmermann geboren ward ein bayerischer Messias namens Hans Söllner. Mit der Ironie seiner Geburtsumstände feixt der Skandalliedermacher seit jeher gerne, halten ihn doch nur wenige für heilig. Weder ein König noch ein Prophet wollte der Söllner Hans jemals sein, auch wenn ihm das Predigertum zeitweise durchaus nahe lag. Sich anzumaßen, ihn einzuordnen, gar verstehen zu wollen, ist zuweilen recht sinnlos, weil dieser Künstler einer ist, der die Gelegenheit zum unbequemen Andersdenken von Natur aus nutzt. Widersprüche oder gar Kontroversen interessieren einen bauwarischen Büffel, dem der Nimbus bereits in den 20ern seiner Lebenszeit angehaftet wurde, herzlich wenig.
In diesem Artikel soll es aber nicht um sein Rastafaritum, nicht um seine Rauschgiftverfahren, nicht um seine Bürgermeisterkandidatur, nicht um seine Indizierungen, nicht um seine Beleidigungsbußgelder in fünf- bis sechsstelliger Höhe gehen. Ausnahmsweise sollen die vielen Dimensionen des Komplex Söllner von der einfacheren, der musikalischen Seite und deren Anfang betrachtet werden. Es geht also lediglich um sein erstes Album, das ihn nicht nur in verkifften Jugendzimmern, sondern gleichzeitig in den Bierzelten der Heimat allgegenwärtig machte.
"Endlich eine Arbeit!" erscheint 1983 auf Powerplay Music Records, einem Kleinlabel aus Tittmoning an der deutsch-österreichischen Grenze. Söllner, damals 27 Jahre alt, wohnt nach einer Episode der Arbeits- und Orientierungslosigkeit wieder in seiner Heimat Bad Reichenhall. Der gelernte Automechaniker fragt sich zurecht, ob er, wie sein Vater, sein Leben lang schuften will – für eine kleine Rente und einen kaputten Rücken? Pragmatischerweise fällt einem da das Singen und Gitarrespielen leichter, vorausgesetzt man besitzt das geeignete Talent. Söllner besitzt es, trotz recht bescheidener Fähigkeiten an der Gitarre: "Ich war der Beste von denen, die schlecht spielten", bekennt er in seiner Autobiografie namens "Freiheit muss weh tun". Nach den ersten Auftritten auf Kleinkunstbühnen gewinnt er einen Sängerwettstreit, und die erste Platte entsteht.
Weil Söllners Ansagen, die Rahmen seiner Anekdoten, mindestens genauso wichtig sind, wie seine Lieder, ist der geneigte Hörer stets aufmerksam. So selbstironisch wie selbstbewusst leitet der Musiker das LP-Konzert ein, widmet das Titellied einem Herrn vom Arbeitsamt, Abteilung Metallberufe. Söllner, auf dem Albumcover zwar mit Leopardenhose und Lederstiefeln abgebildet, darf seinen "lackierten Bürstenschnitt" nur im Song tragen. Begleitet von seinem charakteristisch scheppernden Drei-Akkorde-Bayerngroove ohne Unterschiede in Strophe, Bridge und Refrain, erzählt der Barde seine Erlebnisse als Punker in der Arbeitswelt eines Münchens der 1980er-Jahre. Das ist derart charmant und witzig, dass sich das Publikum, dankbarerweise auf der Liveaufnahme gut hörbar, schier kringelt.
In der Autofiktion "Der Neuwagenbesitzer" hört man Söllners bis dato einzigen Einfluss, wie er selbst angibt: Bob Dylan. Einfaches Saitenzupfen im amerikanischen Folklorestil gemischt mit Harmonien aus Oberbayern. Es geht um des Deutschen liebstes Kind, das Auto und seine peniblen Besitzer. Klar, wird der kleinbürgerliche Pedant bei Söllner zum rücksichtslosen Faschisten: (übersetzt) "Da können Kniescheiben krachen, Knochen brechen und wenn es dir das Kreuz verbiegt – die Hauptsache meinem Wagen ist nichts passiert!"
Alltägliche Figuren, Frustrationen die jeder, quer durch die Gesellschaft, kennt – "Mama ziag dei Schürz'n aus" handelt von der Begegnung mit einer Politesse bei der Parkplatzkontrolle. Heutzutage ginge so ein Text als purer Sexismus nicht mehr durch, Söllner aber geht es fast immer um Machtverhältnisse, er beleidigt Uniformen, nicht Frauen. Diesmal den Bayerngroove im Offbeat und ein Refrain, der fast 40 Jahre später immer noch Beamtinnen im freistaatlichen Dienst begleitet: (übersetzt) "Mama, zieh deine Schürze aus, schmeiß dich in Uniform, es sind bei unserer Polizei schon Blödere zu etwas gekommen".
Der "Langzodade", Bayerisch für "Langhaariger" steht in der Franz-Josef-Strauß-DDR synonym für alles Arbeitsscheue, Delinquente. In Wackersdorf soll ein Atomkraftwerk gebaut werden, in München eine weitere Landebahn, und auf jede Scheune gehört ein Sendemast. Wer die Bayern und ihren radikalen Aufschwung vom Sorgenkind der Nation hin zum Primus infragestellt, gehört am besten weggeräumt: (übersetzt) "Meine Haare werden immer länger, immer kürzer mein Verstand, das sagen die Leute schon über mich – ich wäre eine Schade fürs Vaterland". "Meine Haar", Lied vier, ist das erste, bei dem Söllner ins ernsthaftere Fach wechselt. Ständiges Querulieren schließlich macht zuweilen verzweifelt und einsam – er wird es im Laufe seiner Karriere immer wieder selbst erfahren. Allen auszubildenden Jugendlichen, die mehr vom Leben wollen als Knecht zu sein, spricht er aus der Seele. Neu am Söllner ist zu dieser Zeit, dass er ohne jegliches ideologisches Vokabular auskommt. Das tut der Linken nach der 68-er-Bewegung und ihren theoriegeilen Splittergrüppchen mehr als gut. Die Erklärung eines singenden Automechanikers, dass Freiheitsdrang und Arbeitskampf keinen Intellektuellen Rahmen brauchen, ja sogar lustig sein können.
Nur 37 Minuten lang ist "Endlich Eine Arbeit!", nur ein paar witzige Liedchen, von denen allerdings die Hälfte zu Dekaden überdauernden, zeitlosen Hymnen wird. Der Beginn einer überregional-regionalen Weltkarriere. Lied elf, "Mei Vadda" (hod an Marihuanabam) ist das legendärste aller seiner Stücke. Nicht nur den Refrain, sondern für gewöhnlich alle Strophen auswendig, kann jede Dorfdult mitgröhlen. (übersetzt) "Mein Vater raucht jeden Tag einen Eimer voll Shit und ich als braver Sohn, ich rauche natürlich mit!" Mit dem Maßkrug in der Pranke, in die Lederhosn reingeschissen, steht die Herde dann auf Bierbänken und trällert ein Lied von einem, der das patriotische Sichblödsaufen immer verachtete. Das bisschen Anarchie aber mag sich der schwärzeste hochrote Schädel, von Burschenverein bis Trachtenverein, von CSU bis Bayernpartei, ab und zu leisten. Vortrag und Humor des Söllner Hans sind seit jeher dermaßen entwaffend, dass sogar Großmütter im Radio nicht abschalten – wenn er denn gespielt wird (der Bayerische Rundfunk boykottierte ihn jahrelang konsequent).
"Endlich Eine Arbeit!" ist eines der wenigen Dokumente erfolgreicher proletarischer Musik aus einer BRD, die im Gegensatz zu Großbritannien nie nennenswerte Künstler aus der Arbeitklasse hervorbrachte. Söllner als Identifikationsfigur der Lehrlinge, Arbeitslosen, Dorfpunker und Randständigen, als Aufmüpfiger unter den Funktionierenden, ist bis heute singulär. Ähnliches schafften nur die Böhsen Onkelz, allerdings ohne das identitäre Geschmäckle des aufrichtigen Deutschen infrage stellen zu wollen. Des Söllners Exkurse gingen in den folgenden Jahren radikal gegen den Staat und stellenweise auch radikal-paradox gegen die eigene Heimat und sich selbst. "Hey Staat" heißt sein politischstes Album, "A jeda" sein bekifftestes und vielleicht bestes. Bei dem Münchener Label Trikont fand er seinen Hort und wurde dessen größtes finanzielles Zugpferd. Er füllte Großfestivals und A-Konzerthallen mit Mundartreggae – das muss ihm bis heute erst einmal einer nachmachen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 2 Antworten
Der Musiker Hans Söllner hat noch richtig gute und witzige Texte in Musik gepackt das gibt es heute so gut wie nicht mehr. Zum Beispiel das Lied Mei Vadda ("Mein Vater").
Ja, das stimmt, das Lied "Mei Vadda" ist sehr witzig, sowas gibt es heutzutage nicht mehr. Es ist aber auch ein Klassiker von Hans Söllner.
Die Rezension ist insgesamt in Ordnung - das Bild vom "boarischen" Festzeltgänger bezieht sich aber auf die Zeit ab frühestens Mitte der 90er. Das Album war da bereits ein Jahrzehnt veröffentlicht!
Der Hinweis auf die heute häufige Vereinnahmung der Söllner-Lieder stimmt zwar, leider fehlt der Hinweis auf das später kontrovers-politische Werk. Das gehört aber zu dem Aspaket unbedingt dazu.
Und die Klischeekiste die für den im vorletzten Absatz ausgepackt wurde ist halt auch irgendwie aus den 90ern.
Der Rasenmäher, absoluter Klassiker.
Dass mit dem "nie nennenswerte Künstler aus der Arbeitklasse" in Bezug auf Schland kann doch bei der Masse an Artists kaum stimmen, oder? Genügt dazu das entsprechende Elternhaus oder soll es auch eine entsprechende Berufserfahrung sein? Hannes Wader passt zB für beides. Ich unterstelle mal, dass es mindestens in der erweiterten Punk-Bewegung sowie in diesem Hippeldihop zahlreiche ähnlich gelagerte Biographien gibt, in klassischerschweis eher bildungsbürgerlich geprägten Genres sicher auch.
Von Hans Söllner kenne ich nur ein paar spätere Sachen, die mir eigentlich auch gut gefallen (Oiwei I zB). Gegen seine Art der Antihaltung habe ich spätestens im Zuge der Pandemie allerdings eine gewisse Allergie (höhö) entwickelt, die mich bisher auch vom tieferen Eintauchen in die Biographie abgeschreckt hat. Andererseits finde ich es ja manchmal auch ganz faszinierend, so explizit politische Kunst von anno dunnemal aus heutiger Perspektive zu hören und auf damals allgemein überhörte Zwischentöne zu achten. Alles natürlich zum Zweck sofortiger Empörung und Cancelei, sollte klar sein Vielleicht nehme ich mir das hier oder gleich "Hey Staat" also demnächst mal vor, danke f d Anregung.
Direkt Einstieg mit dass/das-Fehler ist natürlich auch stabil Bitte wegdenken, sofern der eigene Schatten dafür nicht zu breit wird.