laut.de-Kritik

Im Studio mit Mix-Mastermind Adrian Sherwood.

Review von

Horace Andys zittrige Stimmvibration paart sich perfekt mit Adrian Sherwoods Dub-Tektonik. "More Bassy" auf dem aktuellen Album "Midnight Scorchers" steckt voller Echo-Reverbs. Der Tune spielt darauf an, dass Horace sich selbst einst als "Mister Bassie" bezeichnete. Seine vergleichsweise hohe Stimme trifft oft auf einen Bass-triefenden Sound und erscheint inmitten relativ harter Beat-Konstruktionen weich wie Watte.

Das charmant näselnd gesungene "Away With The Gun And Knife" als Meisterstück der dubbigen Soundausgestaltung lässt Bässe gnadenlos beben. Während sie deep down für mehrschichtigen Widerhall sorgen, streben krass verfremdete Orgel- und Bläsersätze in Richtung Höhe. Deren strahlende Echos kitzeln die Ohren und wirken zugleich wie unter einer großen Käseglocke gedämpft. Zusätzliche knarzende Hall-, Fiep- und Explosions-Effekte erzeugen ein künstliches Brodeln unter diesem hoch-tief-Tandem. Der englische Toaster Daddy Freddy, der die meisten Silben pro Sekunde schafft, mischt hier als Kontraststimme mit. Er zügelt seinen sonst hyperschnellen Zungenschlag in "Away With The Gun And Knife" auf ein Normalmaß. Insgesamt ein Boom Tune!

Im Titeltrack "Midnight Scorcher" legt er einen Zahn zu, steigt als MC ein und brabbelt während der Strophen vehement dazwischen. Zwischen herben out-of-space-Krach- und Glibber-Zwischentönen kommt Horace ab und an stimmlich zum Vorschein. Dabei taucht als Chorus-Zeile aus dem wasserfallartig pladdernden Gebratzel Massive Attacks "Safe From Harm" auf. Es handelt sich aber nur um ein vergleichsweise kleines, dezentes re-work-re-model-Zitat. Denn "Safe From Harm" beeindruckte bereits als tieftrauriges, spannendes Cover von Andy und Sherwood auf der Vorgänger-LP. Die liegt noch gar nicht so lange zurück: "Midnight Rocker" erschien an Ostern 2022. "Midnight Scorchers" stellt die zweite Zusammenarbeit der jamaikanischen Gesangsgröße Horace und der englischen Produzenten-Majestät Adrian dar. Mit Massive Attack steht der Sänger indes seit langem in Kontakt.

Horace Andy, Jamaikas Ur-Stimme ultratiefer Dub-Resonanzen, hatte sich vor Jahrzehnten mit Klassikern wie "Skylarking" und "Money Money (The Root Of All Evil)" einen Namen gemacht. Massive Attack bescherten dem Pionier den zweiten Frühling: Für die Trip Hop-Legenden legte er oft seine Stimme auf zerbrechliche Tonfolgen-Dekonstruktionen, etwa beim experimentellen "Spying Glass".

Verhältnismäßig spät sprang der inzwischen 71-Jährige nun auf Adrian Sherwood an. Dieser wollte schon lange mit Andy ins Studio. Sherwood gilt als Meister an den Turntables, der spooky-spacey Stimmungen zwischen elektronischen Effekten und handgemachten Basics erzeugt. Davon legt vorliegende CD ein fantastisches Zeugnis ab.

Dabei darf man Dub und Bassmusik hier nicht zu technoid und puristisch nehmen. Denn: Tiefe Töne und abstrakte Rhythmus-Spielereien treffen auf höchst einprägsame Melodien. Die Melodica - bekannt von Augustus und Sohn Addis Pablo - fungiert als eines der Melodie tragenden Instrumente. Sie setzt sich auf "Hell And Back" und dem Titelsong "Midnight Scorcher" durch.

Obwohl die Platte extrem viel mit Klangmanipulationen spielt und hochtechnisierte Tonkombinationen wiedergibt, sprudelt sie an Quicklebendigkeit und rhythmischer Elastizität über, sogar bei den Vocals: "Dub Guidance" orientiert sich Sing-Jay-technisch am Erfinder und Meister des speaking-on-the-bass-beat, U-Roy. Am Mikrofon duelliert sich Digital-Dancehaller Lone Ranger. Er gelangte in den frühen '80ern zu großer Bekanntheit (leider nur phasenweise), und gibt hier seine formvollendeten Ragga-Spits zum Besten. "Dub Guidance" wirkt wie Calexico-Wüstenrock in Offbeat gegossen.

Die Coverversion des alten Soul-Tracks "Ain't No Love In The Heart Of The City" verbinden wir eher mit Whitesnake. Freude am 'Dubben' des Liedes aus der Feder Bobby Blue Blands empfanden bereits die Senior Allstars mit Sängerin Ammoye. In der neuestes Version von Horace und Adrian erkennt man den Klassiker kaum wieder. Weite Instrumental-Strecken und ein peitschender Beat mit Bläsern treffen auf einzelne Textfetzen. Die verhallen in die Ferne, teils verschluckt von Elektronik, teils reproduziert in der Echokammer.

Auch "Come After Midnight" zerlegt wenige Zeilen und Silben in ein großes Puzzle aus vervielfachten Lauten. Dazu gibt flirrende Percussion den auf schnell getrimmten Takt vor. Das locker hüpfende Drum'n'Bass "Dirty Money Business", wieder ein Duett mit Daddy Freddy, entstammt dem Sprachregister der Kapitalismuskritik an Babylon, Horaces Lieblingsthema: "Money money money / you got no heart!" Das Original zur Hookline stammt aus dem Jahr 1974, die Hitfassung datiert auf 1982.

Der Charakter der rub-a-dubbigen Nostalgisierung des Songmaterials setzt sich als wiederkehrendes Merkmal und roter Faden durch, sodass "Midnight Scorchers" eine große Bühne für Bass und Schlagzeug bereitet. Teils, wie bei "Hell And Back", ruht dann wenig Gewicht auf Text und Stimme. Viel mehr klacken und wabern große instrumentale Anteile. Mittendrin findet sich mit "Sleepy's Night Cap" sogar ein reines Sherwood-Instrumental. Richtig geil sticht hier die Verwurstung von Herb Alperts "The Lonely Bull" hervor, auch bekannt durch die Delinquent Habits. Dank des Mix-Masterminds Sherwood kratzt "Midnight Scorcher" heftig an den Sphären von Sample-Kult und elektronischer Musik.

Trackliste

  1. 1. Come After Midnight
  2. 2. Midnight Scorcher
  3. 3. Away With The Gun And Knife
  4. 4. Dirty Money Business
  5. 5. Sleepy's Night Cap
  6. 6. Feverish
  7. 7. Ain't No Love In The Heart Of The City
  8. 8. Dub Guidance
  9. 9. More Bassy
  10. 10. Hell And Back

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