laut.de-Kritik
Comeback mit alten Weggefährten und dem NIN-Produzenten.
Review von Ulf Kubanke"Das unterdrückte geile Tier, es will zu dir, es will zu dir!" Na dann immer herein. Lang ist Hubert Kah fort gewesen. Eine volle Dekade ging seit dem letzten musikalischen Lebenszeichen ins Land. Elf Jahre nach seinem tiefgründigen Opus Magnum "Seelentaucher" steht Mr. "Engel 07" erneut auf der Schwelle.
Das Comeback "Rock Art" ist eine erfrischend schräge Absage an Reißbrett oder Schablone. Kauzig, kreativ und verdammt individuell gelingt ihm eine der unterhaltsamsten Pop-Platten des Jahres. Abba-dabba-dabba-dadapp! Kah schmückt sich dabei mit seinem alten Weggefährten Joachim Witt (im Titelsong) und ASP ("Märchenwald"), die ihren Job beide gut machen, weil sie sich musikalisch auf das Unterstreichen Kahs beschränken.
Der große Coup ist gleichwohl ein anderer: Als oberster Soundmagier fungiert Chris Vrenna. Das langjährige Mitglied der Nine Inch Nails/Marilyn Manson ist eine weltweit anerkannte Koryphäe. Seine Referenzliste verzeichnet Bowie, U2, Gary Numan oder Rammstein als Kunden. Beiden ist das Denken in stilistischen Schubladen fremd. Vor allem Kah, der zeitlebens mit ganz anderen Beengungen zu kämpfen hat, kann über musikalisch limitierte Formate nur lachen.
So erweist sich die Palette als entsprechend breit aufgestellt. Es gibt Wave, Pop, Rock, einen Hauch dunklen Chansons, sogar etwas Funk und noch einiges mehr am großen Buffet. Gelegentlich auch alles simultan. Dabei bleibt die Produktion stets übersichtlich und das Songwriting dramaturgisch effektiv.
"Ave Maria" schießt hier den Vogel ab. Western-Hook, laszives Schmachten, ein Hauch Bluesrock, operettenhafter Sakro-Pop im Chorus, Spoken-Word-Passage und zum Ausklang eine dezent schmirgelnde E-Gitarre. Verglichen mit Kahs frühen Hits ist das schon fast Rootsmusik. Klingt auf dem Papier krude, funktioniert im Ohr gleichwohl prächtig. Sein extrem abgezocktes Pop-Rock-Songwriting hat Klasse wie eh und je.
Kah selbst setzt hierbei stark auf theaterhafte Elemente. Sein Timbre pendelt zwischen Nomi-eskem Conferencier und einem lasziven Hauch Kinski. Er singt, säuselt, krakeelt, deklamiert, ironisiert und zieht dabei alle stimmlichen Register. Jede dieser Nuancen webt er songdienlich ein. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Aus diese Grund funktioniert sogar ein absurdes "Johoho" als Country-Kontrast im ansonsten schleppend gehaltenen "Hungrig".
Auf diese Art verbindet er das Skurrile mit dem Plausiblen, das getriebene Tier mit dem philosophischen Kopf. Kein leichter Parcours und sehr riskant. Doch Kah hat die Slogans des Gassenhauers ebenso auf der Schippe wie emotionale, teils anrührende Elemente. Ausnahme: Der unerträgliche Animateur-Pop in "Paradiso Extremo". Es bleibt der einzige Ausfall.
So zieht er ordentlich vom Leder. "Dich Wiederzusehen" etwa verpasst seinem Überhit "Rosemarie" - gleichermaßen Fluch wie Segen in Kahs Karriere - einen liebevollen aber deutlich ironischen Schwinger. Zwischendurch hadert er mit lustfeindlichem Katholizismus oder gibt den Romantiker. Am allerbesten ist er dennoch, sobald er über den Dämon Depression singt, der ihn fast zugrunde gerichtet hat.
Dieses Untier zieht sich als roter Faden, Essenz und Klammer durch die gesamte Platte. Erhellend für Nichtbetroffene und ermutigend für Leidende spiegelt er sein Inneres. So etwa im catchy Pop-Juwel "Funkelnde Spiegel": "Wenn du existierst, dich dabei verlierst und dennoch monologisierst, gibst du dich aus der Hand." Noch besser gerät das manische "Parfüm Deiner Liebe" mit der Fortsetzung "Sodom und Gomorrha waren immer schon da. Komm und bleib auf der Welt; auch wenn's dir hier nicht gefällt. Steig hinab in die Tiefe und erdulde die Krise."
Mein Favorit in diesem Kontext und mit Abstand der stärkste Song des Albums ist die "Todessymphonie".
"Hier ist die Todessymphonie. Sie zwingt dich langsam in die Knie; will dein Leben, dein Genie ... scheißegal!" Die Zeilen ringen trotzig mit der Bestie wie mit einem Löwen und zeigen der Niedergeschlagenheit den Mittelfinger. Das Lied selbst glänzt mit intensivem, recht hymnischen Chorus und 70ies-Softporno-Opulenz. Daumen nach oben für "Rock Art" und das Stehaufmännchen des nationalen Showbiz.
10 Kommentare
wundert mich schon, dass der neben seinem beruf als trash-tv darsteller überhaupt noch zeit findet, irgend was anderes zu machen.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Also mir hat ja dieses "Terrorist der Liebe" schon gereicht. Und auf diesem Album soll dann noch was brauchbares sein? Naja ich weiß ja nicht....
https://www.youtube.com/watch?v=CCBIwf_RXg…
also ich bin überrascht über die negativen kommis. klar, nicht jedem gefällt immer alles. Ich finde es wirklich gut gemacht...
also für mich war er auch so ein abgehalfterter NDW Star, aber das gefällt mir sehr gut, interessant irgendwie und hätte ich ihm gar nicht mehr zugetraut.
Gehört 4/5 - Todessymphonie eigentlich nur geil!