laut.de-Kritik
Der Gegenbeweis für jedes A&R-Handbuch.
Review von Alexander EngelenVor weniger als zwei Jahren waren sie nicht viel mehr als Stoff für die Demotape-Sparte der hiesigen Hip Hop-Journaille. Mittlerweile gelten die Kölner Kurt Hustle und Hulk Hodn als eine unverzichtbare Säule der gesamten Deutschrap-Szene.
Auf die Auszeichnung zum Demo des Monats im JUICE Magazin im August 2007 folgte eine Erfolgsgeschichte mit abstrusem Kopfschüttel-Charakter und der wahrscheinlich kopfnickendste Gegenbeweis für jedes A&R-Handbuch. Da macht es ja nur Sinn, dass "Der Stoff, Aus Dem Die Regenschirme Sind" jetzt am gleichen Tag wie das Album des (ehemals) besten und das des (ehemals) umstrittensten Rappers des Landes erscheint.
Huss & Hodns Quasi-Debüt "Jetzt Schämst Du Dich!" faszinierte die Heads bundesweit durch Rückwärtsgewandtheit hinsichtlich der Battlerap-Tradition M.O.R.'scher Schule und musikalischer Verortung im D.I.T.C.-Kosmos.
Doch der neue Longplayer des Duos macht deutlich, dass der Rap-Entwurf von Huss & Hodn eben nicht nur die Vergangenheit zitiert, sondern eine zeitliche Komponente links liegen lässt.
Oder, um im Jargon des Retrogotts zu bleiben: "Ich schlag der Realität den Zahn der Zeit aus." Huss & Hodn brauchen natürlich ihre Querverweise zu bestimmten Stadien einer musikalischen Tradition - das wird in der Jazz-Fixierung des neuen Albums umso deutlicher - dennoch wirkt dieses stimmige und überzeugende Konzept aktueller als der Sound eines jeden neuen noch so Trend gehypten Glitch Hop-Wunderkindes.
Huss & Hodn liefern Zeitlosigkeit als Entwurf ihrer Normalität – oder wieder mit dem Retrogott: "Ich bin nichts Besonderes. Nur unendlich."
Rap ist hier reinster Existentialismus, der jedoch weit entfernt von einem Existenz stiftenden Lebensentwurf bleibt. Wahrscheinlich versinnbildlichen Huss & Hodn die Ghostdog-Story des rappenden Aufsteigers besser als jede neue "Get Rich Or Die Tryin"-Karriere.
Eben gerade, weil sie alles andere als das im Sinn haben. Und eben gerade, weil ein untersetzter Shortie wie Kurt Hustle, der etwa völlig verloren übers Splash!-Backstage-Gelände trottet, den "Jeder kann es schaffen"-Mythos auf die Spitze treibt und mit seinem Partner Hodn jedwede vermeintliche Rap-Konvention zwischen Techno-Massiv und Kopfnick-Massive konterkariert.
In gar nicht so liebevoller Kleinstarbeit deckt "Der Stoff, Aus Dem Die Regenschirme Sind" die Missstände der Szene auf, beschreibt herrlich nachvollziehbar die Eigenheiten des Rap-Zirkus (!) und begeistert dabei mit punktgenauen Punches. Straßenrapper bekommen ihr Fett weg ("Bezahl mal im Supermarkt mit deinem Straßen-Fame") und Traditionalisten wird vor den Bug geschossen ("Dein Graffiti hilft dir nicht, wenn ich dich mit einer Wand beschmeiße").
Aber zu guter Letzt trifft es oft genug die Konsumenten, die ja in Wahrheit für so manche Misere verantwortlich sind ("Ich frage mich, was kommerzieller Erfolg ist, außer der Bestätigung der Dummheit eines ganzen Volkes"). Liefern Huss & Hodn hier also den Beweis, dass die Strippenzieher im Hip Hop-Geschäft tatsächlich nur Brot und Spiele für ihr Publikum bereit halten?
Auch die hier vielleicht zu weit gehende Überinterpretation der herkömmliche Flow- und Style-Traditionen brechenden Lyrics des Retrogotts soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass "Der Stoff, Aus Dem Die Regenschirme Sind" unbestreitbar mehr Wert auf einen über den Battle-Gedanken hinausgehenden Inhalt setzt.
Ein Titel wie "Deutsch Sein" liefert dafür das offensichtlichste Beispiel. Mehreren Referenzen in Richtung Deportation und einem immer wieder auftauchenden Zug-Thema könnte man eine unterschwellige Aussage unterstellen. Vielleicht spielt mir da aber auch nur das vorliegende Snippet einen Streich.
Musikalisch ist das Album sowieso über alle und jeden erhaben. Zumindest für diejenigen, die Simplizität über eine tausendmal gebrüllte Textzeile von Fatman Scoop oder einen potenten Trademark-Bass Cool & Dre'scher Prägung hinaus schätzen. Aus den Samplern von Hodn, Retrogott, Noyland (aka Noy Riches) und dem Radira (aka Sylabil Spill) kommen jazzige Loops und dreckigste Drums aus dem MPC-Universum, in dem Lord Finesse, Doom und Madlib den Ton angeben.
Und auch hier weiß der Retrogott genau, was dabei den Zuhörern unter den Fingernägeln brennt: "Wer von euch macht die Beats? Immer der, der gerade nicht damit beschäftigt ist, dein Kopf in ein Urinal zu halten." Touché.
Huss & Hodn zeigen auf "Der Stoff, Aus Dem Die Regenschirme Sind", wie man kreativ perfekte Imperfektion zelebriert. Dabei haben sie in ihrer Mischung aus Humor, Dadaismus und treffsicherer Ernsthaftigkeit zwei ganz große deutsche Meister im Rücken, die nicht aus dem Rap kommen: Den Chef der genialen Abstrusitäten Helge Schneider und Erich Kästner mit seinem perfekt passenden Leitspruch "Es gibt nichts Gutes. Außer: Man tut es!"
72 Kommentare mit 4 Antworten
Das davor war bessah.
Ich feier die Scheibe ohne Ende!
Ich bin raus...
HHV liefert erst am Dienstag
musste es auch etliche male hören bis ich es wirklich gut fand. zuerst fand ichs sehr viel schlechter als den vorgänger, mittlerweile sind sie auf etwa gleichem level, jetzt schämst du dich is aber einen ticken besser nichtsdestotrotz.
"Ich zerbrech mir den Kopf darüber, wie ich dir den Kopf brechen kann. Mach auf deinem Herd alle Kochflächen an. Jetzt wird gekocht"
NEUES ALBUM 2013:
http://www.rap.de/news/news/12083-huss-und…
WHUAAAAAAAAAAAAAAAAAAAT
So im Nachhinein.... Hat das Album auch 6 Monate nach Release noch jemand angehört?
Ich nämlich nicht.
Ja doch, eigentlich schon.
Mittlerweile wirds zwar meistens dann eher der Nachfolger, aber ich find das hier auch nachhaltig gut. Ist halt nicht so hitlastig...
Nein. Aber ich höre auch nach 12 Jahren immer noch sehr gerne die "kingpintin" vom großartigen rhymin Simon, die du seiner Zeit so verrissen hast
Jetzt schon lange nicht mehr gehört, war aber damals sicher über Jahre in meinem Player.
Lief bei mir sogar wesentlich öfter als der Vorgänger. Album Nr. 3 ist dann aber nochmal mind. 2 Stufen drüber.