laut.de-Kritik
Anspruchsvolles Easy Listening ohne roten Faden.
Review von Giuliano BenassiSeit 2002 hat Sam Beam alias Iron & Wine eine erstaunliche musikalische Entwicklung durchgemacht. War sein Debüt "The Creek Drank The Cradle", weitgehend mit Akustikgitarre und Stimme aufgenommen, noch eine klassische Singer/Songwriter-Angelegenheit, tauchten 2011 auf "Kiss Each Other Clean" Synthetizer, Funk und Jazz auf. Und zwar in einem solchen Maße, dass es schwer fiel, den Künstler dahinter als ein und denselben zu erkennen.
"Ghost On Ghost" setzt diese Entwicklung fort. Die Experimentierfreude hat nicht nachgelassen, im Gegenteil. Zur Stamminstrumentierung aus Gitarren, Bass, Schlagzeug, Percussion, Orgel und der einprägsamen Pedal Steel-Gitarre von Paul Niehaus (Calexico, Lambchop) gesellen sich Streicher, Bläser und weibliche Chöre.
Erstaunlich, was Beam und Produzent Brian Deck mit dem bunten Ensemble zustande bringen. Der Opener "Caught In The Briars" beginnt mit 20 Sekunden kakophonischem Aufwärmen, setzt sich mit einer Akustikgitarre sowie Sams hoher Stimme fort und endet mit einer jazzigen Improvisation. Dazwischen kommen unter anderem Hörner und ein Klavier zum Einsatz.
Im weiteren Verlauf spielen Gitarren nur eine untergeordnete Rolle. "The Desert Babbler", das nach 70er-Soulpop inklusive Hollywood-Streichern und Falsetto klingt, erinnert mal an George Michael, mal an die Bee Gees. Die geringfügig bessere Hälfte von Wham! scheint es Beam angetan zu haben, denn auch im weiteren Verlauf klingen die Stimmen immer wieder nacheinander, etwa in der Klavierballade "Joy" oder in "Grass Windows".
Mit krudem Chartspop hat Beam jedoch nichts am Hut, dafür sind seine Arrangements viel zu vertrackt und das Schlagzeug zu verspielt. Trotz aller anderen Instrumente nimmt es schon fast die zentrale Rolle ein, so in "Low Light Buddy Of Mine" oder "Grace For Saints And Ramblers". Das Zusammenspiel zwischen Schlagzeug und Bass in "Singers And The Endless Songs" oder "Lover's Revolution" nötigt Respekt ab. Niehaus' Pedal Steele im abschließenden "Baby Center Stage" ist sensationell.
Ein weiteres Merkmal ist das Verhältnis von Klang zu Stille. Erstaunlich, wie es Beam und Deck gelingt, viele Stücke fast schon minimalistisch tönen zu lassen, obwohl eine ganze Menge passiert. Wobei gerade darin der Schwachpunkt des Albums liegt: Das Führungsduo legt soviel Tatendrang an den Tag, dass ein roter Faden fehlt, der die Stücke vereint. So handelt es sich eher um eine lose, bunte Sammlung als um ein organisches Ganzes.
Anno 2013 präsentieren Iron & Wine anspruchsvolles Easy Listening, das sich schwer einordnen lässt. Für diejenigen, die Sam Beam für seine frühe Werke mögen, sicherlich ungewohnt, dennoch eine Hörprobe wert. Auch wenn mehrere Durchläufe und aufmerksames Lauschen vonnöten sind, um sich mit "Ghost On Ghost" anzufreunden. Am besten bei ordentlicher Lautstärke.
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