laut.de-Kritik
Die Speerspitze zeitloser, stilprägender Coolness.
Review von Maximilian SchäfferWeder "Gammler" noch "Hippie", weder "langhaariger Waldaffe" noch "weibische Tunte": Keine der beleidigenden Vokabeln der Alten, sonst so gängig für die rebellische Jugend gebraucht, ließ sich eindeutig auf Jacques Dutronc anwenden. So spitzbübisch brav das Äußerliche des 23-Jährigen 1966 wirkte, so treffend gemein auf alle politischen und gesellschaftlichen Schichtungen zielten seine Songs. Dutronc sprach der Jugendkultur im Vormärz der 68er-Bewegung nur aus der Seele, wenn er gerade Lust dazu hatte. Sein eloquenter Texter Jacques Lanzmann zeichnete für die permanente, universale Mikroaggression verantwortlich. Er war wegen solch unorthodoxer Sperenzchen bereits 1956 aus der Kommunistischen Partei geflogen.
"Et moi, et moi, et moi", das erste aufgenommene Solostück Dutroncs überhaupt (Platz zwei in den französischen Charts), gibt Zeugnis einer sarkastischen Weltsicht. Dem Gaullismus der letzten Jahre, so aufrecht humpelnd wie verstaubt, hat Lanzmann nur einen radikalen Individualismus entgegenzusetzen: Was interessieren schon ein paar hundert Millionen, Russen oder Chinesen in der Welt? Was will mir der mitteleuropäische Durchschnittsbürger? Ich schließlich – und ich, und ich, und ich – habe doch meine Zwangsneurosen und Ticks und meinen Hund und meine Einzimmerwohnung. So ungefähr stellt es sich im Lied dar.
Selbstverständlich wird man in der Zeit der Jaggers und Lennons nicht nur mit lyrischen Ergüssen zu einem erfolgreichen Jugend- und Popstar. Ordentlich sexy hat man dennoch zu sein, trotz all des knäbischen Vibes. Wie sexy Jaqcues Dutronc dann doch gewesen war, kann man an seiner Ehepartnerin ablesen: Er heiratete Françoise Hardy. Die besondere Chemie der beiden lässt sich gut an einem demonstrieren. Unter den lasziv ausgestreckten Beinen seiner Partnerin hampelt Dutronc seinen unbeholfenen Tanz. Klar sind die beiden Lover – sie könnten sich aber auf dem Schulhof begegnet sein. Allerdings nicht mit diesen Stiefeln und nicht mit diesem Minirock.
Dutronc grinst über die kleinen Dinge im Leben und meint natürlich nicht nur Albert Schweitzer ("Doctor Schwäätzääär") sondern auch seinen Schwanz. Klar ist das irgendwie schmuddelig und anzüglich, aber gegenüber der Sexmonsterhaftigkeit eines Serge Gainsbourg doch eher Sandkasten. Nur geringfügiger Beat-Pop für junge Leute auf Französisch? Um den Einfluss dieser Musik schon einmal vorneweg zu nehmen: Besagtes Video lud Anton Newcombe alias The Brian Jonestown Massacre höchstpersönlich auf YouTube hoch. Kommentar: "Classic french pop – the real deal. enjoy."
Der vorliegende Artikel bezieht sich auf das Debütalbum von Jacques Dutronc, es erschien 1966 und hat genau genommen keinen Titel. Es wird landläufig entweder als "Et moi, et moi, et moi" oder als "das erste" bezeichnet, um festzusetzen welches der sieben frühen Dutronc-Alben ohne Titel gemeint ist. Das Album-Cover zeigt seinen Protagonisten in einer Art Vogelperspektive und diagonal von der linken unteren Ecke des Bildraums in die rechte obere (die schmächtigen 1,70 Meter vorteilhaft) gestreckt. Ölige Mod-Frisur, stahlblaue Augen, nikotingelbe Finger, ein nicht sonderlich gut sitzender Anzug, das Bürohemd halb lässig aufgeknöpft. Der kleine Jacques hebt den Zeigefinger, mimt den Aufruf zur Kenntnisnahme seines Persönchens.
Hier isser also, und los gehts mit "Les playboys", das man wohl als Eröffnungsstück wählte, weil es sich im Duktus doch sehr am traditionellen Chanson orientiert. Sehr vokabellastig und sprachrhythmisch in den Strophen, elegisch im Refrain. Fast ein kleiner Aznavour, der jetzt erst einmal erklärt, warum er die Mädels in Scharen rumkriegt, wo er doch noch so ein grüner Schmalhans – im Schwulenjargon würde man sagen: ein "Twink" – ist. Es folgt das recht lauwarme "L'espace d'une fille", ein Midtempo-Stück zum Schmachten und Schwofen.
Festzustellen ist, dass der eigentliche Charakter der Platte, oder besser gesagt: der prominente Aspekt des Charakters der Platte, erst ab dem dritten Song zum Vorschein kommt. "Sur une nappe de restaurant" ist genau der leichtfüßige, schnoddrige Proto-Garagenrock, für den Post-Garagenrocker dieses Album so sehr lieben. Seien es die Black Lips, die Arctic Monkeys, die Libertines oder eben The Brian Jonestown Massacre: Alle kennen und schätzen sie ihren Dutronc.
Das jazzige Schlagzeug – Michel Pelay spielt deutlich entspannter als Keith Moon, treibt die Band aber schon sehr betont nach vorne. Der präsente Short-Scale-Bass – auch Hadi Kalafate hat mal The Who gehört, John Entwistle spielte damals noch Danelectro. Wichtig auch die Hippieorgel: Alain Chamfort kam vom Jazz und spielte sie betont unbekifft, supercool, distinguiert. Was kommt raus? Monk Time plus Mensch in Gesellschaft. Pure Coolness aus allen Zutaten der Zeit, ohne im Zeitgeist zu versinken. Dem Sänger auf den Leib geschneidert.
"Les cactus" ist die vielleicht prominenteste Komposition auf "Dutronc 1", gleichzeitig die dritte Singleauskopplung und 400.000 Mal verkauft. Das Arrangement ist so einprägsam wie aggressiv, am ehesten mit "Ein Jahr" von den Fehlfarben zu vergleichen. Die Orgel schneidet zwischen die donnernde Batterie, Dutronc shoutet Extase, am Ende kommt noch ein maximal verzerrtes Bluesrocksolo im Fadeout dazu. Natürlich darf bei so viel aufgedrehtem Terz ein Kontrast nicht fehlen: Lyrisch gehts um die unbequeme Alltäglichkeit der unbequemen Alltäglichkeit. Da steckt man sich schon einmal einen Kaktus in die Hose, zur Abhärtung: "Pour me défendre de leurs cactus / À mon tour j'ai mis des cactus / Dans mon lit, j'ai mis des cactus / Dans mon slip, j'ai mis des cactus / Aïe aïe aïe! / Ouille! / Aïe aïe aïe!"
"L'opération" fährt zwischenzeitlich wieder einen Gang runter: pure, entspannte Coolness, zwei dingelnde Gitarren im Hintergrund, dezentes Schlagzeug. "On nous cache tout, on nous dit rien" hingegen ist die nächste Abrissbirne im Portfolio. Voller Stoff, alle kloppen drauf, fast schon The Kinks, fast schon "You Really Got Me" ohne britische Oberlippe, aber immer noch, wie gesagt, sehr, sehr cool.
So weiter geht es mit "La fille du Père Noël" (sexy und cool) und "Les gens sot fous, les temps" (zynisch und cool) inklusive sägender Fuzz-Gitarre. Diese vier, einzeln betrachtet nicht herausragenden Songs können bis heute in jedem Club dieser Welt als Tanzeinlage gespielt werden. Sie sind – noch einmal – die kontinentaleuropäische Speerspitze zeitloser, stilprägender Coolness. Sogar im Vergleich zu britischer Pionierarbeit bestehen sie bis heute deutlich besser. Während "You Really Got Me" und "My Generation" bahnbrechende Fingerübungen waren, überdauert Dutroncs abgebrühter Jazz-Rock-Beat-Chanson die Pubertät der Popkultur.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
Noch keine Kommentare