laut.de-Kritik

Der Pate des Stilwandels heißt Damon Albarn.

Review von

Nach dem Geniestreich "Kings & Queens" verschwand Jamie T, bis dato Prototyp des britischen Working class lads, fünf Jahre quasi komplett aus der Musikszene, wenn man von seinem 2012er Tim Timebomb-Feature absieht. Vermisst haben ihn nicht nur die Indiekinder der 00er Jahre, die zu Songs wie "Sticks 'N' Stones" Jugend, Freundschaft und das Leben an sich feierten, sondern auch das eine oder andere Musikmagazin fragte sich, wo der Junge abgeblieben ist.

Im Juli tauchte er plötzlich mit der zurückgelehnten Ballade "Don't You Find", der ersten Single des dritten Albums "Carry On The Grudge" wieder auf. Und schon da war klar: Die Platte ist heißer Anwärter für das überraschendste Comeback 2014.

Verschwunden ist der hibbelige, Wörter verschluckende Jungspund, der sich durch Londons Straßen, Pubs und Clubs schlägt - angetrieben von Freundschaft, Größenwahn, Liebe, Langeweile und Angst. Selbst die Cockney-Färbung der Lyrics ist verblasst, viele Texte versteht man auf Anhieb, der Wortanteil kommt vergleichsweise krass reduziert.

Pate des Stilwandels ist Damon Albarn, an den sich Jamie T wandte, um etwas über Songwriting zu lernen. Der Multitasker machte eine klare Ansage: Wenn du gute Platten wie meine machen willst, musst du dein Herz reinstecken. Also feilte Treays an den Kompositionen zu rund 180 Songs und präsentiert auf den zwölf, die am Ende auf dem Album landeten, emotionale Tauchgänge.

Rund die Hälfte der Songs funktioniert wie "Don't You Find": Ein bisschen Akustikgitarre, ein paar sanfte Beats und Drums, zwischendurch verschiedene Akzente zum Beispiel durch Streicher ("Love Is Only A Heartbeat Away") oder ein Xylophon („Turn On The Light“) und ein folkiger Nachfolger von "Jilly Armeen" oder "Emily's Heart" namens "Mary Lee". Die Strophen von "Limit Lies" erinnern außerdem an den ähnlich stark gewandelten Alex Turner und dessen Solotrip für den "Submarine"-Soundtrack.

Wie die Songtitel andeuten, beschäftigt sich der 28-jährige Brite immer wieder mit unglücklicher Liebe, "Don't you find some of the time / There is always someone on your mind that shouldn't be at all / At any place or any time" ("Don't You Find"), und traurigen Beziehungsenden, "Lump in my throat, too hard to swallow" ("Limit Lies"). "The Prophet" zeugt von einer weitreichenderen Resignation: "I don't ask the questions, I don't write the rules / I'm up for suggestions, I will follow you / It can't be any worse than what I've been up to”.

Auch die andere Hälfte der Songs, die wie früher zum bunten Genre-Mischmasch gerät, wagt sich an die Abgründe und Widersprüchlichkeiten in Jamie Ts Leben ran. Im Hardcore-infizierten "Peter" geht es um das gefährliche Wispern des Selbstzweifels. Der fröhliche Mitsingpop von "Zombie" ist inhaltlich aufgeladen mit Frustration über den Alltagstrott: "Cause I'm a sad sack post teen, could have been the love machine / No dream, come clean, walking like a zombie".

Auch wenn "Zombie" sich abnutzt und die ruhigen Titel beeindruckende Songwriter-Fähigkeiten zu Tage treten lassen - am besten zünden immer noch die Uptempo-Nummern: Das Hip Hop-lastigste Stück der Platte, "Trouble", groovt mit Handclaps und weiblichen "Shooop shooop"-Einlagen, in "Rabbit Hole" brettern Riffs wie aus den Britpop-Tagen der Libertines los und auch Jamies alter Kumpel-Charme ist wieder da: "Still know you can call me whenever/ I'm always 'round town, man, I'll be 'round forever".

Hoffentlich gilt das Versprechen auch der Musikwelt. "Carry On The Grudge" ist insgesamt düsterer und mit mehr Bedacht umgesetzt als die früheren Alben des Londoners. Als eingefleischter Fan ist man vielleicht kurz enttäuscht, aber nur bis man sich eingehört hat. Todernst ist "Carry On The Grudge" nämlich nicht, sondern die kleinen Spielereien, etwa das völlig überdrehte Gelächter in "Zombie", und Popreferenzen an die Rocky Horror Picture Show oder den "Heavy Heavy Monster Sound" schwirren zwischen seinen Erfahrungen mit gebrochenem Herzen, Verrat durch Freunde und dem Konflikt zwischen Öffentlichkeit und seiner Panikstörung herum.

Sicher hätte ein treibenderer Song mehr anstelle eines ruhigen dem Album nicht geschadet, viel mehr gibt es an der Weiterentwicklung von Jamie Ts Sound aber nicht auszusetzen.

Trackliste

  1. 1. Limits Lie
  2. 2. Don't You Find
  3. 3. Turn On The Light
  4. 4. Zombie
  5. 5. The Prophet
  6. 6. Mary Lee
  7. 7. Trouble
  8. 8. Rabbit Hole
  9. 9. Peter
  10. 10. Love Is Only A Heartbeat Away
  11. 11. Murder Of Crows
  12. 12. They Told Me It Rained

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4 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Hey, da ist ja scheinbar was interessanes an mir vorbeigegangen, beide Alben auf die Liste, ey.

  • Vor 10 Jahren

    Das Album ist für mich die Enttäuschung des Jahres. Warum? Warum?!?!?! Warum will dieser Mann auf einmal klingen,wie der 3.500ste Aufguss von britischem Indie Rock? Warum hat er seinen grandiosen Joe Strummer / Mike Skinner Hybrid gegen diese weinerlich-nölige Herzschmerz-Attitüde eingetauscht? Kurz enttäuscht? Nee, nicht wirklich. Das ist einfach nur schrecklich!

    • Vor 10 Jahren

      Merker für mich: Erst das Debut hören. ;)

    • Vor 10 Jahren

      Ich fand ja Kings&Queens tatsächlich noch nen Ticken geiler als Panic Prevention.

    • Vor 10 Jahren

      Ich auch. Würde auch behaupten dass 'Kings & Queens' eingängiger ist, von daher als Einstieg nicht verkehrt. Mit dem Debüt kannst aber natürlich auch anfangen, lauti.

      @Strulle: So schlimm? :( Ich muss mal selbst reinhören. 'Don't You Find' fand ich echt ganz gut, wenn auch nicht unbedingt das was man von Jamie T erwartet hätte.

    • Vor 10 Jahren

      Ein Kumpel von mir ist auch direkt steil drauf gegangen, ich find's im Vergleich zu den beiden Vorgängern nach einmaligem Hören auch viel zu glatt... Auf Panic Prevention war die Bass guitar noch brand new und ein cracked up piece of shit, auf seiner aktuellen Platte wirkt nicht nur die, als habe er sich inzwischen gängige Konventionen diverser Genres angeeignet.

  • Vor 10 Jahren

    Einmal durchgehört jetzt. Nachdem ich zwischenzeitlich kaum noch Erwartungen hatte, bin ich jetzt eher positiv überrascht. Ein paar schöne Songs sind dabei. Klingt aber halt nach solidem, reduziertem Indie und nicht nach dem Wahnsinn, den Jamie T auf den ersten beiden Platten ausgezeichnet hat. Wäre das ein Debütalbum von irgendjemand, würde ich mich wenig dafür interessieren.

  • Vor 10 Jahren

    Ich verstehe nicht wieso sich ständig Leute drüber beschweren und meinen die Künstler "wollen klingen wie dies und jenes". Der Junge ist mittlerweile 28, vielleicht haben sich auch seine Ansichten und somit auch die Musik verändert. Wer sich wirklich damit beschäftigt entdeckt auch hier noch die selben Wortspielereien und den Charm des "alten" Jamie Ts. Er hat in den vergangenen 5 Jahren eben andere Dinge erlebt als früher, die Ihn nun für sein neues Album geprägt haben und somit sollte auch die Thematik nachvollziehbar sein.
    Man kann ja sagen es trifft nicht mehr den eigenen Geschmack und hört lieber die alten Platten, aber bitte lasst die Künstler doch endlich Musik machen wie sie gerade wollen.