laut.de-Kritik
Direkt ins Schwiegermutterherz - und dann zurück in den Nebel.
Review von Kai ButterweckSchwarzlichtschattenspiele, Hula-Hoop-Exzesse, The Crow-Zaubereien und zirkusreifes Seifenblasengepuste: Auch in diesem Jahr schossen Dieter Bohlen und Co. unter dem "Supertalent"-Banner wieder aus allen Rohren. Abermals ließ Deutschlands Nonsenssender Nr. 1 so ziemlich alles von der Leine, das hiesige Proberaumkeller, Fußgängerzonen und zweitklassige Zirkuszelte so zu bieten haben.
Hochgezogene Augenbrauen, offene Münder und prall gefüllte Tränensäcke: Der gängige Sekundenvoyeur kam erneut voll auf seine Kosten. Doch am Ende führte wieder einmal nicht die Einzigartigkeit zu Ruhm, sondern der perfekte Mix aus berührendem Schicksal und Die-Musik-hat-alles-verändert-Attitüde.
Am ergreifendsten präsentierte dieses Gesamtpaket in diesem Jahr Jean Michel Aweh, ein schlaksiger Twen aus Kassel, der mit weinerlichem Timbre und düsterer Vergangenheit am Ende die meisten Zuschauer ans Telefon lockte. Kaum, dass der letzte Fan der perfekten Linguini-Realfilmbesetzung den Hörer auflegte, begannen bei den händereibenden Promo-Verantwortlichen im Hintergrund auch schon die iPhones zu glühen.
Husch, husch, nur noch wenige Tage bis Weihnachten, hallte es durch die Büroräume der Marketing-Elite. So klotzten alle Beteiligten so richtig ran, um des Gewinners Debütalbum auch ja noch rechtzeitig zum Feste präsentieren zu können.
Das Ergebnis heißt "Raus Aus Dem Nebel", ein Album, das in seiner lieblosen Aufmachung an selbstgebrannte Schlagerwerke gescheiterter Kirmes-Heroen erinnert. Aber, so what? Niemand dürfte im Ernst eine Deluxe-Verpackung inklusive ausführlichem und kreativ anmutendem Booklet erwartet haben. Wie soll man Derartiges auch schaffen, innerhalb von sieben Tagen? Viel wichtiger ist doch die Musik.
Hier können sich alle Schattenmänner beruhigt zurücklehnen, denn völlig untypisch für ein Casting-Ergebnis, stammt jeder Ton und jede Zeile – von den beiden Coverversionen "Der Weg" (Herbert Grönemeyer) und "Wie Soll Ein Mensch" (Philipp Poisel) einmal abgesehen – vom Protagonisten selbst.
Man ist fast schon geneigt, Beifall zu klatschen, wenn man nicht wüsste, dass es einzig und allein um Arbeitsminimierung ging, als man dem introvertierten Sänger die Leinen in die Hände legte. Jean-Michel Aweh macht das Beste daraus.
Er setzt sich ans Klavier und verarbeitet seine Vergangenheit. Als Scheidungskind fast auf die schiefe Bahn geraten, träumt er dieser Tage von erhellenden Momenten ("Bring Mir Die Sonne Mit"), Zweisamkeits-Vermittlern ("Rosenmann") und dem lieben Gott ("Schatten Ohne Licht"). Auf einer Wolke schwebend stärkt er sein Selbstbewusstsein ("Weil Ich Fliege"), und ganz oben im All trotzt er der kalten Unenendlichkeit ("Houston, Wir Haben Ein Problem").
Mit seinem näselnden, immer wieder leicht instabil wirkenden Organ trifft der Barde direkt ins Schwiegermutter-Herz. Süffig und triefend bahnen sich eingängige Allerwelts-Akkordabfolgen - unterstützt von stoischen Musicmaker-Beats - ihren Weg durch die Boxen. "Raus Aus Dem Nebel" ist das authentische Gegenwartstagebuch eines einfachen jungen Mannes, der mit seiner Musik versucht, alte Wunden zu schließen.
Das darf er natürlich. Das soll er sogar. Es gibt sicherlich viele Menschen, die, von der Seelen-Zurschaustellung der vergangenen Wochen infiziert, beim Hören dieses Albums die eine oder andere Träne vergießen. Was unterm Strich allerdings übrig bleibt, ist das limitierte Schaffen eines Moment-Menschen, der ohne seine aufwühlende Geschichte wahrscheinlich nie auf dem roten Teppich gelandet wäre. Denn ohne Bohlen, Hunziker, Gottschalk und RTL würden die acht Eigengewächse von Jean-Michel Aweh wohl eher im Sumpf der Masse untergehen.
Wer weinen will, der soll jetzt weinen, und wer träumen will, der soll jetzt träumen. Aber es soll bitte niemand auf die Idee kommen, zu denken, dass sich zu Beginn der nächsten "Supertalent"-Staffel noch irgendwer an Jean-Michel Aweh erinnern wird. Raus aus dem Nebel, rein ins Licht, und wieder raus aus dem Licht und zurück in den Nebel. So lief es bisher immer, und so wird es auch diesmal sein, denn rein musikalisch bleibt auch beim diesjährigen "Supertalent" nicht mehr hängen als der Moment. Jean-Michel Aweh: King for a day, fool for a lifetime? Vielleicht nicht ganz so hart, aber doch in die Richtung gehend.
3 Kommentare
Allen das Cover macht schon Augenaua.
Ich find ja das Album auch ziemlich schrecklich, aber die Rezension... sorry, aber Herr Rezensent: Haben Sie hier die Sendung oder das Album rezensiert? Mir scheint, dieser Mann hätte auch ein Jahrtausendalbum auf den Markt werfen können und es wäre trotzdem verrissen worden - einzig und allein aus dem Grund, dass er beim Supertalent mitgemacht hat.
Vielleicht koennte es auch daran liegen, dass die Sendung und deren faekalierte Auswuerfe einen so runterziehen. Da hat man im Vorhinein schon Brechreize ^^ (bin grad an ner US-Tastatur).