laut.de-Kritik

Ein "Drive"-Soundtrack mit Frau am Steuer.

Review von

Ob es einem nun gefällt oder nicht, aber heutzutage sollte man im Hinblick auf die eigenen Karrierechancen auch die Google-Affinität des Künstlernamens in Betracht ziehen. Dahingehend ist der Projektname S so ziemlich der Dümmste, den man wählen kann (von den 25 anderen Buchstaben abgesehen). Vielleicht war es Jenn Champion bislang aber einfach auch egal, ob sie neue Fans übers Internet gewinnt. Schließlich ist 2014 trotzdem eine Review zu "Cool Choices" auf Pitchfork erschienen, das Album wiederum auf dem Insider-Label Hardly Art (u.a. The Julie Ruin), wie zuvor schon die Platten von Champions Nullerjahre-Band Carissa's Wierd.

"Single Rider" ist ein Neustart in sämtlicher Hinsicht. Statt unter S erscheint die Platte unter ihrem Geburtsnamen, die Musikerin verließ mit ihrer Frau die Heimat Seattle für Los Angeles und begeht musikalisch Stilbruch. Statt Herzschmerz-Indie steht nun Herzschmerz-Synthpop an oberster Stelle, und nur eines scheint gleich geblieben: Jenn bezeichnet sich nach wie vor als "Owner Of A Lonely Heart", textet dementsprechend und sah die Zeit vor kurzem auch gekommen, um den Yes-Klassiker gleich selbst zu covern (auf den Streamingdiensten eurer Wahl).

Das Cover ist ihr ziemlich gut gelungen, was jeder ahnt, der sich die ersten zwei Songs von "Single Rider" zu Gemüte führt: "O.M.G. (I'm All Over It)" nähert sich dem Dancefloor auf Samtpfoten im Stile der minimalen Chromatics-Hits, dazu säuselt Champion aber nicht, sondern trumpft mit klarer und sofort einnehmender Stimme auf. "Ah - Ah - Aahh - I'm all over it / we're gonna dance all night": Lange ist es her, dass ich mich spontan dermaßen genötigt fühlte, solch einem Aufruf Folge zu leisten.

"Coming For You" hält den Hook-Wahnsinn und umarmt die 80er Jahre endgültig, der Hörer derweil verloren im Würgegriff der melancholischen Schwere von Ultravox. Ein früheres Album Champions hieß "Sadstyle", was die Atmosphäre nach wie vor gut beschreibt. Sie kämpft für die Liebe ("We've got somethin' to prove / got somethin' to prove / got somethin' to prove / and nothin' to lose / I'm comin' for you") oder will nichts von ihr wissen ("I don't wanna fall in love tonight") - hauptsache der Sound in der Disco ist laut. Lose yourself to dance.

Italians do it better? Nicht unbedingt. Produzent SYML aka Brian Fennell, der bisher nur dadurch auffiel, dass ein Song seiner Ex-Band Barcelona von einem gewissen Casper in "Kontrolle/Schlaf" gesampelt wurde, kleidete für Jenn Champion mit "Single Rider" ein angenehm sitzendes, an keiner Stelle protzig wirkendes Synth-Noir-Kostüm, das völlig ohne moderne House-Beats, Autotune oder sonstige Stilmittel auskommt. Dadurch tritt automatisch der Retrocharakter in den Vordergrund, den Champion mit schlauem Songwriting spannend hält.

Einfach nur lässig, wie sie beispielsweise im niederschmetternd infektiösen "Holding On" nach dem zweiten Refrain eine Gitarrenline abtropfen lässt, die The xx zur Ehre gereichte. In der zweiten Albumhälfte nimmt sie bis auf "Time To Regulate" das Tempo raus und präsentiert die Balladen für den ganz schlimmen Liebeskummer. "And it's alright and you should leave me alone", seufzt sie in "Bleed" am Piano, in "Hustle" verdüstert sich dann der Stimmungsbogen endgültig, so dass es als Albumfinish eigentlich besser gepasst hätte als das etwas ziellose "Going Nowhere". Dennoch: "Single Rider" ist ein "Drive"-Soundtrack mit Frau am Steuer. Und auch wenn Jenn Champion scheinbar Ryan Goslings Gedankenwelt teilt ("I'm leaving everything, everything"), lässt "Single Rider" kaum Zweifel daran, dass sie genau weiß, wo sie hin will.

Trackliste

  1. 1. O.M.G. (I'm All Over It)
  2. 2. Coming For You
  3. 3. You Knew
  4. 4. Holding On
  5. 5. The Move
  6. 6. Never Giving In
  7. 7. Mainline
  8. 8. Time To Regulate
  9. 9. Bleed
  10. 10. Hustle
  11. 11. Going Nowhere

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