laut.de-Kritik
Willkommen im La-La-Reg-Prog-Schlager-Land!
Review von Dennis RiegerHörerinnen und Hörern ohne Scheuklappen wird mitunter das Privileg zuteil, neue musikalische Welten entdecken zu dürfen. Dass diese neuen Welten auch noch im Jahr 2024 in einem untoten Genre wie dem Progressive Rock liegen können, überraschte mich beim Hören des neuesten Opus Jon Andersons jedoch. Ja, Mr. Anderson, der ehemalige Musterchorknabe von der yesschen Gestalt, geht zusammen mit den Band Geeks auf "True" mutigere und konsequentere Wege als so manch andere Anhänger des Retro-Prog (oder sollte man lieber Regressive Progressive Rock schreiben?). Wären es doch nur nicht solche Wege!
"True Messenger" läutet das Album mit halbakustischer Gitarre und Jon Andersons respektablem Gesang ein. Welche Weisheiten der 79-jährige Barde trällert, war schon zu den goldenen Zeiten seiner alten Band zweitrangig. Insofern stören reimselige Zeilen wie "You are everyone, you are me / You are everyone, you are free" nur bedingt, wenn sie aus dem Munde des esoterisch bewanderten Strahlemanns erklingen – zumal sie traurigerweise zu den besseren des Albums gehören. Klebrig wird es erst, wenn einer der Backgroundsänger ins Rezitieren von Kalendersprüchen der skurrileren Art einstimmt. Ihm nimmt man nämlich nicht ab, nach Konzerten auf die Kraft von Chakra-Steinen zu schwören.
Der Opener nimmt bereits vieles vorweg, womit man im Laufe des Albums immer wieder konfrontiert wird: Oft formidale Gitarrensoli werden, von einem überzeugenden Drumming angetrieben, scheinbar willkürlich in einen ungenießbaren Soundbrei aus schlageresken Synthesizern, vorgestrigen Keyboardsounds und schwülstigen Backgroundvocals geworfen. Die musikalischen Einzelteile wirken beliebig aneinandergereiht. "Soundbrei? Beliebig aneinandergereiht?", höre ich bereits die Anhänger der Orthodoxen Kirche des 7/8-Taktes aufschreien. "Das ist eine unverschämt polemische Definition von Prog Rock durch einen ahnungslosen Rezensenten! Der soll mal lieber Helene Fischer hören, dieser verkappte Freund des 4/4-Taktes!"
Jene Anhänger der Orthodoxen Kirche des 7/8-Taktes müssen in Song Nummer zwei stark sein. Bei "Shine On" handelt es sich nämlich um unverschämt eingängigen Retro-Powerpop der übleren Sorte, der in den Untiefen einer 80er-Grabbelkiste wühlt. Den Songtitel intonieren Jon Anderson und Co. mit großzügiger Autotune-Unterstützung. Ausschließlich zu jener Single-Auskopplung passt das so skurril wie billig daherkommende Cover der LP, auf dem der rüstige Knabe in lockigem Haar sonnenbebrillt und von Glitzerschriftzügen umgeben sein Mikro umklammert. Manchen gelingt es, musikalisch abzuliefern und dabei nicht den Berufsjugendlichen zu geben, wenigen anderen gelingt das Kunststück, den Berufsjugendlichen zu geben und dabei musikalisch abzuliefern. Manch anderen gelingt leider weder das eine noch das andere.
Anhänger der reinen 7/8-Takt-Lehre dürfen bei "Counties And Countries" aufatmen. Fast zehn Minuten lang proggen die Band Geeks, dass sich die Balken biegen. Diesmal werden unter anderem eine Akustikgitarre und verdächtig nach Konserve klingende Bläser in den wenig schmackhaften Soundbrei geworfen. Der ehemalige Yes-Sänger quiriliert derweil über die Gärten Eden (warum der Plural, Mr. Anderson?), die ihn "nach Hause" rufen. Das starke Keyboardsolo in der achten Minute des Songs wirkt verloren im Kitschdickicht.
"Make It Right" lockt zunächst mit einem schönen Akustikgitarrenintro auf eine falsche Fährte. Minimalismus ist Jon Andersons Sache nicht! Mit hallunterlegter Stimmte schmalzt der Lord of the Band Geeks alsbald los, ehe ein Akkordeon für Schunkelstimmung sorgt. Schielt hier jemand auf das MDR-Nachmittagsprogramm? Eher unwahrscheinlich, denn diese Zielgruppe dürfte von diversen Taktwechseln, einem Gitarrensolo und einem unvermittelt einsetzenden Gospelchor abgeschreckt werden. Während das Albumcover verdächtig nach Photoshop aussieht, klingen Tracks wie "Make It Right", als hätte ein experimentierfreudiger Grundschüler Audacity für sich entdeckt und diverse Soundschnipsel unterschiedlichster Genres zu so etwas Ähnlichem wie einem Song zusammengefügt.
Das einminütige Intro von "Once Upon A Dream" überzeugt mit nicht zu aufdringlichen Streichern, Glockenspiel und Bläsern. Allein: Fünfzehneinhalb weitere, weitaus pathetischere Minuten folgen. Musikalisch lässt sich auch mit viel gutem Willen kein roter Faden finden, lyrisch im weitesten Sinne schon: Anderson singt über "magic", "fascination" und "angels", als sei sein Song einer schamlosen Schlagerschnepfe auf den Leib geschrieben worden. Notorisch gute Laune soll aufkommen mit Zeilen wie "We dance, we fly / In an endless sky" nebst Gänsehaut-Keyboardsounds. Na dann: Guten Flug! Abseits der kulturchristlich geprägten Frömmelei in den Lyrics erlaubt sich der Promotext einen blasphemischen Ausfall: Der schmalzige Longtrack werde, so die bestenfalls optimistische Einschätzung, zukünftig in einer Reihe mit Songs wie "Close To The Edge" oder "The Gates Of Delirium" stehen.
Zum Schluss fallen alle Hemmungen: Auf "Thank God" gibt Anderson den Crooner und dankt dem Herrn des Himmels nebst Ekel-Keyboardsound und Chor für seine Liebschaft. Von diesem ebenso frömmelnden wie schmierigen Liedgut würden selbst die ZDF-Fernsehgarten-Verantwortlichen die Finger lassen.
Schlimmeres verbrach der Barde mit der ewigen Musterchorknabenstimme auf Albumlänge höchstens anno 1988, als er liebes- und synthesizertrunken in die "City Of Angels" torkelte. In den wenigen erträglichen Songs liefern Jon Anderson und die Band Geeks immerhin Musik für bezüglich Kitsches abgehärtete und des Englischen nicht mächtige Leser der Reviews unserer babyblauen Kollegen. Schade ist es in diesem Fall nur um die Musiker um Richie Castellano an der Gitarre, die abseits ihres Fremdscham auslösenden Backgroundgesangs durch die Bank weg gute Arbeit leisten. Gegen das schlechte Songwriting und die gnadenlos überzuckerte Produktion des italienischen Labels "Frontiers Records" erweisen sie sich allerdings als weitgehend machtlos.
Die Flower Kings, Andersons alte Band und die jüngste Inkarnation der einst hörenswerten Big Big Train leisteten in den letzten Jahren unschöne Pionierarbeit für die Entdeckung eines neuen musikalischen Landes. Doch erst "True" traut sich den letzten Schritt: Der 7/8-Takt geht ungeniert wie nie zuvor eine unheilvolle Symbiose mit längst totgeglaubtem englischsprachigem Schlager ein. Meine Damen und Herren, ein neuer Genrehybrid ist entstanden, eine neue Welt entdeckt worden, obschon niemand sie entdecken wollte! Willkommen im La-La-Reg-Prog-Schlager-Land!
3 Kommentare mit einer Antwort
Das beweist, jeder fast jeder kann singen. Welch grausige Stimme hat dieser Mensch.
Man kann auch alles in den Abgrund shreiben,Herr Rieger,einfach unseriös.Zwar nicht mehr die alten YES,aber allemal besser als der ganze Schrott,den ihr hier kommentiert!
Word
Irgendwie schon bemerkenswert was die ganzer Yeser auch im hohen Alter immer noch raushauen- auch Yes selbst. Und auch das Gedankenkonstrukt, zu vermuten, dass das jemand anhören möchte. OK, ich habe reingehört ;wie zuvorletzt auch bei Yes selbst. Aber das brauche ich nicht. Dafür ist die Zeit zu schade.