laut.de-Kritik

Doch. Die hier ist vorbei. Hört auf!

Review von

Vor vier Jahren haben wir hier mit "Legends Never Die" schon ein posthumes Juice WRLD-Album besprochen, das nicht gerade den Eindruck vermittelt hat, da wäre noch wahnsinnig viel Musik aus diesem Grab zu schänden. Aber nein, zwischendurch gab es mit "Fighting Demons" eins, das so generisch klang, dass es nicht einmal die Review wert war. Und jetzt reiht das Label erneut ein paar Industrie-Soldaten auf, um weiter den kommerziell sehr lukrativen Mythos Juice WRLD auszuschlachten.

Langsam muss man einfach eingreifen: Es ist gut. Es reicht. Fünf Jahre ruht dieser begabte, junge Rapper nun schon in Frieden, und während der Rest der Rap-Welt sich weitergedreht hat (Emo-Trap ist kurz darauf ebenfalls eher aus der Mode gekommen), existiert weiterhin diese kleine Nische an Rapfans, die vehement so tun, als wäre Juice WRLD wirklich mindestens der wichtigste Artist seit geschnitten Brot. Ein Visionär, ein Revoluzzer, die Stimme einer Generation, 1000 Songs lägen noch rum, darunter Dutzende zweifelsohne massive Hits. Habt ihr denn nicht die Stunde Freestyle von ihm gesehen?

Es tut mir leid dass jetzt so zu sagen, weil der Junge wirklich Talent hatte und ein tragisches Schicksal erleiden musste. Aber so krass war er einfach auch wieder nicht. Die meiste Zeit war auch er nur ein trendy Erzeugnis von den durch und durch mittelmäßigen Produzenten Internet Money, die in seiner Anime-Protagonisten-Stimme und der unzweifelhaft vorhandenen Ausstrahlung den Weg gesehen haben, endlich mal so richtig Geld aus den Vorarbeiten von Lil Peep und XXXTentacion zu pressen. Schmeißt noch ein bisschen Post Malone-Melodie-Game dazu und fertig ist die Laube. Selbst "Death Race For Love", das Album, das alle eigentlich gut finden, ist jenseits der zwei-drei großen Hits ein ziemlich lieblos zusammengewürfeltes, in den Deep Cuts halbgares Stück Mainstream-Rap-Fluff. Innovativ oder einflussreich war das alles nicht wirklich.

Daher kann sich jeder vorstellen, was von drei posthumen Alben zu erwarten ist. "The Party Never Dies", geliefert mit extra-tacky Artwork von Mode-Mogul Murakami, sei das Party-Album, nachdem die beiden Vorgänger eher die emotionalen Seiten bespielt hätten. Ich raff's nicht. Diese Musik ist so wehleidig und depressiv wie immer. Alles was man Juice als Spaß auslegen könnte, ist sein auf 11 von 10 gedrehtes, borderline Incel-iges Gefasel über Frauen, das hier wirklich fast jeden Track ruiniert.

Nehmt zum Beispiel "All Girls Are The Same 2 (Insecure)". Wollte man Juice sonst in seinen besseren Momenten noch in den Arm nehmen und "armes Bebi" sagen, präsentiert er sich hier geradezu unausstehlich. Die ganze Zeit findet er diese anstrengende Schnittmenge aus selbstherrlich und trotzdem wehleidig. Erst flext er damit, wie viele Frauen er bumst und wie scheißegal ihm die alle sind, aber dann sollen wir doch mit ihm fühlen, wie gemein die doch alle zu ihm sind. Herzergreifend, wahrlich die Stimme einer Generation. Also, der Andrew Tate-Generation, aber immerhin. Dass auf dem Track dann Nicki Minaj mit der Heißklebepistole aufgeklebt wird, darf nicht irritieren. Erstens scheint sie selbst nicht zu wissen, wo sie ist, außerdem hat sie ein Kanye-und-Drake-Level schlechtes 2024 und würde vermutlich alles tun, um sich irgendwie einen Hit zu erwieseln. Aber selbst Juice WRLD-Fans konnten mit diesem unfertigen Stück Bittergalle nicht wirklich viel anfangen.

Sein vielgelobtes Melodie-Game kommt auf diesen Tracks auch nicht so richtig zum Tragen. Es gibt vereinzelt musikalisch solide Stellen wie "Misfit", "KTM Drip" oder "Adore You", aber man merkt doch einfach, dass der Kerl und seine berüchtigten Hooks ein bisschen ein One-Trick-Pony waren. Fans halten ja immer die tausend Songs vor, um sein Genie zu beweisen. Zehn Minuten pro Song! Ja, und hier sehen wir, was dabei rauskommt: Absolute Einheitsware, weil er die etwa gleichen Melodien und genau gleichen Blödsinnstexte in minimaler Zeit auf Beats vom Fließband gehauen hat. Glaubt mir, es ist kein Zeichen von künstlerischer Schwäche, sich für einen Track mal ein bisschen hinzusetzen und zu überlegen, was man damit tun möchte.

Dazu kommen dann lyrische Blüten, die wirklich auf keine Kuhhaut gehen. Behold: "Half of these hoes don't even give me erection (Woah, woah, woah, woah, woah, woah, they don't get me hard)" ("KTM Drip"), "Your crush just said I am a beast, oh yeah / You say I'm pussy, well you are what you eat, oh yeah" ("Cuffed"). Dieses kleine Meisterstück ist mein Favorit: "Her pussy may smell like water / I'ma only eat it if it's Fiji / Lil' thot, bitch say she a rider / Had to test it / I feel like Mario so I had her go and fuck on Luigi / I'm the shit like a pile of feces". Ja, es zahlt sich wirklich aus, Songs in zehn Minuten zu machen. Jeder andere Rapper würde für diese corny Scheißlyrics zurecht zum Gespött werden.

Aber klar, es geht um die Vibes, nicht um die Texte. Die Vibes sind aber ebenso boring. Der Sound würde von besserem Mixing und ein paar fantasievolleren Trap-Beats profitieren. Hier ist das einzige, in das ein bisschen Geld investiert wurde, die seltsame Riege Has-Beens, die ungefragt auftauchen. Nicki Minaj, Eminem, motherfucking Fall Out Boy?! Gut, fairerweise macht Eminem ein bisschen Sinn, die fanden einander wirklich cool und haben mehrfach zusammengearbeitet. Wenn der seinen Part mit "To the younger generation, I ain't lecturing you, but man, just be careful" beendet, dann spürt man sogar mal, dass da etwas dahintersteckt. Die größte Beleidigung kommt eher darin, dass Industry Plant extraordinaire The Kid LAROI einen ganzen Solo-Song bekommt, auf dem er sich weiter sappy als der Padawan zu Juice WRLD inszenieren darf, weil die ja ein halbes Jahr zusammen auf Tour waren. Ich wette, Manager Lil Bibby wäre sehr froh drum, wenn er weiter Juice WRLD-Mengen an Geld durch den Mund dieser eins zu eins geklonten Schießbudenfigur machen könnte, aber ich danke den Juice-Fans von Herzen, dass das nie richtig funktioniert hat.

"The Party Never Ends" ist so etwas wie ein uneinlösbares Versprechen: Die Juice-Fandom hat sich irgendwie eingeredet, dass da für immer noch irgendwelche magischen heilige Grale seiner unveröffentlichten Musik rumliegen würden. Aber wenn drei posthum veröffentlichte Alben irgendetwas beweisen, dann einfach: Nein.

Wir haben es hier mit der Leak-Krankheit zu tun. Ich kenne das ein bisschen besser aus der Lil Uzi-Community: Leaks sind Songs, die eisern nur unter den größten Hardcore-Fans zirkulieren. Hardcore-Fans sind die mit Abstand unkritischsten Menschen, die je etwas hören werden. Bei Uzi, bei Juice, bei Carti zirkulieren so immer wieder Songs, die unter den Top-Eingeschworenen ein Eigenleben erfahren, aber in den seltensten Fällen irgendwen außerhalb hinter dem Ofen hervorlocken. Außerdem kann man dann immer, wenn sie mal veröffentlicht wurden, beobachten, wie die Zielpfosten sich verschieben. Auf einmal ist das Label zu blöde, weil sie ja auf dieses Album die falschen Leaks gepackt haben. Jetzt haben wir "KTM Drip", aber es hätte "Naruto" oder "Rental" sein sollen. Wäre es andersherum, würde "Naruto" niemanden jucken und die Juice-Fans würden nach "KTM Drip" heulen.

Sehen wir's ein: Juice ist tot. Er hat einen unglaublichen Moment gehabt, ein paar wirklich gute, catchy Songs gemacht, die definitiv im Kanon der Trapmusik gelandet sind. Aber er ist tot. Da sind nicht noch hunderte, insgeheim supergeile Songs versteckt. Das ist Posthum-Album Nummer drei - und keins von ihnen muss man gehört haben. Es macht ihn nicht lebendiger, auf ein nebulöses Ouvre zu verweisen, das so einfach nicht existiert. "The Party Never Ends" macht dieses Abwesen nur noch schmerzlicher spürbar, weil es so viel klarer macht, dass ihm die Chance genommen wurde, sich weiterzuentwickeln. Über Jahre zunehmend lieblose und zurecht auf Festplatten verwaiste Reste zu Alben zusammenzukratzen, tut absolut nichts für sein Erbe. Hört auf.

Trackliste

  1. 1. The Party Never Ends
  2. 2. Misfit
  3. 3. AGATS 2 (Insecure) (feat. Nicki Minaj)
  4. 4. Lace it (feat. Eminem & Benny Blanco)
  5. 5. Cuffed
  6. 6. KTM Drip
  7. 7. Love Letter
  8. 8. Condone It
  9. 9. Goodbye (feat. The Kid LAROI)
  10. 10. Party By Myself
  11. 11. Adore You
  12. 12. Celebrate (feat. Offset)
  13. 13. Jeffrey
  14. 14. Barbarian
  15. 15. Best Friend (feat. Fall Out Boy)
  16. 16. Floor It
  17. 17. Oxycodone
  18. 18. Spend It

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