laut.de-Kritik

Der Fluch der Meme-Rapper.

Review von

Schätzfrage: Wie viele Tage lang ist ein und derselbe Witz lustig? Etwa eine Woche? Mehrere? Manchmal sogar einen ganzen Monat?

Humor erscheint heutzutage schnelllebiger als je zuvor. Was gerade noch der heiße Scheiß ist, ist morgen schon vergessen. Die Pointe und der Insider von gestern fühlen sich heute schon wie datierte, langweilige Floskeln an.

Beispiel: "I bims, der Juicy Gay vong Moneyboy seinem Hype her!" Macht unwohl und betroffen? Zurecht. Die neue EP von Juicy Gay übrigens auch. Nicht, weil sie per se schlecht klänge, sondern einfach, weil der Witz nicht mehr funktioniert.

Sechs Anspielstationen, davon ein Skit, die längste Zeit bekommen wir etwas in 2017 eingepasstere Instrumentals. Bedeutet: einen Hauch von Dancehall, etwas sphärischeren, weniger aufgedunsenen Klang und eine Prise Tropical House. Klingt gerade im Opener "Capri Sonne" erst einmal vielversprechend, zumindest was die eingängige, poppige Produktionsqualtität angeht. Diese Eingangsfreude ernüchtert sich dann aber mit jeder gerappten Line zunehmend.

Haha, er hat Autotune auf seiner Stimme, aber kann weder rappen noch singen. Haha, seht ihr, das ist witzig! Es passt gar nicht zusammen, was er sagt und wie er es präsentiert! Das ist so witzig, ihr solltet am besten teilen und eure Kumpels auf Facebook darauf markieren!

Und, ja, das ist im Grunde alles, das Juicy Gay auf diesem Tape tut. Er ist immer noch der unbeholfen rappende, unüberzeugend klingende Wannabe, der die aktuell gängigen Tropen noch eine Stufe uninspirierter abklappert als der Rest und weder als Performer noch als Persönlichkeit irgendetwas zum Track hinzufügt.

"Capri Sonne" handelt von seiner Liebe zum Fruchtgetränk, "Astra" handelt davon, wie er seine Angebetete im Opel abholt, "Level" ist ein denkbar stumpfsinniger Representer samt Sierra Kidd. Er gibt sich selbst jedes Mal ein Stichwort vor und schreibt dann Zeilen dazu, die in der damaligen Moneyboy-Welle wohl noch das ein oder andere "xD" in die YouTube-Kommentare beschwören konnten, heute aber wirklich keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Es stellt sich tatsächlich die Frage, mit welcher Begründung diesem Kerl noch eine Existenzberechtigung zugesprochen wird. Der Humor ist outdated und erzwungen, seine Performances sind in 2014 steckengeblieben und die Produktion paust trotz unzweifelbarer Qualitäten einfach nur den Durchschnitt der populären Raplandschaft ab. Nichts auf dieser EP gibt es nicht schon irgendwo anders – sogar in Deutschland – wesentlich besser umgesetzt, nichts bringt eine neue Idee oder ein neues Stilelement ein, und die Lyrics nerven in ihrem krampfhaften Versuch, absurd-komisch zu sein, tierisch.

Es klingt nicht schlecht. Aber das ist den Produzenten und den Mischmenschen zugute zu halten, die mit Beats und Effekten ein hörbares Produkt aus diesem künstlerischen Vakuum destilliert haben, dessen Verfallsdatum offensichtlich lange abgelaufen ist. Das ist eben der Fluch der Meme-Rapper. Irgendwann ist das Meme tot, und auch ein Juicy Gay müsste handwerklich oder stilistisch einen neuen Weg einschlagen. Tut er nicht, also funktioniert "Blaue Orchidee" auch nicht.

Sieht man übrigens auch an den Klicks auf dem WSP-Kanal. Und es soll ja nicht nur unkonstruktives Trashing auf den armen Kerl sein, aber das hier verfolgte Konzept ist schlicht um. Das zeigt die EP, das zeigt die aktuelle Raplandschaft und auch die Resonanz. Vergleichbare Peers wie LGoony und Yung Hurn haben sich sichtlich in neue klangliche wie inhaltliche Gebiete entwickelt. Vor allem wirkt es bei ihnen quasi nie so, als wollten sie den Vibe und den Humor erzwingen und reproduzieren. Dieses Gefühl stellt sich auf "Blaue Orchidee" fast durchgehend ein. Für ein Projekt wie dieses ist "erzwungen und veraltet" ein Todesurteil.

Trackliste

  1. 1. Capri Sonne
  2. 2. Astra
  3. 3. Gucci Pain
  4. 4. Nike Und Adidas Skit
  5. 5. Level
  6. 6. Westentasche

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