laut.de-Kritik
Der wahre Soundtrack zum Summer Sixteen.
Review von Thomas HaasProduzenten rund um den Globus erlebten in den letzten Jahren einen unerhörten Aufwind, sei es in Bezug auf ihre Popularität oder schlicht auf ihre Möglichkeiten, Musik öffentlich zugänglich zu machen. Grund dafür ist nicht zuletzt die Streamingplattform Soundcloud, die sich als Brutstätte junger Beatmaker versteht. Was dabei schnell in Vergessenheit gerät: nur ein verschwindend geringer Prozentsatz schafft es, sich von den Unmengen neuer Veröffentlichungen abzuheben, geschweige denn, eine eigenständige Soundästhetik zu entwickeln.
Der Posterboy der Soundcloud-Ära ist Kaytranada. Die Erfolgsgeschichte des 23-Jährigen aus Montreal liest sich wie aus einem kitschigen Film: anfängliche Fruity Loops-Frickeleien finden lokalen Anklang, erste Auskennerseiten berichten bereits früh über den jungen Kanadier. Der macht sich schließlich jedoch über Nacht (welt-)berühmt, als er einen unnachahmlichem Remix zu Janet Jacksons "If" ins Netz stellt.
Etwa drei Jahre und etliche Free-Releases später steht nun die erste offizielle Veröffentlichung bei der britischen Geschmacksinstanz XL Recordings an. "99,9%", fast am Limit, sozusagen. Und tatsächlich macht Kaytranada mit dem Titel keine Scherze: was sich nämlich in der darauffolgenden Stunde an Genres, Ideen und fantastisch inszenierten Gästen bündelt, grenzt mitunter wirklich an Vollendung – zumindest, wenn man die tanzbare Auffassung Kaytranadas von Hip Hop teilt. Kaytranada unterlegt madlib'schen Rumpel-Hip Hop mit House-Einflüssen, mischt funkigen Disco mit souligem R'n'B und nimmt sich dabei zu jeder Zeit heraus, unverwechselbar zu klingen.
Auf "99,9%" gelingt ihm das in der bisher konzententriertesten Form. Immer wieder erstaunlich, wie spielerisch und leichtfüßig Kaytranada seine Gäste auf seinen Produktionen einsetzt, ohne sich dabei zum Nebendarsteller auf dem eigenen Album zu machen. Wenn man dazu noch die schwerfällige Entstehung der Platte (ausführlich nachzulesen auf The Fader) mitsamt Coming-Out kennt, gerät die blutvolle Ausrichtung von "99,9%" fast noch bemerkenswerter - etwa wenn der derzeit omnipräsente (deshalb aber nicht minder großartige) Anderson .Paak über eine typisch drumübersteuerte Kaytra-Produktion krächzt.
Dabei ist es nicht mal so wichtig, wer denn gerade über die unverkennbar funkigen Basslines rappt, singt oder wahlweise auch irgendetwas dazwischen macht – wer die Fäden zieht, ist zu jeder Zeit fraglos. Heimliche Highlights dürften trotzdem Syd Tha Kids Schlafzimmer-R'n'B-Gecroone oder Phontes energetischer Sechzehner auf dem pumpenden "One Too Many" sein.
Dass es jedoch auch ganz ohne Schützenhilfe funktioniert, beweist spätestens "Lite Spots", das den gesamten Producer-Wahnsinn Kaytranadas auf knapp vier Minuten verdichtet: ein brasilianisches Latin-Soul-Sample aus den Siebzigern wird so lange geflippt, bis es wie maßgeschneidert auf den Uptempo-Feel-Good-Funk made in Kanada passt. Seinen Sound hatte Kaytranada zwar schon vor "99,9%" gefunden, ihn nun aber erstmals auf Langspielerformat festgehalten. Soundcloud hat somit seinen ersten echten Superstar und der Sommer Sechzehn seinen ersten waschechten Soundtrack.
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