laut.de-Kritik
Aufrichtig gute Absichten - planiert von Kirmesmusik.
Review von Dominik LippeKerstin Ott ist ein unspektakulärer Star. Sie wirkt so bodenständig, zupackend und frei von Allüren, wie es vielleicht nur in Deutschland einer prominenten Sängerin gestattet ist. Mit vier Soloalben beglückte sie das Schlager-Publikum bislang. Das dankte es ihr mit teils schwindelerregenden Verkaufszahlen. Sieben Jahre nach ihrem Durchbruch ist es nun Zeit für eine Zwischenbilanz - und die fällt üppig aus. Mit ganzen 34 Songs überfrachtet sie ihr "Best Ott", die für Connaisseure gar als Doppel-Vinyl vorliegt. Doch so unwahrscheinlich es klingt: Die Kompilation überrascht zuweilen.
Als einleitende Machtdemonstration wählt die Sängerin "Regenbogenfarben", eine Kollaboration mit der zugkräftigen Helene Fischer. In musikalisch knöcheltiefem Wasser singen beide das Hohelied auf die tolerante, farbenfrohe Gesellschaft, was gerade für den Boulevard-Liebling das Maximum an politischer Positionierung darstellen dürfte. Zur Sicherheit heget das Duo das Thema konservativ ein. "Er und er, zwei Eltern, die ihr Kind zur Kita bringen. Sie uns sie tragen jetzt den gleichen Ring", stufen sie die Ehe für Alle kurzerhand von der freundlichen Option zum Muss zur Erhaltung der Kleinfamilie hoch.
Deutlich stärker fällt der neue Song "Mädchen" aus, der als Hommage an "Junge" von Die Ärzte konzipiert ist. Der zwar nicht punkige, aber recht vorzeigbare Pop-Song mit 80s-Einschlag schildert den Kampf junger Frauen mit der elterlichen Erwartungshaltung. "Mädchen, wer soll sich so in dich verlieben? Du treibst dich 'rum mit diesen Straßenjungs in Hosen und die Kippe schief im Mund", gibt sie die beinahe verzweifelnde Eltern-Sicht wieder, "Die Leute halten dich doch für'n Typen." Zugleich setzt Ott auf eine positive Atmosphäre, die im Kern darauf abzielt, Geistesverwandte zu bestärken.
Dass Kerstin Ott zu den interessanten Schlager-Texterinnen zählt, ließ sich bereits am Durchbruchssong "Die Immer Lacht" erkennen. In einem weitgehend verlogenen Genre handelt die Single von einer Frau, die eine optimistische Fassade aufrecht erhält, obwohl ihr nach Heulen zumute ist. "Zeig mir, wer du bist. Du wirst sehen, wie es ist, zu lächeln, ohne dabei zu betrügen", ruft sie zur Ehrlichkeit auf. Zudem fällt das dreifach mit Platin ausgezeichnete Lied fast schon in den Bereich Country, auch wenn es ohne einen Schuss Großraumdisko nicht zu gehen scheint.
Leider verdeutlicht die Kompilation auch, dass sich aufrichtige Songs nur vereinzelt finden. "Schau Mal" aus "Ich Muss Dir Was Sagen" betont mit stolzgeschwellter Brust, Krisen überstanden zu haben. Nichtssagende Industrieprodukte wie "Schlaflos", "Alles So Wie Immer", "Scheissmelodie" oder "Was Auch Immer Passiert" wechseln sich ab mit Stücken wie "Lebe Laut", "Nachts Sind Alle Katzen Grau", "Ich Geh' Meinen Weg" oder "Berliner Luft", die wie die Begleitmusik verkitschter RomComs von Matthias Schweighöfer oder Karoline Herfurth klingen. Und "Einfach Nein" unterläuft gar "Layla"-Niveau.
Nervig kommt auch "Sag Mir (Wann Beginnt Endlich Die Zeit)" aus "Nachts Sind Alle Katzen Grau" daher, das ein trojanisches Toleranz-Pferd in die Rummelbums-Disko schiebt. "Rassistische Witze tun doch keinem weh. Und dass die Frau das nicht will, ist doch nur Klischee", behandelt Kerstin Ott fast resignierend Alltagsrassismus, -sexismus und -homophobie, "Wann beginnt endlich die Zeit, in der jeder 'ne Chance bekommt?" Ihre Kritik erfordert durchaus Mut. Immerhin bewegt sie sich in einem Milieu, das prädestiniert ist für Winnetou-Debatten und Tweets über den 'Woke-Wahnsinn'.
Ihre Courage gipfelt im abschließenden "Anders Sein" darin, dass sie zu ihrem eigenen Publikum in Opposition tritt: "Könnte ich meine Schwächen stärken wie scheinbar alle hier. Ein bisschen normaler werden, ein bisschen mehr wie ihr, was bleibt dann noch von mir?" Und dennoch erklingt der Song zum Sound der Mehrheitsgesellschaft. "Best Ott" beweist, dass Kerstin Ott Potenzial besitzt und ihrer Hörerschaft mehr abverlangen will als ihre radiodominierenden Kollegen Mark Forster oder Max Giesinger. Doch viel zu oft lässt sie zu, dass Kirmesmusik die gute Absichten planiert.
3 Kommentare mit 9 Antworten
Kirmesmusik ... Rummelsnuff?
Da reich mir doch gleich einer die Bratwurstzange nach so einer nischigen Referenz!
Hab mal Freikarten für die angeboten bekommen und bin nicht hingegangen. Konnte auf das versoffene ü40-Publikum verzichten.
@ Taenzelfux:
Meinst du jetzte Rummelsnuff oder die Ott?
Da hat sich die gute Kerstin aber ein pfiffiges Wortspiel einfallen lassen. Best Ott, wegen Best Of und weil sie ja Ott heißt, HAHAHAHA! Verstanden? Nein?! Schade...
@Susi und Sittenstrolch:
Warte mal auf ihre Nachfolgealben "OTTogether Now", "OTTesdienst", "Ü und Ott" und ihr Live-Album "Licht aus, OTT an" ...
Gruß
Skywise
Against all Otts
Ott in here, dir Duett Platte Ott couples, HI Ott, Ärztecover mit Belafarinott, Kammermusik mit dem Fagott, Ottplatz, und natürlich Lieder aus aller Welt - Polyglott
"...Hilfe mir ist ein FischOTTer in eine Körperöffnung gekrochen und hat seit Jahren mein Gesangsorgan gekapert..." wäre auch ein guter Albumtitel, is aber vllt. ein bisschen zu lang.
Sehr OTThentisch
Nur gOTT kann mich richten, FlOTT in die Charts mit SchrOTT oder BoykOTT in meinem Herzen
Kerstin will "Best Ott" verkaufen, Ganja Gangsta zerhämmern den X-Knopf zum anzweifeln...