laut.de-Kritik

Der Priester reiht Hit an Hit und packt ein Universum in jeden Vers.

Review von

"I place a universe inside of each verse." Auf dem RZA-produzierten "Energy Work" verdichtet Killah Priest die Quintessenz seines Schaffens auf eine Zeile und schreibt diese mit seinem zehnten Soloalbum "The Psychic World Of Walter Reed" auf ewig strahlend ans Firmament.

"Ich packe ein ganzes Universum in jeden Vers". Und wirklich jeder Vers, jeder Reim, ja jedes Wort seiner Hunderten von Tracks zieht den Hörer in einen Strudel aus kranken Battle Raps und harten Ghettogeschichten, aus religiösen Analysen und wilden Aliens-Phantasien, aus naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und verrückten Verschwörungstheorien. Kein anderer Rapper symbolisiert diesen so lieb gewonnenen Wu-Tang-Mix radikaler und intensiver als der Priester. Kein anderer Rapper sprüht seine Spiritualität so konsequent und offen ins Game wie der Emcee aus Brooklyn.

Die ganz große Anerkennung bleibt ihm jedoch lange verwehrt. Erst 18 Jahre nach seinen legendären "Basic Instructions Before Leaving Earth"-Solo vom "Liquid Swords"-Klassiker, in einer Phase also, in der das Wu-Logo nur noch selten auf wirklich guten Platten prangte, gelingt ihm 2013 mit der "Psychic World" der Blueprint seiner Karriere. Ein 41 Tracks umfassendes Monster, das mehr Gedankengänge enthält als ganze Bücher – oder anders gesprochen: "Ganze Bücher fallen ihm eher ein als halbe Lieder". Zum ersten Mal bewegt sich die Musik auf einem Level mit dem Inhalt, vorher suchte er sich oft Wu'sche B-Ware aus. Zum ersten Mal fügen sich Killahs unzählige, komplex-bis-irre Ideen mit einem zeitlosen Native Tongue-Wu-Tang-Soundmix zu stimmigen Songs zusammen, und so muss das Album keinen Vergleich mit den großen Clan-Werken scheuen.

Das Albumkonzept hilft ihm dabei, betreibt der Titel doch bereits Erwartungsmanagement. Seine eigene "geistige Welt" lässt dem Emcee genug Luft zum Atmen. "2I'm from a planet of a thousand suns / A million years and I came down to your galaxy to MC." Bereits "The Opening" macht über blubberende Captain Future-Synthies und harte Drums klar: Hier gibt es gleich wirr bis wertvolle Weisheiten from outta Space. "Shadow Landz", für das Wu-Umfeld-Producer Jordan River Banks aus Teilen von Mike Oldfields "Ommadawn" einen hektischen Boom Bap-Track frickelt, sorgt dank historischen Black Hebrew-Wahnsinn gleich für Google-Action:

"I took on an alias / Cause we can't pronounce the true name of the aliens / The African-Aborigine-Israelien, King Arthurian / Half-Nazarian, half-celestrian barbarian / The Sefer Yetzirah cards said Priest is a God / Go ahead read them all, you'll still see me as Lord! / Father's Enoch, my Mother's the Sephirot / Blessed, born naked near a barn in a dessert / Placed in the arms of a shepherd / I let the truth loose, before I take exit / Laugh to myself, how y’all calling me Walter? Body never dies / It just turns to the white suds on top of ocean water"

Das folgende "New Reality" fliegt ebenfalls majestätisch mit vibrierenden Violinen durch den Orbit und beschuldigt – geprägt von den Morden an Führern wie Martin Luther King oder Malcolm X – Geheimorganisationen, erfolgreiche afroamerikanisch Role Models klein zu halten. "And incredible rhyming what happened to Tyson? / They killed his mind, he stopped fighting / Early eighties the man was a giant". Wie viel Gewicht Killah Priest in eine Zeile legen kann, zeigt "Jericho flesh build walls around my mind from a speck of dust" vom selben Song. Er spielt hier auf die biblischen Mauern um Jericho an, die er um seinen Geist gelegt hat, damit CIA und andere seine Gedanken nicht lesen können. Wie in "Village of the Damned", wo Christopher Reeves seine Gedanken ebenfalls auf diese Art abschirmt.

Und der lyrische Wahnsinn geht weiter. Beatbastler Kalisto springt ebenfalls auf den kurzweiligen Album-Sound aus straighten Kopfnickern und hypnotischen Wu-Tang-Loops auf, und Killah Priest wechselt zwischen Straßengeschichten, Aliens und Glaubensbekenntnissen wie ein Derwisch. Den vorläufigen Höhepunkt dieser Armada an göttlichen Tunes aus dem All bildet "Ein Sof (Paradise)". Wieder ist es Jordan River Banks, der mit einfachen Mittel eine unglaubliche Spannung erzeugt und die Reise durch die Seele und den Geist des Walter Reed kongenial begleitet. "The Cell"-Gucker (mit Jennifer Lopez und Vincent D'Onofrio), können sich ungefähr vorstellen, wie sich eine solche irrationale Fahrt anfühlt.

Wer nach fünf Tracks noch nicht tief in die faszinierende Welt des Walter Reed eingetaucht ist, gehe bitte in ein Kloster. Denn spätestens jetzt sollte jedem klar sein, warum er als Newbie einen Solotrack auf GZAs Klassiker bekam. "Ich wollte ihn unbedingt auf meinem Album. Er sagte dann, dass er den ganzen Track ('B.I.B.L.E – Basics Instructions Before Leaving Earth') ownen könnte und wir ließen ihn gewähren. Das Ergebnis ist unglaublich. Bis heute erzählen mir die Leute, dass dies ihr liebster Song vom Album ist. Killah geht hier so tief. Besser konnte meine Platte nicht enden", schwärmt der GZA in höchsten Tönen von Walter Reed. Spätestens jetzt versteht man, warum Killah Priest den Respekt von Nas bekam, als er in dessen "Made You Look"-Video Brooklyn representen durfte. Spätestens jetzt glaubt man die Geschichte, als Canibus in einer Cypher einige Wu-Emcees alt aussehen ließ, bis Killah Priest mit einem zehnminütigen Freestyles alles in Grund und Boden rappte.

Leider verliefen seine Projekte trotz dieser Meriten oft im Sand. Von den vielversprechenden Wu-Ablegern Sunz Of Man trennte er sich früh, Ende der 90er gab es Business-Stress mit dem Clan, und die als Supergruppe konzipierten The Hrsmn, bestehend aus ihm, Canibus, Ras Kass und Kurupt brachten es wegen Labelproblemen nur auf ein spätes, halb offizielles Werk ("The Horsemen Project"). Trotzdem veröffentlicht Killah Priest Jahr für Jahr seine Soloscheiben, in 2017 zum Beispiel ein faszinierendes Album auf Old School-Funkbeats mit 4th Disciple. Der Trip in die Welt des Walter Reed hat jedoch für alle Ewigkeit eine eigene Kammer im Wu-Tempel - denn neben den ersten fünf Liedern reiht das Doppelalbum auch im weiteren Verlauf Hit an Hit wie beim Kung-Fu.

"The Park" von Kalisto gesellt sich mit einem nach No York klingenden Loop-Track zu Alchemist und Roc Marciano. "Devotion to the Saints" rollt als klassischer Wu-Banger mit Ghostface Killah und Inspectah Deck) ohne Hook schwer durch das Ghetto, und das soulige "The Elders Gave Us Aura" von Agallah The Don erreicht gar sommerlich-optimistisches B.I.B.L.E-Level. Auf dem zweiten Albumteil droppt Killah Priest seine Reime dann über progressivere Beats. So schaut bei "Tonite We Ride" George Clinton vorbei, "The Document" diggt tief im Jazz und mit "Love Is Life" gelingt ihm gar eine poppige Hood-Hymne.

Am Ende, nach 41 intensiven Songs, legt man mit brennenden Synapsen das Buch des Killah Priest erschöpft zur Seite. Killah Priest hat bewiesen, dass er ganze Universen in seine Verse legen kann, auch wenn diese nicht immer freundlich, logisch oder nachvollziehbar sind. Und so muss man dann zugeben, dass er sein im Song "Visionz" gesetztes Ziel erreicht hat: "That's all I wanna do... / To give you vision."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

CD 1

  1. 1. The Opening
  2. 2. Shadow Landz
  3. 3. New Reality
  4. 4. Street Thesis
  5. 5. Ein Sof (Paradise)
  6. 6. Developing Story
  7. 7. Brilliantaire
  8. 8. The Park
  9. 9. Devotion to the Saints (featuring Ghostface Killah and Inspectah Deck)
  10. 10. Visionz
  11. 11. The Winged People
  12. 12. Peace God
  13. 13. The Spell
  14. 14. Super God
  15. 15. Salute
  16. 16. They Say
  17. 17. The Elders Gave Us Aura
  18. 18. The Seer, The Poet
  19. 19. Currents of Events
  20. 20. Energy Work

CD 2

  1. 1. The Pwowr (Problem Solver)
  2. 2. The Black Market
  3. 3. L Theanine
  4. 4. Tonite We Ride (featuring George Clinton)
  5. 5. Tower (The Visitor)
  6. 6. Fortune Teller
  7. 7. Think Priest (Good Thoughts)
  8. 8. Golden Calf
  9. 9. Fire Stone
  10. 10. Mentalude (Just My Thoughts)
  11. 11. Lord Marduk (featuring Lord Fury)
  12. 12. Music of the Spheres
  13. 13. Anakim Dreams
  14. 14. How I Write
  15. 15. Wubian Nation (featuring Raekwon)
  16. 16. The Document
  17. 17. Listen to Me
  18. 18. Lotus Flower
  19. 19. The Question
  20. 20. Love Is Life (featuring Alita Dupray)
  21. 21. Nazareth

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3 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 6 Jahren

    Von 2013 und schon Meilenstein? Naja. Warum hat das Album nicht schon vor fünf Jahren eine Kritik auf Laut.de bekommen? Liegt wohl daran, dass es damals einfach niemanden interessiert hat. Warum auch? Das war schließlich kurz nach "Good Kid, M.A.A.D. City".

    • Vor 6 Jahren

      ja, warum, warum? weil wir manchmal halt in der flut an themen, die über uns zusammenschlägt, auch mal was übersehen. und manchmal auch einfach penner sind. :)

    • Vor 6 Jahren

      Mhh, zweiteren Erklärungsversuch finde ich persönlich einleuchtender.

    • Vor 6 Jahren

      Keine einzige Musikseite (Allmusic, Pitchfork etc.) hat sich dem Album gewidmet. Nichtsdestotrotz hat Killah Priest mit der Unterstützung von sage und schreibe 77 Backern über Kickstarter das Projekt "The Psychic World of Walter Reed: Illuminated Lyrics" zu seinem "widely acclaimed double-album" finanziert (15.444 $), das so eine Art Booklet mit Fanpaket ist. Der Priester hat zwar nicht viele, aber immerhin zahlungswillige Anhänger.

    • Vor 6 Jahren

      Kickstarter-Meilenstein, my man! ;)

  • Vor 6 Jahren

    Vielen Dank für den Tipp! Tatsächlich ein großartiges Album! Als alter Wu-Tang Fan kannte ich natürlich den Namen und den ein oder anderen Gastauftritt auf Wu-Releases. Hatte mir aber bis jetzt nie die Mühe gemacht, mal in ein Solowerk reinzuhören. Schön, dass ich das jetzt nachgeholt habe. Wird sicher noch das ein oder andere mal laufen!