laut.de-Kritik

Hip Hop mit Detailliebe, Perfektion und doch auch Leichtigkeit.

Review von

Aus dem über Jahrzehnte von Bürgerkrieg und Bomben geprägten kreativen Kosmos zwischen Belfast und Derry, einem Gebiet mit weniger Einwohnern als Hamburg, kommen so klangvolle Namen wie Ash, Therapy?, Snow Patrol oder alte Punkrock-Bands wie The Undertones oder Stiff Little Fingers. Und das teilweise auf Gälisch rappende Hip Hop-Trio Kneecap.

Während in der leicht dekadent gewordenen Republik Irland, vor allem Dublin, Gälisch fast nur noch auf dem Papier, als elitär-nationaler Schick oder Folklore existiert, ist es im Norden Abgrenzung der sich seit Jahrzehnten als unterdrückt gefühlten irisch-katholisch-republikanischen Minderheit gegenüber der sich britisch fühlenden Mehrheit. Was gäbe es für einen besseren Botenstoff für dieses Gefühl des Underdogs als Rapmusik, wie Kneecap sie auf ihrem zweiten Album "Fine Art" machen. Mit so viel regionaler und sozialer Einfärbung, dass manch andere Crew auf der Welt, die sich auch des Rap als Ausdruck regionaler kultureller Zugehörigkeit bedient und ihre Gegend auf die Karte bringen will, neidvoll gen West Belfast blickt.

Gegründet wurde Kneecap 2017, eine erste Bekanntheit erreichen Naoise Ó Cairealláin alias Móglaí Bap, Liam Óg Ó Hannaidh alias Mo Chara und JJ Ó Dochartaigh alias Dj Provaí in Irland spätestens, nachdem ihre erste Single "C.E.A.R.T.A." (Irisch für "Rights") wegen 'Fluchens' und 'Drogenverherrlichung' im selben Jahr von der staatlichen Radiostation RTÉ verbannt wurde. Auch auf der Nachbarinsel sind sie - nicht nur unter irischen Einwanderern - beliebt. So verwundert es auch nicht, dass ein Film über sie und mit ihnen, der diesen Sommer in die Kinos kam, mit so prominenten Namen wie Michael Fassbender aufwartet und in vier Kategorien bei den British Independent Film Awards abgeräumt hat.

Während die musikalischen Releases zuvor noch weitestgehend darauf ausgerichtet waren, die Hip Hop-Community zufrieden zu stellen, haben sie sich in "Fine Art" weiterentwickelt. Dabei wirken Kneecap jedoch unglaublich organisch. Egal, welchen Stil sie anpacken, es duftet beatwise nach London Rap, Break Beat, aber auch Punk.

"Ibh Fiacha Linne" ist ein dunkles Monster irgendwo zwischen Dubstep, 2step und Garage mit präzise abwechselnd gespitteten Reimen auf Belfast- Englisch und Gälisch. "I'm Flush" scheppert nicht ganz so, ist jedoch etwas aufgedrehter in Richtung The Prodigy und eigentlich Punk ohne Gitarren; beide Nummern bringen jeden Moshpit zum Glühen.

"Better Way To Live" hat einen funkigen Beat und erinnert an Hilltop Hoods. Während ich mich von einem früheren Release an eine recht dünne Frauenstimme im Irish-Foll-Stil erinnere, die klang, als hätte man mal schnell die eigene Schwester von der Seisiún (Session) ins Studio gebeten, wurde für "Love Making" mit Nino eine sehr volle Soulstimme mit ins Boot geholt. Wer jedoch jetzt denkt, der Track als solcher wäre smooth, mitnichten. Die Beats sind so dreckig wie britischer Hip Hop vor zwanzig bis dreißig Jahren.

Das werden sie als republikanische Hardliner nicht unbedingt gern hören, obwohl mit Jelani Blackman auf "Harrow Road" auch ein Londoner Feature zu hören ist. Sprachlich und inhaltlich mag "Fine Art" irisch sein wie Hölle, auch ein paar Samples traditionell-irischer Instrumente wie die tin whistle (Blechflöte) finden sich auf dem Album. Aber so ungern sie es zugeben mögen, musikalisch ist das Album weder amerikanisch noch kontinentaleuropäisch, es bedient sich vielmehr fast aller elektronischen und Rap-Sub-Genres Großbritanniens der letzten 25 Jahre bis hin zu Acid House in "Rhino Ket", The Shamen lassen grüßen.

Die Platte schließt wie so viele andere Hip Hop-Platten mit dem Nachtisch, "WayToo Much", dem musikalischen Chocolate fudge mit Pathos, mit einem warmen souligen Stimm-und-Piano-Sample. Doch Kneecap wären nicht Kneecap, wenn sie zu viel Pathos zuließen. Das Album ist aus einem Guss und doch gleichsam vielseitig; die Beats und wie sie stimmlich von Mo Chara und Móglaí Bap beackert werden, ist beeindruckend; Präzision, Perfektion, Detailliebe und doch Leichtigkeit at the same time. Wer Hip Hop in technischer Brillanz mag, wird auch ohne Verständnis von Gälisch und Belfast English seine Freude an "Fine Art" haben.

Trackliste

  1. 1. 3CAG
  2. 2. Fine Art
  3. 3. Makin Headlines (Interlude)
  4. 4. Ibh Fiacha Linne
  5. 5. Never Gets A Round (Interlude)
  6. 6. I'm Flush
  7. 7. State Of Ya
  8. 8. Better Way To Live
  9. 9. Sick In The Head
  10. 10. Love Making
  11. 11. Amhran Na Scadan (Interlude)
  12. 12. Drug Dealin Pagans
  13. 13. KNEECAP Chaps (Interlude)
  14. 14. Harrow Road
  15. 15. Parful
  16. 16. Rhino Ket
  17. 17. Last Orders (Interlude)
  18. 18. Way Too Much

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