Porträt

laut.de-Biographie

Kool DJ Herc

Die Suche nach den Wurzeln bringt eine oft vergessene Tatsache ans Licht: Hip Hop entstand aus dem Reggae. Mit den Worten Kool DJ Hercs: "The whole chemistry of that came from Jamaica." Rap entwickelte sich aus dem Toasting und Dub Talk Over jamaikanischer DJs. Herc überführt diesen Stil in die West Bronx und streut damit die Saat für eine Bewegung, die sich - first we take Manhattan, than we take Berlin - unaufhaltsam über den Planeten ausbreitet.

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Clive Campbell kommt am 16. April 1955 unter der Sonne Kingstons zur Welt. 1967 verlässt seine Familie die West Indies und zieht in die winterliche Kälte der Bronx. Clive besucht die Alfred E. Smith Highschool und verbringt dort reichlich Zeit im Kraftraum. Diese Tatsache verbunden mit seiner Körpergröße trägt dem Zwölfjährigen rasch den Spitznamen "Hercules", also "Herc", ein.

Herc wird bereits auf Jamaika mit amerikanischer Musik konfrontiert; allen voran führt er James Brown als Inspirationsquelle an. Im Gegenzug bringt er die Tradition jamaikanischer Deejay-Musik nach New York. Er beginnt aufzulegen, improvisiert im Stil von Reggae-Toastern wie U-Roy und I-Roy erste Reime zu den Dub-Versionen seiner Reggae-Platten. Allein: Das New Yorker Publikum kann zu dieser Zeit mit Reggae wenig anfangen. Herc, immer bestrebt, sein Publikum zufrieden zu stellen, geht einen neuen Weg: Er findet heraus, welche Songs gerade besonders angesagt sind. Er checkt, was in Jukeboxen in der Gegend gespielt wird. Gleichzeitig wühlt er in Plattenläden nach möglichst unbekanntem R&B-, Soul-, Funk- und Discomaterial. Um zu vermeiden, dass konkurrierende DJs die gleichen Beats verwenden, kratzt er die Labels von seinen Platten. Die Strategie: "Have a record nobody else got or be the first one to have it. You've got to be first, can't be second."

Kool DJ Herc gilt als Erfinder des Breakbeat-DJing. Bei vielen seiner Platten interessiert ihn im Grunde nur jeweils ein winziger Instrumentalteil. Diese Breaks sind meist percussionlastig und stellen oft die tanzbarsten Stellen der Platten dar. Die Tänzer unter Hercs Publikum lauern genau darauf. Um diese Parts zu verlängern, geht Herc dazu über, die Breaks zu isolieren und zu wiederholen. Er ist der erste DJ, der zwei identische Platten parallel laufen lässt, um die selbe Stelle eines Songs wieder und wieder abspielen zu können. Er etabliert damit eine frühe Form des Loops. Diese Technik wird später von DJs wie Grandmaster Flash technisch verfeinert und weiterentwickelt. Hercs Breaks entstammen bekannten und unbekannten Stücken unterschiedlichster Genres: wenn man so will, die Geburtsstunde des Sampling. Die Plattenspieler werden zum Musikinstrument.

Herc entdeckt, dass sich auf unterschiedlichsten Platten identische Breaks finden lassen; deren Aneinanderreihung nennt er "merry-go-round". Er mischt James Browns "Give It Up Or Turn It Lose" in "Bongo Rock" von Michael Viner, und das schließlich in Babe Ruths "The Mexican". So funktioniert Hip Hop bis heute. Für die Tänzer sind die langen Instrumental-Passagen gefundenes Fressen. Häufig kündigt Herc seine Breaks mit dem Schlachtruf "B-Boys go down!" an. Bis heute ist unklar, was genau er damit meinte. B wie Boogie? Wie Beat? Break? Oder Bronx? Unstreitig ist jedoch, dass sich die Bezeichnung "B-Boy" aus diesem Shout Out ableitet und damit auf Kool DJ Herc zurückgeht.

Seit 1969 gibt Herc regelmäßig Partys. Seinen ersten Auftritt hat er bei der Geburtstagsfeier seiner Schwester. 1520 Sedgewick Avenue lautet die damalige Adresse der Familie Campbell; die Party steigt im Gemeinschaftsraum. Aufgrund des Erfolgs wird die Aktion einige Male wiederholt; die 25 $ Raummiete werden über Eintritt wieder hereingeholt: 50 Cent für Jungs, Mädels zahlen die Hälfte. Bald sprengen die Events den Rahmen der House Party; Herc zieht mit seinem Programm in die "Twilight Zone" um.

1973 hat Herc dort sein erstes professionelles DJ-Engagement. In den Jahren 1974 und '75 steigt seine Berühmtheit. Er wechselt ein weiteres Mal das Stammlokal, spielt ab 1975 im Hevalo, später im Executive Playhouse, im Sparkle und im legendären CBGB's. Daneben taucht Herc samt Soundsystem und Crew an High Schools, in Gemeindezentren, in Parks oder einfach auf der Straße auf. Für den Strom wird der nächstbeste Laternenmast angezapft. "These are the breaks!"

Abgesehen von seinen DJ-Qualitäten tragen zwei Dinge mit Sicherheit zu Hercs immenser Popularität bei: Zum einen ist sein Soundsystem schlicht und ergreifend das mächtigste weit und breit. Andere sind laut, Herc ist lauter - wie auch Afrika Bambaataa bei einer Konfrontation erfahren muss. Hercs Aufforderung "Yo, Bambaataa, turn your system down-down-down!" hätte dieser mal besser Folge geleistet. So wird Bambaataa, wie Zulu-Nation-DJ Jazzy Jay berichtet, von Kool DJ Hercs Lautstärke niedergeföhnt und gibt bei diesem Clash nicht die vorteilhafteste Figur ab.

Zum anderen pflegt Herc Freundschaften, Bekanntschaften und Kontakte. Er begegnet seinem Umfeld mit Respekt. In einem von Gewalt und Bandenkriminalität geprägten Umfeld genießt Herc die Achtung zahlreicher Gangmitglieder. Weite Teile seines Publikums kennt er beim Namen. Seine Party-Shout-Outs im Stil von "Yo, this is Kool DJ Herc scanning the place and I see the face of my man Marky D in da house!" werden zum Markenzeichen und mit der Zeit immer ausgefeilter. Von "Rap" spricht noch keiner, das hier ist "Emceeing". Herc konzentriert sich allerdings bald auf die Plattenspieler und überlässt das Mikrofon anderen. Diesen Part übernehmen Coke La Rock und (etwas später) Clark Kent, the Rock Machine. Herc ist der erste DJ, der mit einem MC-Team, den "Herculoids", antritt - und Coke La Rock damit der erste Hip Hop-MC.

1977 beginnt Hercs Stern zu sinken. Grandmaster Flash und die Furious Five sowie Bambaataa mit seinen verschiedenen Crews punkten mit ausgetüftelteren Texten und geschliffenerem Rap-Stil. Herc wird auf einer seiner eigenen Partys niedergestochen. Er selbst erholt sich von dem Angriff nur langsam, seine Karriere nie mehr vollständig. Herc muss lange pausieren. Im Kultstreifen "Beat Street" ist er in der Rolle der lebenden Legende Kool DJ Herc zu sehen, 1984 gibt er seine letzte Oldschool-Party.

Mitte der 80er, als Hip Hop sich über die Welt ausbreitet, ist Herc bereits nicht mehr präsent. In den 90ern absolviert er wieder mehr Auftritte (unter anderem beim Rapmania-Festival, 1990), gibt etliche Interviews. Ähnlich wie Afrika Bambaataa tritt er bis heute gelegentlich in den USA oder Europa auf. Die Tatsache, dass er - abgesehen von seiner Beteiligung an "The Godfathers Of Threat" von Public Enemys DJ Terminator X und an "Dig Your Own Hole" von den Chemical Brothers - keinerlei Platten aufgenommen hat, trägt sicher dazu bei, dass der Vater des Hip Hop derart in Vergessenheit geraten konnte. Zu Unrecht.

"The bass is so low you can't get under it.
The high is so high you can't get over it.
So in other words: Be with it."

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