laut.de-Kritik

Slide-Guitar und eine kristallklare Stimme für ernste Stories.

Review von

"Wenn sich dein Leben in ein Autowrack verwandelt, hupe, bis du frei bist", ermutigt Harfenspielerin, Gitarristin und Singer/Songwriter Lizzie No. Spannend am Geschichtenerzählen sind Veränderungen und Metamorphosen der Figuren. Zwischen den Songs auf "Halfsies" wechseln entsprechend individuelle Instrumentierungen, Stile und Tempi. Sie halten den Indie-Folk, mit je einem Schuss Country, Grunge und Soul, interessant. Jeder Track im vorliegenden Dutzend baut eine Atmosphäre auf, die nach dem ersten Takt sogleich vereinnahmt. Und Lizzies angenehme und reine Vocals sprechen sehr direkt zum Hörer.

Sie klingt, als gurgele sie täglich mit Honig. Sowohl für rockige als auch kammermusikalische Lieder eignet sie sich. Zusammen mit den leiseren Tönen der Platte erweckt sie manchmal den Eindruck einer neuen Sarah McLachlan, in besonders folkigen Momenten den der nächsten Leslie Feist. In jedem Fall bringt Lizzie ehrliches Songwriting herüber. All ihre starken Einzelstücke haben jeweils kein Gramm zu viel oder zu wenig Sound, auch keine Längen. Sie liefern das Notwendige, das es braucht, um eine Stimmung prägnant zu vermitteln. Der kürzeste Song, "Done", bescheidet sich mit 1 Minute 54 Sekunden.

Weniger Bescheidenheit signalisiert der Erzählansatz mit einer wiederkehrenden Figur, Miss Freedomland. Aus dem tiefsten Loch heraus möchte sie spirituelle Höhen erklimmen. "Miss Freedomland kämpfte fünfzehn Jahre lang mit Selbsthass, gewalttätigen Männern und Alkohol, gab aber nie die Hoffnung auf, gesegnet zu sein." Entsprechende Lebenserfahrung spiegelt sich in "Lagunita", wo die routinehafte Gitarren-Straightness Muster von Liebe und Verlust vertont, zum Beispiel den Verlust eigener Souveränität innerhalb einer toxischen Beziehung. Lizzie Nos smarte Stimme spielt mit Leidenschaft und Vibrato, aber auch mit Abgeklärtheit. Immer trägt sie kristallklar und dadurch mit ungebrochener Präsenz vor. Aufheulende Grunge-Riffs im Refrain beeindrucken im Kontrast zu stillen Strophen.

Zu den härteren und rauen Nummern zählen auch "Getaway Car" mit einer sympathisch verstimmten Slide-Guitar und "Annie Oakley", ein Key-Tune des Albums: Eine stolpernde Marschtrommel ringt mit Lärm von drei Mal sechs Saiten. Das Lied thematisiert Einschlafprobleme mit schlechtem TV-Programm, Zigaretten, Alkohol, Trauer und zerplatzte Träume. Für Countryrock ungewohnt, gesellen sich treibende und explosive Momente zur besagten Marschtrommel.

Die zarteren Songs überwiegen. Sie gliedern sich in solche mit und ohne Streichquartett. Im Cello- und Banjo-Kontext von "Deadbeat" fließen die Vocals ebenso geschmeidig wie mit behutsamen Piano-Akzenten, verwaschener Orgel und den Streichern des Attaca Quartet in "Shield And Sword". Familiäres Feeling rund ums Kaminfeuer vermittelt sich in "Sleeping In The Next Room". Snare-Synkopen stechen in dem Nahezu-Unplugged-Lied hervor, das schlicht und 'stripped' mit wenig Output viel erzählt und ausstrahlt.

"Wenn du mit mir in diesen Songs bist, wird das, was zunächst wie eine (...) Selbstanalyse erscheint, zu einer Reise, um frei zu werden und auch deine Leute zu befreien. (...) Während Miss Freedomland sich durch die Ebenen bewegt, wollte ich sie mit einer Gemeinschaft umgeben, sei es spirituell oder körperlich", kommentiert Songstress No so verheißungs- wie geheimnisvoll.

Am meisten 'Folk' im engen Sinn des Genres sind entsprechende Harmonies, Slide, Clapping und rustikaler Gesang mit lang gehaltenen Tönen in "The Heartbreak Store", einem Laden für gebrochene Herzen, "don't know who's buying what I'm selling cheap." Musikalisch neue Ufer sucht die Storywriterin aus New York leider nicht auf - einziges Manko des Albums!

Sie hat für eine Podcast-Serie Kolleg*innen wie Valerie June und Ben Harper interviewt, sie tourte mit Son Little. Stilistisch und stimmlich passt sie selbst aber für Fans von Kat Frankie, Tracy Chapman, Edie Brickell, Josephine Foster, Amanda Marshall, Aimee Mann, The Lumineers usw. Eine Erzählerin, der man gerne zuhört!

Trackliste

  1. 1. Halfsies
  2. 2. Sleeping In The Next Room
  3. 3. Lagunita
  4. 4. The Heartbreak Store
  5. 5. Deadbeat
  6. 6. Done
  7. 7. Mourning Dove Waltz
  8. 8. Annie Oakley
  9. 9. Shield And Sword
  10. 10. Getaway Car
  11. 11. Babylon

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