laut.de-Kritik

Die Positivität hat sich abgenutzt.

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Gleich das Intro "The Sign" begrüßt uns auf dem neuen Lizzo-Album mit einer vielsagenden Zeile: "Bitch, I fell off, but I'm back." Wenig später auf dem Titeltrack singt sie dann: "... and you could cancel a girl 'cause she just wanted to change?" Lizzos erstes Album als Superstar wurde oft verschoben und muss nun einer Menge Druck standhalten. Für eine Sängerin und Rapperin, die eigentlich immer nur alles richtig machen wollte, hat sie Zeit ihrer Karriere unproportional viel Mist abbekommen. Konservativen Backlash, Twitter-Shitstorms, ihr blieb nichts erspart. "Special" bietet ihr ein Ventil, um sich virtuos den Stress von der Seele zu singen. Aber wo der Druck musikalisch Diamanten formt, kollabiert darunter auch die Leichtigkeit ihrer Wohlfühl-Attitüde.

Das Ding an Lizzo war ja schon immer: Diese Frau spricht im Grunde gänzlich in Twitter-Klischees. War ihr rückwirkend entdeckter Hit "Truth Hurts" damals noch ein sympathischer frischer Wind, mit dem sie viele Fans sofort auf ihre Seite zog, ist seitdem viel Zeit vergangen, in der Themen wie Selbstliebe, Body Positivity und radikale Positivität nicht nur viel Gelegenheit hatten, diskursiv in Frage gestellt zu werden, sondern vor allem auch, um in ihrer wohlgemeinten Form inflationär durchs Internet zu gehen.

Wenn Lizzo heute also Sachen sagt wie "'Cause you're beautiful and smart, fuckin' talented / You're by my side, I don't need no wish / I love you, bitch", dann muss man kein Zyniker sein, um ein wenig die Augen zu rollen. Vor allem, weil Lizzo halt doch etwas von dieser lauten, amerikanischen Art hat. Alles ist so toll, alles ist so spektakulär fantastisch, un-be-lie-va-ble, gor-geous, a-ma-zing, "I fucking love you so much", darunter macht sie es nicht, und weil sie sich Intensitäts-technisch wirklich konstant auf einer 10 von 10 bewegt, fällt es schwer und schwerer, sich von dieser guten Laune anstecken und nicht erschlagen zu lassen.

Vor allem, wenn sie auf Songs wie "Special" ihrer Frustration Luft macht, dass all ihre genuinen Versuche, ein guter Mensch zu sein und für das Twitter-Tribunal wirklich alles richtig zu machen, nur dazu geführt haben, dass sie Tag für Tag aufs Neue unter dem Twitter-Mikroskop landete. Sie braucht deswegen schon Bomben-Songs, um sich auf ihrem halb-verlorenen Posten gegen den Zeitgeist zu stemmen. Die gute Nachricht ist: Sie hat ein paar davon. Das als Single vorabgeschickte "About Damn Time" nimmt einen so warmen und reichen Disco-Beat und demonstriert, dass Lizzo eine der mächtigsten Stimmen der Musikindustrie besitzt. Hier wirken ihre positive Ausstrahlung und ihre Lebensfreude wie ein Totem, eine Autorität, mit der sich niemand anlegen würde.

"Everybody's Gay" findet ein bisschen mehr Substanz darin, dass Lizzo zeigt, wie man eine Party aktiv zu einem Ort machen kann, an dem sich jeder wohlfühlt. "Birthday Girl" spielt rührselig, aber sehr süß Voicemails ihrer Fans ein, und die abschließenden Balladen "If U Love Me" und "Coldplay" schließen das Projekt emotional treffend und handwerklich stark ab. Fun Fact: Für Letztere hat Untergrund-Legende Quelle Chris mitproduziert.

Handwerklich passiert hier in Sachen Pop ganz großes Tennis. Ob man es genießen kann, hängt davon ab, ob man Lizzo nun inzwischen super-lahm findet oder nicht. Es gibt diese Momente, in denen man ersteres Gefühl doch schwer los wird. Wieder und wieder fixiert sich Lizzo auf diese Idee, alle Leute seien perfekt, alle Leute seien absolute bad bitches, und jetzt sollen sie nur da rausgehen und etwas aus ihrem Leben machen.

Wholesome lautet eines dieser englischen Wörter, die sich nicht so perfekt ins Deutsche übertragen lassen. Als Lizzos erster Hype losging, war Wholesomeness noch etwas Neues, Erfrischendes. Ein Gegengift gegen eine müde, toxische und viel zu düstere Internet-Kultur. Aber das Phänomen hat sich abgenutzt. Die Dinge sind eben nicht immer un-be-lie-va-ble und a-ma-zing, nicht jede Person ist perfekt und großartig und wunderschön, und Lizzos Vehemenz, mit der sie auf ihrer Positivität beharrt, fühlt sich irgendwann wie Verdrängung an.

Dabei spricht sie auf diesem Album ja auch davon, durch harte Zeiten gegangen zu sein, sie spricht davon, dass sie richtig viel Mist hat mitmachen müssen und bei vielem davon, vor allem bei den ungerechtfertigten Shitstorms, haben wir ja sogar zugesehen. Vielleicht ist das die eine Entwicklung, die wirklich notwendig gewesen wäre, die aber ausgeblieben ist: Lizzo hat immer noch keinen Weg gefunden, Nuancen zuzulassen. Die Präsenz von Negativität findet nur in kurzen, eindruckslosen Worthülsen statt und wird dann mit eimerweise über-positiven Worthülsen behandelt.

So steht auch nach "Special" immer noch die Frage im Raum: Egal, wie gut dieses Album klingt, egal, wie gut es gemeint und wie virtuos es handwerklich gemacht sein mag - kauft man es ihr ab?

Trackliste

  1. 1. The Sign
  2. 2. About Damn Time
  3. 3. Grrrls
  4. 4. 2 Be Loved (Am I Ready)
  5. 5. I Love You Bitch
  6. 6. Special
  7. 7. Break Up Twice
  8. 8. Everybody's Gay
  9. 9. Naked
  10. 10. Birthday Girl
  11. 11. If You Loved Me
  12. 12. Coldplay

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3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor einem Jahr

    Ist ja schade, dass dieser versuchte Hinwendung zum Positiven trotz durchgemachten schweren Zeiten für dich nicht überzeugend und nuanciert genug ausfällt. Gäbe es doch nur ein noch relativ rezentes, den puren Pop-Gestus auch nicht scheuendes Album, das eine solche Thematik mit einer etwas anderen Herangehensweise behandelt. Dann könnte man die Meriten dieser verschiedenen Herangehensweisen und die entsprechende musikalische Umsetzung analysieren, vielleicht sogar in Form einer digitalen Niederschrift.

    • Vor einem Jahr

      Dieser Post ist ein Anagramm für:

      Liebe Redaktion, ihr spielt wirklich mit meinem Verstand und eurem Wohlbefinden. Jedes Mal, wenn ich diese Seite öffne, mich dabei an der Funktionalität meines Ad-Blockers und eurem Word-Press-Layout von Zweitausendelf erfreue, sackt mein Herz gen Äquator, weil immer noch keine Review zur neuen Everything Everything auf eurer Startseite zu finden ist. Warum spielt ihr so mit mir? Habt ihr Arc nur in die Bestenliste der letzten Dekade gewählt, um mich zu trollen. Ich lasse das nicht mehr lange mit mir machen. Hier wird bald mit den Füßen abgestimmt.

  • Vor einem Jahr

    Wenn ich sowas schon hier lese, "kauft man es ihr ab"? Ist das nicht der selbe Yannik der irgendwelchen am Reißbrett entworfenen K-Pop pusht, den er ohne Genius Übersetzungen noch nicht mal versteht?
    Ist halt schön wie man, je nachdem um was es geht und den eigenen Vorlieben (bzw. Vorstellungen) nach, hier immer wieder unterschiedliche Maßstäbe setzt. Den einen Mist muss man nicht mal versehen (was eigentlich auch besser so ist) und den anderen Mist muss man dem Künstler abkaufen damit er gut ist. Aber ja, Kunst und Künstler trennen war hier ja noch nie ne Stärke.

  • Vor einem Jahr

    Schon wahr. Lizzo empfand ich schon immer als komplett überdreht. So viel Zuckerguß bekommt einem Diabetiker nicht gut. Und wems wirklich dreckig geht, der kann mit sowas im besten Fall wenig anfangen. Mir kommt die völlige Verweigerung, eine Situation auch einfach mal scheiße finden zu dürfen, einfach penetrant vor. Da gibt es viel weisere, einfühlsamere Mutmacher als eine Lizzo.