laut.de-Kritik
Synth-Schleifen als Hypnose-Mantren.
Review von Philipp KauseLloyd Cole, der Charmeur mit Romantik und gleichermaßen Zweifel in der warm ("Warm By The Fire") und ätherisch changierenden chambrierenden Stimme, lässt es ruhig angehen. Wenn das Tempo im Synthie-Orgel-Klimpern und Wimmern des besten neuen Tracks "The Idiot" leicht ansteigt, dann bis zum gemäßigten Midtempo. Dort staunt er, wie wir noch am Leben sind, "how are we still alive". Das ist gewiss ein Wunder, zwischen Viren, Terrorismus, Krieg, Naturkatastrophen, ...
Bereits 2019 releaste Cole seine Geschichten und philosophischen Gedankengänge im Hochsommer. Und auch "On Pain" hört man am besten nach Sonnenuntergang auf dem Balkon oder der Terrasse, sofern vorhanden. Mehr Nebel als Licht entsteigt seinem Referat über den Schmerz, "deep down" im Vertrauensverlust. Bei der Musik zum Opener und Titelsong lässt die New Age-Meditationsmusik stereotyper Fernost-Dokus über buddhistische Klöster grüßen.
Der alte Rattlesnake meint es mit seinen repetitiven Tönen der klebrigen Lieblichkeit offenbar genauso ernst wie mit Endlosschleifen der Dissonanz. Zumindest kann man ihm nicht vorwerfen, in vorgefertigten Nestern zu brüten. Die meisten wenig hörfreundlichen Melodien lassen sich aber vor allem in einer Mischung aus Demut, Interesse am Gesang und Respekt vor diesem großen Songwriter und seiner Geschichte ertragen, dem "intellektuellen Titanen", wie ihn die Londoner Zeitung The Observer ängstlich liebkost. Nachdem er anlässlich der letzten CD erklärt hat, von Musik könne er heutzutage nicht mehr leben, wirkt er wieder ein Stück nahbarer. Allerdings sind seine Alben längst kein Fall mehr fürs Massenpublikum, sondern für die Artpop-Fraktion. "Ich mag es, Szenarien der Ungewissheit zu entwerfen", bringt er sein Anliegen im Deutschlandfunk Kultur auf den Punkt.
Im Gegensatz zu John Cales souliger Tanzbarkeit bemüht sich Lloyd Cole nur am Rande um rhythmischen Vibe. Lediglich "This Can't Be Happening" packt einen nennenswerten Groove aus. Und dem Fusionjazz-Publikum dürfte das ganze Klangkolorit zu künstlich, zu vergilbt, zu synthetisch sein - ein Sound wie eierschalenfarbenes Plastik.
Mögen die Lyrics bei genauer Deutung des Hintersinns zwischen den Zeilen ergiebig sein und vor Lebensweisheit strotzen, so kann man sich darauf im kreisförmigen Hypnose-Whirlpool-Strudel gar nicht so wirklich einlassen, zum Beispiel in "More Of What You Are", ein Lied so spannend wie fünf Minuten lang einem Springbrunnen zuzuschauen und zuzuhören. Die Vocals tauchen verfremdet, Echo-gedoppelt, vernuschelt unterm Dach der Konstruktion unter. Geloopte Tasten-Zitate werden zu Mantren. Okay, alsMinimal-Album betrachtet, stellt sich die Platte schon besser dar, aber leider als absolut nicht innovativ.
Ausgerechnet dort, wo Cole ins ausgelutschte 80ies-forever-Klangbild von a-ha, Thomas Dolby und Talk Talk abrutscht und ein bisschen Alan Parsons-Synth-Progression nachahmt, punktet er am meisten - in "I Can Hear Everything". Obwohl er über seine bevorstehende Tour sagt: "Wir haben nicht die Absicht, eine Retro-Show zu produzieren." Mit einem erschöpft und langweilig trottenden, sehr langen Closer verspielt der Singer/Songwriter dann letzte Sympathien. "Wolves" ist nicht mehr als eine Gedichtlesung mit Hintergrund-Säuseln. Da wäre eine Unplugged-LP um einiges mehr catchy, als das vorige Album in blass zu kopieren - oder ein Producer mit echtem Sinn für Elektronik vonnöten.
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