laut.de-Kritik
Überall lauert das große Händeringen, das ultimative Gefühl.
Review von Ulf KubankeDie Wege des Herrn sind unergründlich. Das gilt anscheinend ganz besonders für den Herrn der Verlorenen. Lord Of The Lost drehen nach dem letzten Konzeptalbum "Empyrean" auf, als gelte es, den König solcher Werke zu erschaffen. "Thornstar" bietet eine mulitmediale Flutwelle, deren Storyline schlussendlich in 20 Goth-Metal-Tracks mündet.
Auf ihrer Homepage stellen die Hamburger das Album in einem umfangreichen Leitfaden vor, der ausdrücklich Bestandteil des Werks sein soll. Es geht um die Pangalen bzw. Pangaen, ein Urvolk aus der Ära um 10.000 vor unserer Zeitrechnung. Chris Harms und Co schaffen eine ambitionierte Mischung aus Kulturgeschichte, Mythologie, Historie und fiktivem Storytelling. Die Skala reicht von Grafiken der Handlungsträger im Konterfei der Bandmitglieder bis hin zur Darstellung eigener Schriftzeichen.
Alles zusammen dient nicht nur als Schlüssel zum Verständnis der Musik. LOTL verbrämen die Story auch als quasiwissenschaftliche Recherche samt Historikerstreit über die Existenz jener Hochkultur. Wer genau hinschaut, sieht, dass die Band sich bei altbritannischen, germanischen und Wikinger-Überlieferungen bedient. Auch Assoziationen zu den Wildlingen im "Game Of Thrones"-Zyklus liegen sicher nicht zufällig auf der Hand. Doch egal ob Hoax oder wahrer Kern: Der Text verfehlt seine Wirkung nicht und bietet allemal große Unterhaltung für Spürnasen.
Der schlussendlich zugrunde liegende, recht archetypische Kampf zwischen Mächten des Lichts und Schergen der Finsternis spiegelt sich auch musikalisch recht deutlich wider. Ein vorangehendes Thesenpapier wäre gar nicht nötig. Dabei setzen sie stilistisch auf eine wilde Mischung.
So handelt es sich den allermeisten Liedern um Wechselbälger und Janusköpfe. LOTL begnügen sich nicht mit konventioneller Variation von Stück zu Stück. Im Gegenteil: Manche Nummern wandeln ihre Farben alle paar Sekunden. Dann prallen derber Metal samt grollender Bestienvocals auf elektronische Passagen, große Gesten voller Musical-Pathos, angedeuteten Gothrock und Neoklassik.
Handwerklich bieten Lord Of The Lost damit eine durchaus imposante Vorstellung. Auch dramaturgisch geht die Saat zunächst auf. Heftige Elemente bieten ordentlich Credibility für die Wacken-Klientel. Der operettenhafte bis weit über die Kitschgrenze reichende Pomp macht typische Schwarzszenekittel klar. Dennoch fehlt es am zündenden Funke über die volle Distanz.
Zum einen fehlt diesem Zyklus in seiner bleiernen Ernsthaftigkeit das unbeschwerte Augenzwinkern früherer "La Bomba"-Tage. Stattdessen reiten LOTL einen nimmermüden Bleifuß melodramatischer Feuerzeugmelodien. Überall lauert das große Händeringen, das ultimative Gefühl, der Endsieg oder die finale Katastrophe. Alles zusammen ergibt viel zu dick aufgetragenes Makeup.
Auch der Hang zu simpelsten Stadionmelodien untergräbt Entertainment und Anspruch der Storyline gleichermaßen. Zusammen geschnitten auf ein Dutzend Tracks würde das Ganze womöglich leidlich funktionieren. Doch in solcher Überlange ermüdet der Hörer am Mittelmaß des Songwritings. Daran ändert auch ein Gastauftritt von Oomphs Dero wenig.
Besonders schade: Man hat konstant das Gefühl, LOTL hätten weit mehr zu bieten, würden sie sich für ihre gut gemeinten Projekte mehr Zeit nehmen. Falls LOTL lernen, ihren Ehrgeiz musikalisch wie textlich zu kanalisieren, könnte die Band eines Tages vielleicht genau jene Kunst erschaffen, die momentan lediglich als Trugbild schillert.
4 Kommentare mit 5 Antworten
Für mich Kandidat für das Album des Jahres. So viel Abwechslung auf einem Album hatte ich lange nicht mehr. Hut ab
Um es sportlich auszudrücken, zu viel gewollt und gleich an der ersten Hürde hängen geblieben. Nun liegt die Nase halt im Dreck. Hatte nur die ersten Töne gehört und dachte sofort an "teutonisch" im schlechten Sinne, da hatte ich Hamburger noch gar nicht gelesen. Fazit: Brei, schreiend weg lauf!
Teutonisch? Das ist doch nicht teutonisch. Rammstein ist teutonisch. Bei LOTL ist viel mehr screamen und growling dabei. Dennoch verstehe ich es, wenn man es nicht gut findet
Das konntest du jetzt nicht verstehen, in einer anderen Diskussion mit dem Anwalt fand "teutonisch", Verwendung. Müsste ich jetzt suchen....keine Lust.
Das ich die Art Musik nicht gut finde ist nicht wahr, ich mag Rammstein sehr, ich mag gutes sreamen bzw. growling sehr. Nur bei dem Album, solltest du die Beine in die Hände nehmen und schnell schreiend weg laufen.
Den Gehörnten als Cover find ich allerdings gelungen, würde ich mir an die Wand hängen. Wenn der Inhalt halt nicht wäre..........
Wenn es wenigstens ein herausragendes Element gäbe, wie außergewöhnliche Stimme oder eigenwilliger Gitarrensound ...
ja wie findet ihr die aktuelle Parteiensituation? Die AFD fluorierd, SPD auf Tiefflüg, Grüne strahlen wieder, CDU und CSU im Hahnenkampf, die FDP belanglos wie immer..
Ich bin ja Kolumnist bei Blizz aktuell, drum interessiert mich sowas... Wurde kürzlich (heute) eingestellt yeah
Sommerloch füllen? Ist aber auch Lieblingsthema bei den Öffentlich Rechtlichen Sendern. Mir geht es am Allerwertesten vorbei. Mich interessieren Lösungen und nicht welche Partei in den Umfragen 3 Jahre vor der Wahl wieviel Prozent hat.
@marsriegel
Wie wär's denn mal mit "Deutschland geht's gut und jetzt mal alle chillen"...