laut.de-Kritik

Angenehm glaubwürdig: passables Debüt des Deutsch-Kubaners.

Review von

Ayayay! Glücklicherweise zog der Hype des vergangenen Sommers weitgehend spurlos an mir vorbei. Reggaeton soll das heiße Ding der Stunde gewesen sein. Ich weiß nicht recht ...

Musikalisch meist höchst einfältig konstruiertes Party-Gewummere, das ausschließlich dazu taugt, die Chicas und Senoritas dieser Welt dazu zu bringen, ihr Haar und anderes zu schütteln - fand ich persönlich nie besonders erfüllend. Das Beste daran war noch, dass man sich nicht zusätzlich über die Sinnentleertheit der Texte ärgern musste, solange man des Spanischen nicht mächtig ist. Damit soll es nun auch vorbei sein? Och, nö! Reggaeton auf Deutsch wird versprochen - nicht zuletzt von VIVA, wo man an dem kleinen Deutsch-Kubaner Lucry offenbar einen Narren gefressen hat.

Unter den gegebenen Umständen mäßig euphorisch, bereitete mir Lucry doch eine angenehme Überraschung. Die Reggaeton-Anteile bleiben überschaubar, über weite Strecken liefert der Berliner für einen 16-Jährigen extrem passable Raps ab. Okay, wir bekommen es nicht mit einem Wunderkind vom Kaliber des Optik-Youngsters Sinan zu tun (solchen Nachwuchs findet man selbst in der Hauptstadt nicht an jeder Straßenecke).

Was aber Lucry hier vorträgt, besitzt Hand, Fuß und Pfiff. "Ich red' nicht über Sachen, die nicht in mir drin sind", verspricht er in seiner gelungenen Selbstdarstellung "Die Mischung Macht's" - und hält sich dran. Der Verzicht auf prollige Posen, Fake-Gangstertum und Hörensagen steht Lucry gut zu Gesicht und verschafft dem ohnehin sympathischen Bengel angenehme Glaubwürdigkeit.

Eigene Erfahrungen mit einer Konstellation, wie sie in "Gigolo-Style" beschrieben wird, hätte ich einem Teenie wohl schwerlich abgekauft. Lucry umschifft diese Klippe geschickt, indem er das Geschehen aus der Perspektive eines über den Dingen thronenden Beobachters beleuchtet und sich dabei als überaus flüssiger Geschichtenerzähler entpuppt. Dieses Talent zelebriert er in "Es Kommt Alles Zurück" zu einer hübschen, von Streichern begleiteten Gitarrenmelodie. Lucry vermittelt keine ganz neue, dafür aber keinen Deut weniger ernst zu nehmende Message, bleibt sich treu und hält seine Lyrics sauber: Aufrichtigen Glückwunsch zu diesem Entschluss.

Nicht rundum glücklich bin ich mit der Produktion. Dragonman Taan Newjam speit für meinen Geschmack über weite Strecken zu wenig Feuer. Starke Ideen und vielversprechende Spielereien mit Rhythmen verheißen zwar Gutes, die Ausführung wirkt aber dann doch häufig recht blutleer.

In "Feueralarm" fehlt der letzte Nachdruck, "Mi Vida" krankt an der Schwindsucht, und der Beat zu "Pausenclowns" gerät dumpf, muffig und erlaubt keine klare Sicht auf seine Struktur, die mir von allen gebotenen Instrumentals am Besten gefällt. Meinem Gemecker hält Taan allerdings auch Trümpfe entgegen: Der düstere, langsam voran rollende Beat zu "Gerede" gefällt ebenso wie "Es Kommt Alles Zurück" und das zauberhafte "Kein Sinn".

Nach übertrieben dramatischem Intro wirkt der Einstiegs-Track doppelt frisch: "Die Mischung Macht's" porträtiert einen fröhlichen Nachwuchskünstler, dessen einziges Problem darstellen dürfte, sich auf der Suche nach der goldenen Mitte nicht in der Mittelmäßigkeit zu verlieren: Ein paar Konturen, Ecken und Kanten haben noch keinem geschadet. Angefangen beim Album-Titel beständig die eigene bikulturelle Herkunft in den Vordergrund zu stellen, passt zwar ins Konzept, ermüdet auf Dauer aber arg. Angelangt bei Track Nummer elf, "Der Deutsche Kubaner", sollte wirklich der taubsten Nuss unter den Hörern aufgegangen sein, dass Lucry neben Berlin auch die Karibik als seine Heimat betrachtet. Und das nicht nur, weil er mühelos von der Vater- in die Muttersprache zu wechseln versteht.

Während der spanische Chorus in "Mi Vida" ein wenig weinerlich ausfällt, legt "Mi Gata" an der entsprechenden Stelle ordentlich Tempo vor. Gesang scheint die Sache Lucrys nicht unbedingt zu sein, wohingegen seine Raps - überdeutlich zu hören in seiner Danksagung, die lediglich von etwas Percussion unterlegt wird - ein Gütesiegel verdienen.

Lucrys großes Talent zum Geschichtenerzähler bekommt in den Reggaeton-Tracks, deren Inhalte über "Hurra, hurra, Party, Party!" nicht hinaus reichen, keinerlei Chance. Verlegt er den Schwerpunkt dagegen in den Hip Hop - gerne auch, wie in "Oh Why", kombiniert mit etwas Ragga-Toasting oder langsamer und nachdenklicher in "Kein Sinn" - hinterlässt Lucry einen glänzenden Eindruck.

Paradebeispiel: "Gerede". Eminem führte im Showdown von "8 Mile" vor, wie man Gegnern Kritik aus dem Mund und damit den Wind aus den Segeln nimmt. Lucry wäre dieser Kunstgriff ebenfalls gelungen, hätte er darauf verzichtet, im letzten Vers auf die Vorwürfe gegen seine Person einzugehen. Wenn man sich eine Erwiderung schon nicht verkneifen kann, dann darf sie keinesfalls ausgerechnet auf die schwächste Strophe fallen, in der "wollt" auf "wollt" und "ergeben" auf "ergeben" gereimt wird. So gewinnt man gewiss keine Battle.

Dennoch: Lucry ist jung und lernfähig. Ich bin zuversichtlich, dass sich die zahlreichen Ansätze zu einem überdurchschnittlichen MC auswachsen werden, so er sich - und das wünsche ich von Herzen - nicht im grausam schnelllebigen Jugendmedien-Geschäft verheizen lässt.

Trackliste

  1. 1. Lucry Intro
  2. 2. Die Mischung Macht's
  3. 3. Feueralarm
  4. 4. Mi Vida - German Version
  5. 5. AYAYAY - German Version
  6. 6. Liebe & Musik
  7. 7. Mi Gata
  8. 8. Gerede
  9. 9. Es Kommt Alles Zurück
  10. 10. Oh Why?
  11. 11. Der Deutsche Kubaner
  12. 12. Bum Chak
  13. 13. Pausenclowns
  14. 14. Gigolo-Style
  15. 15. Kein Sinn
  16. 16. Die Gute Alte Zeit
  17. 17. Danke (Outro)
  18. 18. AYAYAY - SPK Reggaetón Remix Spanish

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