laut.de-Kritik
Der Sound für schwere Sattelschlepper.
Review von Stefan JohannesbergTatort Kinderzimmer 1987: Ein Riff zerreißt die Bros- und A-ha gewohnte Stereoanlage. "Kiss Of Death", der Opener von Dokkens viertem Studioalbum "Back For The Attack", presst sich eindringlich auf Lippen, Ohren und Nacken. Das erste Riff von Gitarrist George Lynch - so bluesig-schwer und metallisch-groovend zugleich - bläst von der ersten Sekunde an alles weg, nur um dann in den Rhythmus-Part zu fallen und in der gesangslosen Anfangssequenz in einem noch geileren, zweiten Riff zu landen. Plötzlich steigt George Lynch auf in die Top Ten der Klampfenakrobaten.
Tja, da steht er auch heute noch, obwohl Lynch nach besagtem Dokken-Album keine gleichwertigen Erfolge mehr feiern konnte - auch mit seinem Lynch Mob nicht, den er 1991 nach dem Ende von Dokken gründete. Die Weißbrötchen aus Seattle und die Rapper aus LA hatten etwas dagegen, und so verschwand jene Art des Glam Metal schneller aus dem Mainstream, als Malmsteen zocken kann. Immerhin frönt Lynch beim Mob endlich seiner Leidenschaft, dem bluesigen Hardrock, vollkommen ungestört von Don Dokkens hellem Gesang und den catchigen Melodien. Bis ins Jahr 2023.
Das mittlerweile achte Album "Babylon" setzt wie der Vorgänger "The Brotherhood" wieder auf den Sound für schwere Sattelschlepper auf den staubigen Straßen der USA. Die Besetzung neben Lynch ist indes eine andere. Am Bass werkelt Jaron Gulino (Tantric, Heavens Edge) und zimmert mit Schlagzeuger Jimmy Danda (ex-Bulletboys) die Bühne für George süchtig machende Gitarrenarbeit. Sein Stil, der Metal mit Blues kongenial verbindet, zündet auch nach Jahrzehnten noch.
Die kleine Überraschung ist jedoch Sänger Gabriel Colón, dessen Gesang häufig an Axl W. Rose in jüngeren Jahren erinnert. Leicht kratzig-knarzig gibt Colon dem Album einen etwas luftigeren Vibe. Besonders die ersten beiden Stücke "Erase" und "Time After Time" zünden die Hoffnung auf etwas mehr Dokken im Leben des Lynch Mob an.
Das Flämmchen erlischt jedoch schnell wieder. "Babylon" baut auf mittelmäßigen Hardrock, nur veredelt von Lynchs Gitarrenriffs. Man wünschte sich zurück ins Kinderzimmer, als Dokken mit Don am Mic, Jeff Pilson als Songwriter und George am Sechssaiter mit schweren Riffs und wundervollen Melodien die letzten Reste der Pop-Pubertät wegspülten.
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