laut.de-Kritik

Klaustrophobische Wegmarke für eine spannende Zukunft.

Review von

Selbst eingefleischte Massive Attack-Fans mussten das hier erst mal sacken lassen. Man wusste zwar, dass die Tunes der Bristol-Connection nicht gerade auf der sonnigen Seite des Hügels wachsen. "Ritual Spirit", geschrieben von 3D und Langzeit-Studiopartner Euan Dickson, lotet die Untergrenze bedrohlicher Sound-Klaustrophobie jedoch neu aus.

Schluss mit den beruhigenden Hangover-Raps von Robert Del Naja oder gar lebensfrohen Klängen wie Akustikgitarren (auf ihrem letzten Longplayer "Heligoland", 2010). Von den ersten Sekunden an zieht einen "Dead Editors" hinein in den Soundtrack eines Serienkillers: Einen ungewohnt aggressiven Beat, pochend wie ein rasend schneller Herzschlag, umgarnen analoge Synthie-Flächen, peitschende Hi-Hats und eisig verfremdete Flöten aus Herbie Hancocks Klassiker "Watermelon Man". Willkommen zurück in der beklemmenden Atmosphäre, die etwa "Mezzanine" (Track) so herausragend machte. Der gewohnt emotionslos-stoische Vortrag von Roots Manuva tut sein Übriges.

Der Titeltrack "Ritual Spirit" weckt mit seinem repetitiven Gitarrenlick in gemächlicherem Tempo zu Beginn alte Gefühle, bevor eine neue Stimme den Song an sich reißt. Der aus Nigeria stammende R'n'B-Sänger und Produzent Azekel ist eine Neuentdeckung der Briten, sein hohes Organ tänzelt auf dem anspruchsvoll verästelten, mit Handclaps versehenen Beat wie schwerelos. Die Vergleiche mit Frank Ocean scheinen absolut gerechtfertigt.

Konnte man hier noch einigermaßen ausschnaufen, rattert "Voodoo In My Blood" mit dem schottischen Kollektiv Young Fathers gleich unnachgiebig los. Bellend vorgetragene Raps, eher prasselnde Sprachfetzen, unterfüttern 3D und Daddy G mit abermals hektischen Beats, bevor ein Break den Song praktisch abstoppt. Im nun folgenden Part zeigt das experimentelle Rap-Trio (Releases auf Big Dada/Anticon) mit einem herrlich schauerlichen Gesangspart, wie es dazu kommen konnte, dass man 2014 Mainstream-Stars wie Damon Albarn und FKA Twigs den Mercury Prize vor der Nase wegschnappte.

Derweil führen 3D und Daddy G unmerklich mehr und mehr Soundspuren ein, laden die Atmosphäre immer mehr auf. Am Ende haspelt man mit Gänsehaut die Zeile "Why does the blood never stick to your teeth" im Dauerloop vor sich hin. Krasser Track, der all den Stagnations-Schreihälsen der letzten zwei Massive Attack-Alben als Kloß im Hals stecken bleiben dürfte.

Der Hauptgrund, warum man über diese EP, die ursprünglich wie ein Daddel-Gimmick in Snippet-Form in der iPhone-App Fantom auftauchte, seit Monaten spricht, hört auf den Namen "Take It There": Die von allen Romantikern so ersehnte Reunion mit Ex-Mitglied Tricky. Nach Pete und Carl, Axl und Slash sind nun also auch die Trip Hop-Könige von einst wieder Buddys, 22 Jahre nach "Protection", schöner kann ein Happy End ja nicht klingen.

"Take It There" enttäuscht auch keineswegs. Ein angemessen deeper Brocken, der auf zunächst zwei Akkorden eines tonnenschweren Klaviers fußt, an dem sich Trickys charakteristische Flüster-Raps abrackern wie ein Kumpel unter Tage. Im Vergleich zu den mutigen Vorgängertracks erinnert "Take It There" nicht nur aufgrund der bekannten Vorträge von Tricky und 3D am ehesten an die glorreiche Vergangenheit der Band. Hätte aber sicher Sinn gemacht, diesen Song an den Anfang der EP zu setzen.

Bei aller Brillanz, die das letzte Album "Heligoland" an einigen Stellen ausstrahlte, stellt "Ritual Spirit" doch die Wegmarke für die dringend erforderliche Neuorientierung einer Band dar, die auch 25 Jahre nach ihrem Debüt noch überraschen will. Auf die zeitgleich zum Release angekündigte zweite EP aus der Feder von Daddy G, die noch im Frühjahr erscheinen sollte, warten wir leider immer noch. Vielleicht hat man es sich in Bristol (bzw. auf Tour) auch anders überlegt, weil man doch lieber gleich ein ganzes Album nachlegen will. Es könnte ein neues Bandkapitel aufschlagen.

Trackliste

  1. 1. Dead Editors
  2. 2. Ritual Spirit
  3. 3. Voodoo In My Blood
  4. 4. Take It There

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