laut.de-Kritik

Gehirnzellenmassaker und Toilettensex.

Review von

Wenn man sich die Platten von Culcha Candela in umgekehrter Veröffentlichungsreihenfolge anhört, machen sie eine beachtliche musikalische Entwicklung durch. Leider hat der alte Drecksack Zeit aber die blödsinnige Angewohnheit, vorwärts zu laufen. So stehen also nicht "Union Verdadera" und "Next Generation", sondern der Audiomüll "Flätrate" am Ende der Entwicklung der deutschen Black Eyed Peas.

Nun versucht sich Mateo nach seinem Ausflug in die DSDS-Jury auf eigenen Beinen als deutscher Will.I.Am und schafft es tatsächlich, sich unter das schon am Boden liegende Niveau zu zwängen. Der Culcha Candela-Sänger möchte so gerne auf Großstadtclub machen, landet aber spätestens, wenn in "Sick My Duck" der Ententanz einsetzt, mit den Giraffenaffen bei der Küken Party. Sicherlich kann man seinen mit Bässen aufgepumpten Tracks eine gewisse Funktionalität nicht absprechen. Aber das selbe gilt ja auch für Abführmittel.

Wohin man auch schaut bestimmen Plattitüden und die schlechtesten Wortspiele und Schenkelklopfer seit Jahren das Bild. "Iss' ein Brötchen mit Hack und sick my duck" ("Sick My Duck"), "Der Wecker klingelt, doch ich geh nicht ran" ("Radio"), oder "Komm und schmeiß die Hände in die Luft und fang' sie wieder auf" ("Isso") lassen zumindest die Vermutung zu, dass er seine Reime auf dem Klo bei der Lektüre des Buches "Die 1.000 besten Witze des Jahres 1992" zusammengeklaubt hat.

Überhaupt, diese Texte. Man muss ja nicht immer die Welt erklären, aber ein bisschen Mühe könnte man sich hier und da schon mal geben. Der Hauptaugenmerk unseres Plaste-Rappers liegt erwartungsgemäß auf Gehirnzellenmassaker und Toilettensex. Ansonsten gibt es Lieder über die Liebe zu seiner Sonnebrille ("Meine Brille") und dem Wutbürger im Auto ("200 Puls"). Jeder Kartäuser hat mehr zu erzählen als unser Emily Erdbeer-Heisenberg. Isso.

"Frauen sagen nein / Eigentlich meinen sie ja / Na dann is ja alles klar / Isso." Eigentlich könnte man an diesem Punkt "Unperfekt" ausmachen, drauf kotzen und in die Tonne für Sondermüll klopfen. Egal wie und in welchem Kontext dieser Satz auch immer gemeint sein mag: 2014 diese typische "Du willst es doch auch"-Attitüde der Rape Culture herauszuhauen, grenzt entweder an grenzenlose Dummheit oder wurde nach dem Lärm um Robin Thickes "Blurred Lines" absichtlich gewählt. Beides keine Entschuldigung. Zudem wäre es kein Problem den Satz umzustellen, damit keine Missverständnisse aufkommen.

Aber es passt perfekt in das schablonenhafte Frauen- und Männerbild des Herrn Mateo Jaschik, der seine Damen am liebsten noch heute mit der Keule in seine Höhle prügeln würde. In seinen gesungenen Mario Barth-Witzen für das RTL II-Publikum ist Irren männlich und die Dame will nur die teuersten Manolo Blahnik-Schuhe, sonst hagelt es Schläge mit der Bratpfanne.

Versucht sich der Culcha Candela-Sänger in "Stille Helden" dann doch einmal an einer Botschaft, endet dies in einem Fiasko. Sicherlich ein schöner Gedanke, sich einmal bei den Menschen die wir alle so sehr brauchen zu bedanken und ihnen ein Lied zu widmen. Das geschieht viel zu selten. Aber wie so oft ist das Gegenteil von Gut nicht Böse, sondern gut gemeint.

Wetterte Mateo während seiner Zeit als DSDS-Juror noch laut gegen Schlager, haut er hier gemeinsam mit Hagen Stoll von Haudegen den übelsten durchkalkulierten Gülm unter die Leute, der selbst dem Grafen zu pathetisch und kitschig wäre. Isso. Das wird diesen uninspirierten Schmonz aber nicht daran hindern, ab sofort in jeder Doku über Feuerwehrleute und die Polizei unterzukommen.

Am schlimmsten trifft es die Krankenschwestern. Gerade eben mussten sie noch den Wallraff über sich ergehen lassen, schon stehen Mateo und Stoll bei ihnen vor der Tür. "Ihr seid Helden, die dieses Land so braucht / Stille Helden, wir bauen euch ein Denkmal auf." Ich hoffe, einige der Besungenen erinnern sich an den Wir Sind Helden-Song "Denkmal" und rufen laut: "Hol den Vorschlaghammer! / ... Ich werd die schlechtesten Sprayer dieser Stadt engagieren / Die sollen Nachts noch die Trümmer mit Parolen beschmieren."

Der Opener "Here I Am" könnte mit seinen ausgelutschten Gitarrenriffs, den Wartezimmer-Drumloops und seinem Refrain auf Aktendeckelniveau jederzeit als Einlaufhymne für DSDS dienen. Der Refrain von "200 Puls" erinnert stark an "Millionär" von den Prinzen, während durch das klebrige "Radio" mit Luna Simao und seinen gestrigen Beats tatsächlich mehr als einmal die Erinnerung an Rolf Zuckowskis Kindergartenlied "Du da im Radio" schimmert. "Hey Du, ich bin hier im Radio / Hey Du, ich hab gehört du magst mich so / Hey Du, ich singe heute nur für dich / Sing nur für dich im Radio."

In "Ich Hau Ab" leistet der erleuchtete Xavier Naidoo, der Xer aus dem neuen Zion, als Hook-Mäuschen Dienst nach Vorschrift, während sich Mateo als Alexander Supertramp aus der Gummistiefel-Disco versucht. "Ich hau ab, einfach so, lass alles stehen und liegen / Mach mich aus dem Staub, einfach so / Mein Herz will wieder fliegen / Und ich lösch mein altes Leben / Aus den Augen aus dem Sinn / Und ich renne bis ich ankomm / Wo ich sein kann wer ich bin / Ich hau ab." Na dann, Tschüssikowski. Nach Hollywood geht's da lang.

Mateo gehört für "Unperfekt", selbstverständlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, mit sieben weiteren DSDS-Staffeln an der Seite seines besten Freundes Dieter Bohlen bestraft. Parole: Schlager. Dort könnte er von unserem Pop-Veteranen noch etwas in Sachen Songwriting und Herzblut lernen. Jeder in fünf Minuten zusammengeschusterte Pietro Lombardi, Luca Hänni und Beatrice Egli-Hit hat mehr Herzblut als die Gülle, die Mateo von sich lässt. "Heute biste Hipstar, Morgen biste Popstar, Übermorgen Opfer." Willkommen im Übermorgen, Mateo. Isso.

Trackliste

  1. 1. Here I Am ft. Paul Cless
  2. 2. Isso
  3. 3. Meine Brille
  4. 4. Unperfekt
  5. 5. Ich Hau Ab ft. Xavier Naidoo
  6. 6. Irren Is männlich
  7. 7. Radio ft. Luna Simao
  8. 8. Stille Helden ft. Hagen Stoll
  9. 9. 200 Puls ft. Johnny Strange
  10. 10. Xtraordinär
  11. 11. Stripperin
  12. 12. Rodeo ft. U-Jean
  13. 13. Sick My Duck

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LAUT.DE-PORTRÄT Mateo

Mateo Jaschik, an Neujahr 1979 in Breslau geboren, hat gern 1000 Finger im Popspiel. Ob als Mitbegründer der Hip Hop/Reggae/Dancehall-Combo Culcha Candela, …

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