laut.de-Kritik

Das Kopfkino braucht keine Starthilfe.

Review von

Die ersten Worte, die wir auf McKinley Dixons Albums "Beloved! Paradise! Jazz?" hören, stammen nicht aus seiner Feder. Das Album eröffnet mit einer Lesung des amerikanischen Autors Hanif Abdurraqib. Er liest eine Passage aus Toni Morrisons Buch "Jazz", das das Leben eines Afroamerikaners im New York der 20er Jahre schildert. Morrisons weitere Bücher "Beloved" und "Paradise" komplettieren den Albumtitel und legen das narrative Fundament, auf dem Dixon seine eigene Geschichte aufbaut. Wie auch die Charaktere in Morrisons Büchern, findet er sich als schwarzer Musiker in einer Welt wieder, die Sklaverei, Apartheid und Rassismus auf dem Papier für abgeschafft erklärt, in der Realität dennoch nicht davor zurückschreckt, eine Zweiklassengesellschaft zu etablieren.

Damit enden die Parallelen jedoch nicht. Ebenfalls wie in Morrisons Büchern, stellt Dixons Debüt gleichermaßen sowohl eine Auseinandersetzung mit den allgegenwärtigen Ungerechtigkeiten des schwarzen Alltags dar, als auch eine Zelebrierung der eigenen Community, Familie und der Stadt, die man allen Widrigkeiten zum trotz Heimat nennt: "Nobody says it's pretty here, nobody says it's easy either / What it is is decisive, and if you pay attention to the street plans, all laid out, the City can't hurt you."

Schon mit seinem letzten Album "For My Mama And Everyone That Looks Like Her" etablierte sich Dixon als Storyteller, dessen Geschichten sich ebenso sehr in Sprach- wie in Klangbildern widerspiegeln. Mit seinem vierten Langspieler gelingt ihm diese Symbiose so greifbar und stimmig, wie man sie in diesem Genre schon lange nicht mehr zu Ohren bekam. Dixon rappt nicht nur über eingestaubte Jazz-Loops und polternde Drum-Machines, wie man es mittlerweile aus seiner Gangart des Hip Hop gewöhnt ist. Er macht es sich auf lebendigen, live eingespielten Instrumentals bequem, die vom Jazz bis zum Soul reichen, und auch nicht davor zurückschrecken, ihre Fühler nach experimentellen oder oder konventionellen Gefilden auszustrecken.

So folgt auf das wunderschöne "Sun I Rise" etwa das teils fast schon dissonante "Mezzanine Tippin", das die Beharrlichkeit, sich gegen alle Widrigkeiten durchzusetzen, mit der das Album eröffnet, mit schierer Wut gegen die Polizei konterkariert. Statt warmer Streicher und schmachtender Background-Vocals gibt es rasselnde Percussion, schiefes Geschrei und stolpernde Drums. "Tyler, Forever" verbindet wenig später triumphale Bläser mit Trap 808s und düsterem Bass, während "Live! From The Kitchen Table" wiederum klingt, als sei man in eine Freestyle-Session in einem Jazzclub in New Orleans gestolpert.

Der 28-Jährige weiß allerdings nicht nur, wie man einen guten Song arrangiert, die Poesie seiner Texte erklärt auch, wieso die Lyrik einer Toni Morrison für dieses Album Pate steht. Nicht nur verwebt der Rapper aus Virgina die Anekdoten seiner Jugend mit kohärenten, wiederkehrenden Motiven wie die Sonne oder metaphorische Flügel. Auch die Sprache, mit der er diese Erzählungen lebendig werden lässt, lädt zum Träumen ein: "A shaky hand sweeps the table of the crumbs / While a lil' boy hopes some day he'll get closer to the ones / That set off explosive tongues."

Selbst die grausamsten und dramatischsten Erlebnisse seiner Kindheit bettet der Ostküstler in wunderschöne Worte: "Saw one get killed last summer / He lift his head, butterflies escaped his mouth from out his lungs / Journal entries from when the heat had us buzzing / Found out one boy was super human, the other simply wasn't." Dixon mag vielleicht nicht die technische Raffinesse eines Earl Sweatshirt oder eines Mike an den Tag legen, aber dafür fühlt sich seine Lyrik deutlich nahbarer an, es fällt leichter, sich darin zu verlieren. Das Kopfkino braucht keine Starthilfe.

Der narrativ stärkste Track der LP liefert dafür eine Paradebeispiel. Auf "Run, Run, Run" setzt Dixon, getragen von einem sanften, wunderschönen Chorus und einem Piano, das Dixon Flügel verleiht, zum Sprint an und rennt vor dem Echo von Schüssen davon, die durch die schmalen Gassen hallen. Weg von der unbekümmerten Kindheit, als man höchstens mit Fingerpistolen aufeinander schoss, durch das gleißende Licht des Großstadt-Dschungels, vorbei an Maschendrahtzäunen und schwarzen Köpfen auf Motorhauben, bis er den Boden nicht mehr unter den Fußsohlen spürt, bis die Schultern die Wolkendecke aufbrechen. "If we run to a place where they know our worth / Sun talked, said it's not my last day on earth." Geradewegs in eine bessere Zukunft.

Dixon führt uns mittels sämtlicher Eckpfeiler der afroamerikanischen Musikgeschichte durch seine eigene Adoleszenz, über Spielplätze, auf denen mit Drogen gedealt wird, an den Küchentisch seiner Mutter, mit Polizeisirenen im Nacken durch den Trubel der Großstadt, bis er sich am Ende des Titeltracks lebensmüde von den Dächern stürzt und weich in den Armen seiner Freunde und Familie landet.

Sie sind der rote Faden dieser LP, das Sicherheitsnetz seiner eigenen Geschichte. Seine Heimat, seine Herz, seine Kunst. Sein Beloved, sein Paradise und spätestens nach diesem Album auch sein Jazz. Wenn Ms. Jaylon Brown zum letzten Refrain ansetzt, kann man gar nicht anders, als mit einem Grinsen im Gesicht mit einzustimmen. "Beloved, Paradise, Jazz." Dieses Mal entfällt das Fragezeichen.

Trackliste

  1. 1. Hanif Reads Toni
  2. 2. Sun I Rise (feat. Angélica Garcia)
  3. 3. Mezzanine Tippin' (feat. Teller Ban$ & Alfred.)
  4. 4. Run, Run, Run
  5. 5. Live! From The Kitchen Table (feat. Ghais Guevera)
  6. 6. Tyler, Forever
  7. 7. Dedicated To Tar Feather (feat. Anjimile)
  8. 8. The Story So Far - Interlude
  9. 9. The Story So Far (feat. Selina Haze)
  10. 10. Beloved! Paradise! Jazz!? (feat. Ms. Jaylin Brown)

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