laut.de-Kritik

Solo-Experiment irgendwo im Nirgendwo der Pop-Welt.

Review von

Michael League ist schon immer musikalische Gemeinschaft gewohnt. Sei es mit seinen Bands Snarky Puppy und Bokante oder als Mitwirkender bei Projekten von David Crosby, Jacob Collier, Laura Mvula, Michael McDonald, Esperanza Spalding und unzähligen weiteren Acts: Der amerikanische Multiinstrumentlaist und Produzent ist ein vielgefragtes und vielbeschäftigtes Gesicht in der Musikwelt. Großartig Zeit für Eigenbrödelei bleibt da also nicht.

Wie für viele Künstler*innen in den letzten zwei Jahren, veränderte sich das aufgrund der Corona-Pandemie allerdings auch für League, jedoch im positiven Sinne. Ohne jegliche Bandverpflichtungen und Kollaborationen in der nahen Zukunft, eröffnete sich dem Ausnahmetalent und Industrie-Urgestein nach fast zwei Jahrzehnten erstmals die Möglichkeit, eigene Ideen in einem Soloprojekt zu verwirklichen. Auf diese Weise entstand "So Many Me".

Wer dachte, dass sich "So Many Me" zurückhaltend in Leagues bisherige Diskografie einreiht, irrte sich gewaltig. Mehr als alles andere ist die Platte ein Pop-Projekt, das seine Jazz-Wurzeln zwar vereinzelt beibehält, aber vor allem eine völlig neue Seite des Amerikaners zeigt.

Bereits im Opener "Sentinel Species" präsentiert League mit weichen, träumerischen Synthmauern, Moog-Bass und reihenweise gestapelten Vocal-Harmonien das klanglich überraschende Fundament des gesamten Albums. Herkömmliche Drums sucht man vergeblich, vielmehr verwendet er ausschließlich marokkanische, kurdische und türkische Percussion-Elemente in all ihren Formen und Klangfarben.

Mit dieser Kombination an Instrumenten arbeitet er sich in der Folge auch durch den Rest der Platte. Hinzu kommen lediglich vereinzelte kleine Feinheiten oder Nuancen wie die Akustikgitarre in "In Your Mouth", Rhythmus- und Tempowechsel in "Since You've Been By" oder mysteriöse und intime Piano-Parts in "Right Where I Fall" und "The Last Friend".

Dabei entsteht eine geheimnisvolle Atmosphäre, die League mit all seiner Erfahrung als Musiker, Instrumentalist und Produzent genau so umsetzt, dass sie die Thematik und den Zeitgeist des Albums klanglich untermalt. Denn beeinflusst durch die Pandemie schlüpft er im Rahmen seiner Songs in eine Beobachterrolle und ergründet verschiedene Facetten menschlichen Verhaltens. So thematisiert er auf "Touch Me" die Bedeutung von phyischem Kontakt ("Touch me, reach me / from inside out, from outside in / free me, really / an we'll begin"), während das New-Wave angehauchte "I Wonder Who You Know" ganz im Zeichen von Social-Media und dessen Einfluss auf die oftmals realitätsfremde Selbstdarstellung im Internet steht ("Is it a friend, is it a lie / You told yourself just to get by").

Während lyrisch und atmosphärisch somit alles auf einem Top-Level ineinandergreift, sind es gerade die fehlende musikalische Abwechslung und die geringe sonische Bandbreite, die der LP wie ein Klotz am Bein hängen. Für jemanden mit derart musikalischen Talent und Background wirkt "So Many Me" in weiten Teilen sogar überraschend einfältig und risikoarm. Spätestens auf der Zielgerade entsteht das Gefühl, dass man viele Inhalte von "Ever The Actor" und "Fireside" schon in anderen Songs zuvor fast identisch zu hören bekam.

Dass "So Many Me" ein durchdachtes Werk aus der Feder eines routinierten musikalischen Ausnahmetalents ist, steht außer Frage. Dennoch wirkt es, als wüsste League nicht so genau, wo der damit hin wollte. "So Many Me" bewegt sich qualitativ über jeglichem Durchschnitts-Radiopop, ist aber wiederum an manchen Stellen so experimentell, dass es viele Pop-Hörer*innen abschrecken oder überfordern könnte. Es kombiniert eine interessante und wenig miteinander assoziierte Mischung an Instrumenten, trotzdem fehlt der Funke an Überzeugungskraft, um die Platte auch in einer Woche erneut auflegen zu wollen. So steht "So Many Me" irgendwo im nirgendwo einer breiten Pop-Landschaft und wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet.

Trackliste

  1. 1. Sentinel Species
  2. 2. Me, Like You
  3. 3. Right Where I Fall
  4. 4. Since You've Been By
  5. 5. I Wonder Who You Know
  6. 6. Touch Me
  7. 7. Best Of All Time
  8. 8. In Your Mouth
  9. 9. Ever The Actor
  10. 10. Fireside
  11. 11. The Last Friend

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